21 Tag 1 - Welcome

22 Thalias erste Runde...

23 ...und wie sich die anderen so schlagen

24 Eine rundum unschöne Feier

25 Eine offene Rechnung

26 Ohne Antworten in die Endrunde

27 Lebensfrost

28 André strikes back

29 Bestienritter-Chaos

30 Der Plan der Bestienritter

 

Tag 1 –Welcome


Ein Murmeln ging durch die versammelte Teilnehmerschar. Die Ritterinnen sahen sich gegenseitig an, eine so ungläubig wie die andere. Ohne weitere Erklärung kehrte der kleine Mann ihnen wieder den Rücken zu, immer noch auf dem Kopf der großen Seeschlange stehend. Die gab einen zischelnden Laut von sich, kniff die Schlitzaugen zusammen und tauchte unter. Das Murmeln der Menge verwandelte sich in ein Raunen.

„Nun, meine Damen“, sagte André und trat vor, „sagte er nicht, wir sollten ihm folgen?“ „Sollen wir vielleicht tauchen?!“, schnaubte Lika und stützte die Arme in die Seiten. „Naja...“, erklärte André, „Ich dachte eigentlich, wir hätten eine Hexe dabei...“ Er linste linkisch grinsend zu Thalia herüber. Sie stand grübelnd da und starrte auf den See. Dann nickte sie und meinte: „Überlasst das mir!“ Die Hexe trat direkt an das Wasser und schloss die Augen. Als sie dann ihre Arme zu den Seiten hin ausstreckte, bildete sich eine Luftblase um sie herum. Zufrieden öffnete Thalia ihre Augen wieder und meinte: „Worauf wartet ihr noch? Kommt rein!“

Adarwen sah sich nach links und rechts um. Auch andere Gruppen hatten sich daran gemacht, eine magische Lösung für das nasse Problem zu finden. Nicht wenige benutzten solche Luftblasen.
„Diese Nachmacher!“, sagte Sadira verächtlich, als sie als letzte die Luftblase betrat, ohne dass letztere zerplatzte.
„Es ist eine reine Konzentrationssache.“, winkte Thalia ab, „Nichts wirklich Schwieriges.“ Dann waren sie ja jetzt in der Lage den See zu betreten. Es war wie eine U-Bootfahrt, nur dass man bei ihrem Fahrzeug einen Betrachtungswinkel von 360° hatte, wie in einem gläsernen Fahrstuhl. Schon bald war das Wasser gefüllt von lauter Luftblasen, wiederum gefüllt mit Menschen. Das Wasser war klarer als erwartet und irgendwo weit Vorne konnten sie noch den Schwanz der Wasserschlange sehen. Es war nicht leicht für Thalia sich auf ihr Ziel zu konzentrieren und gleichzeitig die Blase stabil zu halten, ohne sich von den Dingen um sich herum ablenken zu lassen. Gerade wurden sie zum Beispiel links von einer Gruppe überholt, die mit goldenen Waffen ausstaffiert und mit reichlich Schmuck behängt war. Es sah fast aus wie ein Familienausflug aus, auch Kinder waren dabei.

„Die müssen aber einen dicken Geldbeutel haben... Na, wär das nichts, Nea?“ Sadira drehte sich grinsend um, aber Nea war nicht da.
„Wo ist sie denn hin?“
„Hast du ihr nicht zugehört?“, stichelte Lika.
„Sie ist schon am Ufer verschwunden.“, wurde sie von Adarwen aufgeklärt, die die ganze Zeit aufgepasst hatte.

Die andere Blase hatte sie jetzt überholt. Ein kleines Mädchen, an der Hand einer erwachsenen Frau, hatte sich zurückgedreht und starrte sie an. Auch sie war reich geschmückt, aber auffälliger war der schwarze Abdruck auf ihrer Stirn, der aussah wie ein Blatt.

Auf einmal streckte das Mädchen die Zunge heraus.

„Diese Göre!“, empörte sich Lika, Sadira bähte zurück.
„Lass nur, das galt mir...“, winkte Thalia ab.
„Ach, wirklich?“
„Wirklich.“
„Das da vor uns ist eine alte Familie von Drachenjägern.“, sagte Adarwen, „Thalias Familie ist schon ewig mit denen im Clinch.“
„Ich hab mit denen bestimmt nichts am Hut.“, versicherte die Hexe.

Fängt ja toll an., dachte André.

Umso weiter sie kamen, desto klarer wurde das Wasser. Kleine Lichter trieben überall um sie und ließen die Luftblasen gespenstisch schimmern. Mit dem Licht wurden auch zwei große, weiße Säulen sichtbar, die den Torbogen hielten, damit der Durchgang nicht von den Felsmassen darum verschüttet wurde. Das war der Punkt, wo man sich ernsthaft fragen musste, ob das hier noch ein See war. Die Seeschlange verschwand im Durchgang, was hieß, dass sie ihr wohl oder übel folgen mussten.

„Seeungeheuer werden sich auf uns stürzen, Speere stoßen aus den Wänden hervor, doch wir weichen aus! Links – rechts, aber dann ist da dieser riesige Igelfisch, der -“
„Sadira!“, schnauzte Lika und die Kämpferin hielt in ihrer ausladenden Bewegung inne. André schob ihre Hand vor seinem Gesicht beiseite.
„Sei bitte so gut und HALT DIE KLAPPE!“ In diesem Moment wurde es stockdunkel, denn sie passierten gerade die zwei Säulen. „...und mach mal Licht.“ Sadira fühlte sich irgendwie ausgenutzt, aber gehorchte.

Der Durchgang stellte sich als enge, aber ungefährliche Röhre heraus, die nach kurzer Zeit steil nach oben führte. Sie endete in einem Wasserbecken, das sich in einer großen Halle befand. Die Luftblase der Ritterinnen erreichte die Oberfläche mit drei anderen gleichzeitig. Um sie herum schwamm die Seeschlange ihre Kreise. Sie schafften es an den Rand des Beckens, dann zerplatzte die Blase und sie standen wieder an Land. Zeit sich in der großen Halle umzusehen.
„Eine alte Zwergenhalle...“, murmelte Adarwen und drehte sich auf der Stelle, um die Decke im 360° Rundblick zu betrachten. Die Wände waren genau so wie die Säulen, die die Decke stützten, aus weißem Marmor. Zahlreiche Runen waren eingemeisselt, keiner der Anwesenden konnte sie übersetzen. Die Zwerge waren schon lange ausgewandert und mit dem hellen Deckenlicht wirkte die Halle eher wie ein großes, exklusives Einkaufszentrum. Neben den Säulen standen Palmen in Kübeln und rote Banner zeigten das Logo des magischen Turniers. Das kleine Männlein war zu einer Gruppe junger Damen in Kostümen gegangen, die alle gespannt darauf warteten, ihren Job zu tun, nämlich die Gruppen einzuweihen. Es wurde auch langsam Zeit, denn der Platz wurde immer knapper, mit jeder Gruppe, die ankam.

„Willkommen in den Räumlichkeiten des Turniers des gemeinsamen magischen Reiches. Dürfte ich erfahren, wer sie angemeldet hat?“, begrüßte sie ihre Instrukteurin. André hob leicht grinsend seine Hand.
„Ah, Herr André Hibis, das genügt schon. Möchten sie erst einen großen Rundgang durch die Gebäude, einen kleinen, soll ich ihnen erst ihr Zimmer zuweisen oder wollen sie sich gleich ihre Nummer ziehen?“
„Ähhh...“
„Nummer ziehen!!“, platzte Sadira heraus.
„Wunderbar. Folgen sie mir!“ Mit einem Honigkuchenpferdegrinsen stakste sie auf ihren Pfennigabsätzen davon. Lika, die sich gerne noch die historischen Bauten angesehen hätte, warf Sadira einen sauren Blick zu. „Nummer ziehen...“, grummelte sie und schlurfte hinterher.

Es war nicht zu übersehen, dass offensichtlich viele, teils sehr seltsame Gestalten, Adarwen zu kennen schienen. Andauernd verfolgten sie Blicke, es wurde gewunken oder zugezwinkert. Adarwen wurde schon richtig verärgert.
„Sag mal... woher kennst du die alle?“, wunderte sich Thalia, die eigentlich geglaubt hatte, ihre Freundin zu genüge zu kennen.
„Meine Kontaktmänner.“, zischelte Adarwen.
„Die sollen damit aufhören, die Leute schauen ja schon misstrauisch.“ Sie fingerte nervös an ihren Ohrringen herum und fragte sich, woran es lag, dass all diese Personen sie wiedererkannten. Aber vielleicht lagen die Blicke auch nur daran, dass sie eine ziemlich skurrile Gruppe waren. Vorwiegend weiblich und die einzige männliche Person trug eine grasgrüne Lederrüstung. Dann kam auch noch Thalia dazu, die ihren blauen Phönix auf der einen, ihren Drachen Arco (geschrumpft) auf der anderen Schulter trug. Ihre Laufechse hatte sie zu Hause bei Grischmo lassen müssen. Sie machte sich schon die ganze Zeit Sorgen um sie. Unberechtigt. Im Moment wuselte sie gerade über Grischs Labortisch und warf die ganzen Apparaturen um, an denen er schon längere Zeit geforscht hatte.

Die Losziehung war nicht weiter spektakulär. Durch eine gezogene Nummer wurde man seinem Gegner in der Vorrunde zugeteilt, um Chancengleichheit zu schaffen.

Als André, Sadira und Thalia ihre Nummern gezogen hatten(für die Schattenfuchsjagd gab es keine Vorrunde, dafür wussten Lika und Adarwen immer noch nicht richtig, was sie erwartete), stand ihre Willkommenstante wieder bereit.
„Ich werde sie jetzt zu ihren Unterkünften führen, bitte folgen sie mir!“ Und beim Reden brachte sie kaum die Zähne auseinander. Die Karawane zog weiter. Sie schlängelten sich durch die Grüppchen hindurch und versuchten dabei denen, die sehr nach Barbaren (erkennbar an Bartwuchs und großer Zweihänderaxt) aussahen, nicht zu Nahe zu kommen. Von der Halle mit den Anmeldungsschaltern aus (hinter der Empfangshalle gelegen) führten rechts und links Gänge in die weiteren Räumlichkeiten. Sie nahmen den linken und sofort begann ihre Führerin mit ihrem Redeschwall. „Unser Gebäude umfasst eine Fläche von 120 km², davon sind 100 unortbar. Der Gebäudekomplex umfasst fünf Stockwerke, zwei unter und drei über der Erde. Wir befinden uns im Moment im zweiten Untergeschoss. Die Räume in diesem Gang sind Konferenz- und Sitzungsräume, Gemeinschaftsräume...wir betreten jetzt den Teil blablabla...“

Sadira schaltete ab. Sie würde so wieso später eine der anderen fragen.

Im ersten Untergeschoss befand sich dann ihr Zimmer, das eigentlich ziemlich geräumig war. „Bitte erscheinen sie in zwei Stunden zu ihren Kämpfen, über die Aufstellung können sie sich in einer Stunde in Halle zwei informieren. Das war‘s.“ Zum Glück, dachte Sadira.
„Gibt es noch etwas, das sie wissen wollen?“ Nein, verzieh dich, Ziege.
„Ähhm... nur ein Zimmer?“, fragte André vorsichtig.
„Leider ja.“, sagte die Dame und klang unecht, dann schloss sie einfach die Tür. Der Halbelf blinzelte perplex. Er saß in einer Zwickmühle. Seine guten Manieren verbaten es ihm, im gleichen Raum mit so gut wie unbekannten Frauen zu übernachten. Er sah in die Runde.
„Tut uns ja sooo leid, Andrélein, aber du wirst wohl mit uns Vorlieb nehmen müssen...“, kam es von Thalia.
„Ähm, nein, so hab ich das nicht-“
„Hier gibt es nicht so viel Luxus wie beim ASN, da können wir nichts für dich machen.“, stimmte Adarwen mit ein.
„Selbst für eine herausragende Persönlichkeit wie dich nicht.“, ergänzte Sadira. Lika schwieg einen Moment, dann sagte sie:
„Leute... wir haben nur vier Betten...“



Thalias erste Runde...


Es war eine äußerst ungünstige Verteilung der Kampfplätze: Die magischen Vorkämpfe fanden unten im zweiten UG statt, Lanzenreiten logischerweise draußen im Freien und die normalen Kämpfe auf dem Dach. Adarwen und Lika saßen in der Zwickmühle.
„Also, meine Kämpfe müsst ihr euch nicht anschauen.“, beteuerte Sadira und knackte mit den Fingern. Der Kommentar wäre nicht nötig gewesen, keiner der Anwesenden zweifelte daran, dass sie es in die Endrunde schaffen würde. Da André erst in einer Stunde dran war (und eh aus Bescheidenheit verneint hätte), begleiteten er und die beiden anderen Thalia zu ihren Kämpfen. Zum ersten Mal passierten sie eine Garde Echsenmenschen, die das Sicherheitspersonal darstellten und am Eingang der Austragungshalle aufgestellt waren. Lika war begeistert, sie hatte schon viel von diesen Wesen gehört.
„Es ist einfach eine faszinierende Spezies! Magie kann ihnen nur in rauen Mengen etwas anhaben...“
„Also genau das, was es hier gibt.“, warf Thalia ein.
„Außerdem haben sie viel mehr Kraft als ein normaler Mensch. Sie sollen ja einen guten Intellekt haben... und hören...“, flüsterte Lika, „...können sie über die Haut.“

André musterte die Wächter mit Unbehagen.
„Naja... sie können aber auch ganz schön herrisch sein...“, murmelte er und erntete verständnislose Blicke.

Sie betraten die Halle und mussten feststellen, dass diese schon ziemlich voll war. Überall um die Ringe hatten sich Gruppen gescharrt, Schiedsrichter in roten Roben liefen auf und ab. Auf dem großen Banner, das an der Wand hing, stand: „Harmonie herrscht“.
„Was soll das bedeuten?“, wunderte sich Adarwen.
„Das heißt, dass es auch Schwarzmagier hier gibt.“
„Schwarze Magie ist erlaubt?“, fragte Lika.
„Wenn es Teil deiner Kultur ist, ja.“, nickte Thalia. Als ein afrikanischer Medizinmann mit einer Voodoopuppe vorbeikam, verstanden sie.

„Mh. Jetzt stell dir mal vor, alle Schwarzmagier hier tun sich zusammen und greifen auf einmal die Wächter an...“, begann Adarwen zu phantasieren.
„Na dann würden sie aber ziemlich Probleme mit den guten Magiern bekommen... Ganz zu schweigen von den ganzen Paladinen, die ich hier schon gesehen habe.“, spann Lika weiter. Thalia schüttelte genervt den Kopf.
„Schaut mal!“ Sie zwinkerte mit den Augen, wie sie es tat, wenn sie etwas in Brand steckte. Nichts geschah. „Das hier ist ein Magie-leerer Raum. Zaubern geht nur im Kampfring. Außerdem nehmen nicht allzu viele Schwarzmagier Teil.“

„Schade.“, seufzte Lika. „Was ist daran bitteschön schade?“, zischelte Adarwen, aber Lika war abgelenkt, weil sich gerade Thalias erster Gegner auf der anderen Seite des Rings eingefunden hatte. Es war ein junger Magier, fast noch ein Kind. Seine zu große Robe und die Unsicherheit, die er in großen Maßen ausstrahlte, ließen ihn nun wirklich nicht gefährlich wirken. Dann entdeckte er Thalias Phönix und schaute ganz fasziniert.
„Ach Gottchen.“, seufzte Thalia, „Ich hasse es, wenn große Magiermeister ihre Lehrlinge mit vorschicken, um ihre Chancen zu erhöhen.“
„Naja, ich weiß nicht. Die, die harmlos wirken, sind doch die Gefährlichsten.“, grinste Lika. „Geh nicht immer von dir aus.“, sagten Thalia und Adarwen im Chor und sofort darauf ertönte der Gong. Sie hörten eine Stimme im Saal, die Schiedsrichter und Duellanten bat, in den Ring zu steigen. Thalia vertraute Adarwen Arco und Churel an und betrat den dunkelblauen Kreis, der auf den Boden gemalt war, gleichzeitig mit ihrem Gegner und dem Schiedsrichter. Sobald sie alle im Ring standen, wurde die Barriere darum aktiv. Etwas, das aussah wie kleine silberne Kometen, zog ununterbrochen um sie ihre Kreise.

„Alle Zuschauer werden gebeten, sich vom Ring fernzuhalten!“
Thalia hörte nicht mehr auf Stimmen von außen. Die Konzentration, die sich in einer ernsten Situation bei ihr einstellte, war eine ihrer größten Stärken und unabdingbar für eine gute Hexe. Es war ihr klar, dass man einen guten Magier nicht an Äußerlichkeiten erkennen konnte, aber sie konnte das Herz des Jungen bis hierher schlagen hören und das war keine gute Voraussetzung für ein Duell.

„Sei nicht zu grob zu ihm!“, rief Lika ihr von draußen zu und der Junge schaute noch entsetzter. Na toll. Thalia ballte ihre Hände zu Fäusten, dann entspannte sie sie wieder zur Lockerung. Der Schiedsrichter räusperte sich. Wegen ihr konnte es losgehen.
„Seid ihr bereit?“ Sie antwortete mit einem klaren „Ja!“, der Junge nickte leicht gequält. Thalia fragte sich so langsam, ob der junge Magier nur mitmachte wegen irgendwelchem Ehre-Geschwafel seiner Familie.
„Dann beginnt jetzt das Duell.“
Thalia hob langsam die Arme und hielt sie über Kreuz vor ihrer Brust, die Handflächen ihrem Gegner zugekehrt. Eine klare Abwehrposition.
„Fang an.“, ließ sie ihm den Vortritt. Der Magierlehrling wusste nicht so ganz, was er damit anfangen sollte, aber dann hatte er sich entschieden und hob ebenfalls seine Hände. An der Art, wie er sie für seine Zauber bewegte, konnte Thalia ablesen, wie weit er mit seinen magischen Kräften gediehen war. Sie benutzte Worte und Arme nur zum Abwehren oder wenn sie einen Zauber noch zusätzlich stärken wollte, denn es war für ein geschultes Auge sofort erkennbar, was man vorhatte, wenn man wild durch die Gegend gestikulierte.

„Brenne!“ Sie war doch ganz überrascht, als er sie mit Feuer angriff, weil Feuer bei weitem am schwersten zu kontrollieren war. So ganz funktionierte es auch nicht. Anstatt dass ein Kegel aus Flammen aus seinen Händen kam, schossen Feuerkugeln hervor. Sie rasten ohne Kontrolle auf Thalia und den Schiedsrichter zu, prallten an ihrem Schild ab und knallten mit voller Wucht gegen die magische Barrieren. Der Magierlehrling duckte sich, als ein Feuerball auf ihn zuschnellte und knapp über seinem Kopf verpuffte. Schwarzer Rauch stieg vom Ring auf, der alle darin zum Husten zwang. Die Zuschauer sahen gar nichts mehr. Thalia schüttelte den Kopf. So ging man wirklich nicht mit Feuer um. Sie blinzelte und mit einem Rauschen loderte zu Füßen ihres Gegenübers eine Stichflamme auf, die seine Robe in Brand setzte. Er schreckte zurück und stolperte aus dem Ring.

„Die Siegerin ist die Hexe im weinroten Kleid.“
„Ich heiße Thalia!“, schnauzte die strahlende Gewinnerin den Schiedsrichter an, „Und das ist kein Kleid! Sind sie blind?!“ Tatsächlich trug sie einen langen, schweren Rock und ein Oberteil mit Trompetenärmeln, das vorne geschnürt war. Außerdem hatte sie reichlich Ruß im Gesicht. André, Adarwen und Lika am Rand klatschten begeistert.

Sich den Schmutz von der Kleidung klopfend stieg Thalia aus dem Ring. Gerade eilte ein Helfershelfer herbei, um die Flammen zu löschen, doch auf den Befehl der Hexe hin verschwanden sie von selbst. Der blaue Phönix erhob sich von Adarwens Schulter und nahm wieder seinen Stammplatz ein.
„Unspektakulär, aber das war’s.“, verkündete Thalia mit einem Victory-Zeichen.
„Mh... scheint so, als wolle er noch ein Interview.“, meinte Lika vergnügt und nickte in Richtung Zauberlehrling, der ganz alleine da stand und gar nicht enttäuscht schien. Er betrachtete sie mit glänzenden Augen. „Entschuldigt mich mal kurz...“, bat Thalia auf einmal ganz ernst. Das war kein Problem, denn André musste jetzt so wieso zu seinen Vorprüfungen und Adarwen und Lika... wollten eigentlich mit.
„Na schön...“, seufzte Thalia, „aber kommt noch mal vorbei, wenn’s geht.“


...und wie sich die anderen so schlagen


Es tat gut, wieder an der frischen Luft zu sein. Herrlichster Sonnenschein ließ die Banner in den leuchtendsten Farben strahlen, das Gras duftete und Pferdewiehern lag in der Luft. Der Austragungsort selbst war eine lange Bahn, auf der die zwei Gegner, durch eine Holzlatte von einander getrennt, aneinander vorbei reiten mussten. Die Tribünen zu beiden Seiten waren erst zur Hälfte besetzt, es war noch Zeit.

„Ich sollte mich einreiten.“, murmelte André und stapfte ohne weiteres los. Er wirkte weggetreten, schon seit sie wieder im Freien waren.
„Er ist ein bisschen aufgeregt.“, stellte Lika fest. Adarwen nickte. „Scheint so.“ Die Kämpfe waren eine ziemlich anonyme Sache. Auf den Rüstungen der Ritter waren zwar ihre Wappen abgebildet, aber da niemand ihre Namen ausrief und sie alle Helme trugen, brachte das recht wenig. Wer Wetten abschloss, musste höllisch aufpassen, dass er nicht aus Versehen auf den Falschen setzte.

Als André vor ritt und seine Lanze in Empfang nahm, wurde er von einigem Gelächter begleitet. Das lag unter anderem daran, dass ihn viele erkannten – als Sekretär, nicht als Ritter. Und seine leichte Rüstung unterstrich noch mal sein Warmduscher – Image.
„Du schaffst das!“, rief Lika ihm von der Seitenlinie zu, „Los, mach mit, Adarwen.“
„Bist du verrückt?!“ Als Spionin würde sie ganz bestimmt nicht die ganze Aufmerksamkeit auf sich lenken. André drehte sich verlegen von ihnen weg (das Gelächter begleitete ihn immer noch) und klappte sein Visier herunter.
„Den steckst du locker weg!!“
„Mh, der scheint aber irgendwie mehr Erfahrung zu haben...“, sagte Adarwen und betrachtete zweifelnd den Ritter, der auf der anderen Seite seine Lanze in Position brachte.
„Fall wenigstens nicht runter!“, fügte Lika hinzu (lautes Gelächter), als André losritt.

„Autsch...“ Ein Raunen ging durch die Menge. Von Andrés Lanze waren vorne nur noch Splitter übrig. Sie war an der Rüstung des anderen zerschellt. André ritt einen Halbkreis, der andere Ritter wurde von seinem Pferd am Steigbügel hinterher geschleift.
„Wusste ich doch, dass ihn das motiviert.“, nickte Lika mit einem breiten Grinsen zu Adarwen herüber, die nur zweifelnd eine Augenbraue hob.


Auf dem Weg zum Dach kam Lika so mancher humpelnde Krieger entgegen. Sie blickte (oder blickte lieber nicht) in lauter Gesichter mit blauen Augen, geschwollenen Lippen und blutenden Nasen.

Wirklich gute Zeichen.

Und als sie oben ankam und die Zuschauertribüne betrat, brach das versammelte Publikum in Toben aus. Nicht wegen ihr, wegen Sadira unten im Ring. Sie hatte einen weiteren grandiosen Sieg hingelegt und war in kurzer Zeit zum Liebling des Publikums geworden. Es war viel Publikum. Die ganze Dacharena war voll. Das Gejubel verebbte, als der nächste Kampf angesagt würde. Der Gewinner würde Sadiras nächster Gegner sein. Lika konnte sich den Kampf genau zwei Minuten lang ansehen, dann zwang sie ihr Magen, sich abzuwenden. Sie beschloss, ihre Freundin unten bei den Kämpferquartieren zu suchen. Ihr erstes Problem, die Wachechse beim Eingang der Räume, die nur für die Kämpfer da waren, trat einen Schritt beiseite, als sie vorbei wollte.
„Vielen Dank auch!“, murmelte Lika nur überrascht und die Echse züngelte „Hrrs-ssss!“ zum Gruß. Ihr zweites Problem war eine Massenkeilerei hinter der nächsten Ecke. Sie wurde schlichtweg ignoriert, aber sie kam nicht durch den Gang. Sie hatte keine Lust, unter die Axt dieser grobschlächtigen Männer zu kommen. Naiv, wie sie war, versuchte sie es mit Diplomatie.
„Eh... Leute? Könnt ihr euch nicht einfach vertragen?“ Sie glaubte, einen Knochen knacksen zu hören.
„Lass mich mal...“ Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter und drehte sich um. „Sadira... wo kommst du denn her?“
„Vom Klo. Auf der anderen Seite des Gebäudes. Die sind hier irgendwie frauenfeindlich...“ Sie verstummte beim Anblick der Schlägerei und schüttelte den Kopf.
„Diese Barbaren! Bloß, weil sie fest draufhauen können, denken sie, sie könnten hier punkten... HEY JUNGS!“ Alles verharrte in seiner Bewegung. Ein Helm kullerte zu Boden. Die versammelte Männlichkeit starrte Sadira an.
„Sadira-Boss!“, kam es wie aus einem Mund.
„Benehmt euch!“, sagte der „Boss“. Endlich kam mehr oder weniger geordnete Bewegung in den Haufen.
„Du hast die ja alle unter deiner Fuchtel!“, lachte Lika, als sie mit Sadiras Tasche das Gebäude verließen. Heute wurde nicht mehr gekämpft. Morgen, in der zweiten Vorrunde ging es weiter.
„Sie müssen noch eine Menge lernen, was Stil angeht, aber eigentlich sind sie ganz in Ordnung.“ Sie kamen dem Grasplatz näher, auf dem immer noch mit Lanzen geritten wurde. „Wie schlägt sich unser Sekretärchen?“
„So weit Adarwen und ich gesehen haben, ganz gut... Adarwen ist jetzt zu Thalia zurückgegangen. Alles geht irgendwie so einfach...“ Sie gingen an der Bahn vorbei, wo gerade ein völlig schwarzer Ritter einen anderen extrem unsanft aus dem Sattel hebelte.
„Der sieht ungemütlich aus...“, sagte Sadira und blieb fasziniert stehen. Lika zog sie am Taschengurt hinterher.

Die Ställe waren ebenfalls von Wachechsen bewacht, aber sie wussten anscheinend, wer befugt war und wer nicht, denn wieder einmal wurden sie durchgelassen. Sie hatten zwei Reihen Pferdehintern vor sich und am Ende des Stalls stand eine Schlange an Reitern, die sich in eine Liste eintragen ließen. André hatte das schon hinter sich und kam winkend zurück. Er ging ein bisschen komisch, aber er sah zufrieden aus.

„Und schon bin ich eine Runde weiter!“
„Dann sind wir schon mal zwei!“, grinste Sadira zurück.
„Lasst uns schnell zurückkehren, ich muss aus dieser Rüstung raus...“ Man sah es ihm an.


Also ging er schon einmal vor zu ihrem Zimmer und Sadira und Lika gingen Thalia und Adarwen abholen. Sie fanden sie, wie sie an einem Blumenkübel stand, wo Thalia gerade ihre Stiefel hineinleerte. Sie war klatschnass.
„Irgendetwas passiert?“
Thalia funkelte sie sauer an und antwortete nicht.
„Ihre letzte Gegnerin... hatte etwas gegen Feuer.“, sagte Adarwen und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ja... und?“
„Nichts, „ja, und“!“, sagte Thalia in scharfem Ton, „Ich bin weiter.“ Diabolisch grinsend fügte sie hinzu:
„Meine Gegnerin ist nicht so glimpflich weggekommen wie ich...“
„Aber hättest du dir was aufgespart, könntest du dich jetzt trockenzaubern...“, war Likas neunmalkluge Bemerkung.
„Entschuldige!“, grummelte Thalia, und schlüpfte wieder in ihre Stiefel,
„Aber zaubere DU fünf Stunden durch und hab dann noch Nerven, Wasser abzusaugen!“ Sadira warf ihr ein Handtuch aus ihrer Tasche auf den Kopf.
„Los, wir sind fertig hier...“

Auf dem Weg zu ihrem Zimmer kam die unauffällige Frage nach Nea auf, ob sie jemand gesehen habe... und auf einmal merkten sie... dass sie sie schon seit einem halben Tag nicht mehr gesehen hatten. Was vielleicht nicht aufgefallen war, weil es – normal war?

Als André gerade die Tür öffnete, als sie ins Zimmer wollten, war die Frage aber wieder ganz schnell vergessen.
„Wie siehst du denn aus?“ André verstand Sadiras Frage erst nicht. Verdutzt schaute er an sich herunter. Hemd, Fliege, dunkle Jacke, schwarze Hose, die Schuhe auf Hochglanz poliert... Stimmte doch alles!
„Was...?“ „Hast du heute noch was vor?“ Er schwenkte seinen Blick zu Lika herüber, die diese Frage mit unschuldigem Blick gestellt hatte.
„Ja, natürlich – zur Eröffnungsfeier.“

Es gab eine Eröffnungsfeier?!! Wieso hatte ihnen das niemand gesagt?!
„Was denn? Steht doch alles im Programm!“ Er zog eine kompakte Broschüre aus seiner Tasche hervor. Es gab ein Programmheft?!

„Ehm... ich hab’s gewusst...“, sagte Adarwen leise und hob vorsichtig die Hand. Danke auch, dass du das für dich behalten hast!

„Ich an eurer Stelle würde mich beeilen. Es geht in...“, André sah hastig auf seine Armbanduhr, „...na...20 Minuten los.“ Umzieh – Marathon – Start!



Eine rundum unschöne Feier


Die Eröffnungsfeier fand in der großen Eingangshalle statt, die Schalter waren nicht mehr vorhanden. Ein Teil war durch einen zusammengerafften, roten Vorhang abgetrennt worden. Dort standen einige Sessel und kleine Tische, jemand spielte auf einem Konzertflügel. Kellner liefen herum und verteilten Sektgläser an die Gäste. Wer hier war, war auf jeden Fall mindestens in einer Disziplin weiter gekommen, die Verlierer waren schon wieder nach Hause gefahren. „Weckt irgendwie Erinnerungen...“, meinte Thalia, als sie am Ende des Ganges standen und in die Halle blickten. Ihr Phönix auf ihrer Schulter pfiff sich erinnernd. „Buffet...“, sing-sangend schlurfte Sadira davon. „Dann wollen wir mal.“, seufzte Lika sich selbst beruhigend. Sie mochte solche Veranstaltungen nicht besonders und wusste auch nicht, was sie hier sollte. Und als hätte sie es vorher gewusst, stieß sie mit dem ersten Schritt, den sie in die Festhalle tat, mit jemandem zusammen. „Verzeih-“ Sie verstummte, als sie das Lindenblatt auf der Stirn des Mannes sah.

„Hexenpack!“, murmelte er, drehte sich ab und ging weiter. Man sah bei Lika die Wut förmlich in den Kopf steigen. Adarwen wollte sie gerade noch aufhalten, aber es war zu spät. „Nehmen sie das zurück – sofort!“ Der junge Mann stoppte seinen Schritt und drehte sich langsam um. Jetzt stieß auch noch der Rest der Familie zu ihm. Man unterhielt sich, beachtete sie und ihn nicht weiter. Kurz angebunden, wie er war, antwortete der Spross der Familie kalt: „Ich entschuldige mich nicht bei Hexenpack.“ Lika wollte sofort etwas hinzufügen, da schaltete sich die Mutter ein.
„Siegfried, Junge, belästigt dich dieses Gesindel etwa?“
„Nein Mutter, sich wollte gerade gehen.“ Jetzt war Lika, Vorkämpferin für gepflegte Umgangsformen, nicht mehr zu halten.
„Gute Frau, ich erwarte, dass sich ihr Sohn bei uns entschuldigt!“
„Lass mal, Lika...“, sagte Thalia, die sich bis jetzt dezent im Hintergrund gehalten hatte. Sie hatte es gelernt, Beleidigungen weg zu stecken und an passender Stelle zurück zu schlagen. Die „Gute Frau“, die ganz in Rot gekleidet und mit ihrem gelben Hut aussah wie eine überdimensionale Adventskranzkerze, attackierte Lika mit einem herablassenden Blick, bevor sie sich an ihre Kinder wandte und sagte: „Schaut sie euch gut an, Kinder, damit ihr euch erinnert, wenn sie morgen nach einer Niederlage gegen uns im Staub kriechen.“ Einige der Kinder waren noch klein. Es gab zwei erwachsene Söhne und eine erwachsene Tochter, zwei Söhne zwischen sechs und fünfzehn und die Kleinste schätzte sie auf gerade mal fünf. Ihr war es unangenehm, vor diesen Kindern einen so unschönen Streit mit deren Mutter zu führen und zügelte ihren Zorn.
„Ziemlich schwach, andere zu erniedrigen, um sich selbst zu erhöhen. Sie sollten sich schämen, ihren Kindern-“
„Also bitte, was gibt es dann da noch zu erniedrigen?!“, murkste die Clanmutter Lika ab. Diese Frau diskutierte wirklich unfair. „Ich wundere mich wirklich, wie man so etwas wie sie hereinlassen konnte!“ Sie nickte zu Thalia, die inzwischen die Arme verschränkt hatte und ziemlich düster drein blickte.
„Vergiss es, Lika. Es hat keinen Zweck mit Leuten zu diskutieren, die geistig im Mittelalter stecken geblieben sind.“ Der Blick der Mutter verhärtete sich und heftete sich an Thalia fest. Aber die eisblauen Augen der Hexe hielten so ziemlich allem stand.
„Warte nur, Hexe, bis wir dich und deine bestialischen Kreaturen mit unseren Schwertern des Guten niederstrecken werden.“ Churel krächzte empört und Thalia strich ihm beiläufig über den Hals, um ihn zu beruhigen.
„Bei den Magie-Duellen sind keine Waffen zugelassen!“, lenkte Adarwen ein. Sogleich galt ihr die volle, angeekelte Aufmerksamkeit.
„Unsere Familie nimmt nicht an dieser niederen Disziplin teil!“
„Zu schade auch, nicht wahr?“, meinte Adarwen mit sarkastischem Unterton, „Und im Lanzenreiten habt ihr gegen André Hibis verloren, so ein Pech aber auch.“ Adarwen war bestens informiert. Ein kleines Lächeln stahl sich auf die Gesichter ihrer Freundinnen. Es wurde ein bisschen unsicher, als der erwachsene Teil der Familie verhalten zu lachen anfing. „Natürlich hat unser Siegfried gegen André Hibis verloren.... weil es André Hibis ist. Nur ein Idiot würde einen hohen Beamten des ASN bloßstellen.“ Es fiel ihnen schwer zu widersprechen. Die Tatsache, dass er so weit gekommen war, obwohl so viel andere viel erfahrener waren als er, ließ keinen anderen Schluss übrig. Man hatte ihn gewinnen lassen. Adarwen war da anderer Meinung.
„Es sah aber wirklich sehr überzeugend aus, wie du vom Pferd geflogen bist, Siegfried. Vielleicht solltest du Schauspieler werden.“ Ja, sie hatte es angesehen, wie André gegen den Erstgeborenen der Drachenjäger gewonnen hatte und der letztere hatte einen sehr gelungenen Sturz auf seinen Allerwertesten zu verbüßen gehabt.
„Kein Regisseur würde-“, setzte Thalia an, als sie einen Schlag ins Gesicht bekam.

Einen Flügelschlag, von Churel, der aufflog.

„Bleibst du hier!“ Sie schob sich zwischen Lika und Adarwen durch und brauste mitten durch die versammelte Familie, die zu den Seiten auswich, um ihren Phönix wieder einzufangen. „Schönen Abend noch!“ Adarwen schnappte sich Lika und die beiden verdünnisierten sich. Dieser Abgang war zwar nicht besonders würdevoll, aber es war ein Abgang – und das war die Hauptsache. Churel flog durch den ganzen Saal, wischte einem Kellner mit seinem Schweif durchs Gesicht (er konnte nur das Gleichgewicht halten, weil Thalia ihm mit Zauberkraft nach half). Die Wachechsen wurden schon unruhig, als der blaue Phönix unter dem roten Vorhang abtauchte und im ruhigeren Teil der Halle verschwand.
„Wenn ich dich in die Finger kriege!“, knurrte Thalia und schob den Vorhang zur Seite. So eine Vorstellung vor der verfeindeten Familie abzulegen war verdammt peinlich! Churel stand eine gewaltige Standpauke bevor. Aber erst einmal musste sie ihn finden. Ihr Blick schweifte durch den abgegrenzten Bereich, der in leichtem Schummerlicht lag. Dicke Teppiche waren auf dem Boden ausgelegt. Man unterhielt sich nur gedämpft zum Spiel des Pianisten.
„Uuhh, die Schönen und Reichen.“, ertönte Adarwens Stimme hinter Thalia. Lika im Hintergrund entschuldigte sich gerade noch bei einem Kellner, dass sie sein Tablett umgeworfen hatte.
„Ich freue mich schon aufs Belauschen.“, sagte die Spionin und rieb die Handflächen aneinander. Man hörte einen gedämpften Krächzer aus einer bestimmten Ecke.
„Na warte!“, sagte sich Thalia und betrat selbstsicher diesen Bereich der Creme de la Creme unter Kreisen, wie sich die magische Gesellschaft nannte, wenn sie unter sich war. Ein paar Gesichter glaubte sie schon auf der Gala 13 gesehen zu haben, aber viele waren ihr unbekannt. Es war eben nicht nur der Freundeskreis des Barons eingeladen.
„Das da drüben ist Phipspaat höchst persönlich!“, flüsterte Adarwen den anderen beiden zu. „Und der Mann daneben mit den etwas hellblonden Haaren und dem Sektglas in der Hand ist Lazuli Senior. Bestimmt die Hälfte der Leute hier dürfte schon einmal einen Kredit bei ihm aufgenommen haben.“ Thalia kam der hochgewachsene ältere Herr, dessen Haar schon grau durchzogen war, bekannt vor, auch vom Namen her, aber ihr blieb keine Zeit darüber zu rätseln, weil sie genau in diesem Augenblick ihren Ausreißer entdeckte. In der hintersten Ecke des Raumes stand eine Vogelstange. Churel hatte sich darauf niedergelassen, zu Seiten eines rot – goldenen Phönixweibchens. „Casanova!“, schimpfte die Hexe und streckte ihren Arm aus. Wenig reumütig und schweren Herzens verabschiedete Churel sich von seiner neuen Bekanntschaft und nahm wieder auf Thalias Arm Platz.

„Guten Abend, ihr von der Fünftafel.“

Die drei Ritterinnen schreckten herum. Auf einem Sessel neben der Vogelstange saß eine Frau. Sie war wahrscheinlich schon die ganze Zeit dort gesessen, ihnen aber einfach nicht aufgefallen. Ihr Gesichtsausdruck war verträumt, ein leichtes, wissendes Lächeln lag ihr auf den Lippen. Langes, gewelltes, dunkelrotes Haar fiel über ihre Schultern. Sie war in leichten, dunkelblauen Stoff gehüllt, es konnte eine Robe oder auch ein Kleid sein, man konnte es wegen der Weite der Stoffbahnen nicht sagen. Ihre ringlosen, hellen Hände ruhten auf einer dunklen Kugel in ihrem Schoß.

„Da sind sie ja tatsächlich! Wie ihr vermutet hattet, meine liebe Karmesin!“ Die Frau musste kurz kichern, als sie diesen Ausruf des Barons vernommen hatte. Seine Stimme war so laut, als er ihnen im Laufen zugerufen hatte, dass sich einige Köpfe ihnen zuwandten, sogar der Pianist hörte kurz mit seinem Klavierspiel auf. Hinter dem Baron her – wie konnte es anders sein – schlurfte ein eher ausgelaugt wirkender André.
„Ich vermute nicht, ich weiß, mein Herr Baron.“ Die Frau auf dem Sessel musste ihre Stimme nicht heben. Sie sprach ganz leise und mit warmer Stimme und man verstand trotzdem jedes Wort. Der Baron ließ ein lautes, donnerndes Lachen verlauten, dann schüttelte er den drei Ritterinnen die Hand. André schnappte sich ein Sektglas vom Tablett eines vorbeieilenden Kellners und kippte es in einem Zug hinunter. Da hatte er also gesteckt.
„Ich habe mich eben schon ganz wunderbar mit André über sie unterhalten, nicht wahr?“ „Mh, ja, wirklich ganz wunderbar.“, meldete André resignierend. Er sah eher aus, als hätte er zwei Arbeitstage am Stück, ohne Schlaf oder Kaffee hinter sich.

„Wer ist das?!“, zischelte Lika Adarwen zu
„Der Baron.“
„Aha.“ Eigentlich wusste sie jetzt auch nicht mehr. Aber sie unterhielt sich ja gerne mit wildfremden Menschen, die über sie redeten, auf ungemütlichen Partys, nachdem eine Frau sie angekündigt hatte, die Lika ebenfalls nicht kannte! Sie war Namin und sie wünschte auf der Stelle eine Erklärung! Das sprach sie natürlich nicht aus...
„Sie kennen Karmesin?“
„Nein!“, rutschte es Lika heraus, bevor die anderen beiden den Mund aufmachen konnten. „Das überrascht mich jetzt allerdings...“ Wieder ließ der Baron einen seiner pompösen Lacher los. Es war nicht zu übersehen, wie André zusammen zuckte. Sich über einen längeren Zeitraum mit diesem Mann zu unterhalten musste wahrlich ein Martyrium sein.
„Ich bin Wahrsagerin.“, erklärte Karmesin schlicht. Das erklärte auch die dunkle Kugel, die sie bei sich hatte.

„Bescheiden wie immer!“, lachte der Baron. „Sie ist eine Spitzen –Seherin! Sie glauben ja gar nicht, meine Damen, wie sich die Leute um eine von ihren Vorhersagungen reissen!“

Karmesin schloss die Augen zu einem bescheidenen Lächeln.

„So leicht können sie drei der Fünftafel nicht überzeugen. Krähten sind ja besonders harte Brocken, aber da kein Fisch da ist, bleibt mir wohl nur die Suppe auszulöffeln.“

Fischmesser und Löffel – sprach sie davon?

Thalia, Adarwen und Lika sahen sich verständnislos an.
„Warum müsst ihr Wahrsagerinnen nur immer in Rätseln sprechen?“, seufzte Thalia, „Mich beeindruckt ihr damit nicht!“

Karmesin öffnete ihre Augen wieder. „Davon sprach ich gerade eben.“ Lika nickte und murmelte verstehend. Also wusste sie auch von Nea. Und von deren Skepsis. Lika sah sich flüchtig um, konnte die Diebin aber immer noch nicht entdecken.
„Also schön. Eine einfache Voraussagung, wie wäre es damit?“
„Das würdet ihr tun? Fantastisch! Wirklich fantastisch!“ Der laute Baron lockte viele Leute an, als Karmesin ihre Augen erneut schloss und ihre Finger ein Stück Stoff ihres Gewandes umgriffen. Sie waren unruhig, fuhren auf dem Gewebe auf und ab, bis Karmesin plötzlich ohne Warnung aufstand und die Augen öffnete.

Ihre Kristallkugel fiel herunter. Knapp über dem Boden fing André sie auf.

„Am letzten Tag des Turniers wird ein großer Held von uns gehen.“
Ihre Blicke wandten sich von der Kugel ab und Karmesin zu, aber sie schwieg und schaute ganz ruhig geradeaus. Alles begann zu tuscheln, André gab der dankbaren Seherin ihre Kugel zurück und der Baron schien der Nachdenklichste von allen zu sein-
„Also ein Held... ich wusste gar nicht, dass es in diesem verkommenen Haufen noch so etwas gibt!“ Die Allgemeinheit begann zu lachen. Aus einem unerfindlichen Grund verdinsterte sich Andrés Gesicht auf einmal und er verkrümelte sich aus dem Kreis. Irgendwie hatten die drei Ritterinnen das unschöne Gefühl, ihn nicht mehr lange bei sich zu haben...

Nach der Voraussagung entschieden sie sich von der Party zu gehen. Lika suchte Sadira und fand sie bei einem Saufgelage, einem Trinkwettbewerb, wo sie gerade dabei war, den ersten Platz zu machen. Lika konnte sie nur durch Ziehen und Zerren wegbewegen. Da sich André nicht mehr hatte blicken lassen, war er auch nicht auf dem Gang zu ihrem Zimmer bei ihnen. Also konnten sie in aller Ruhe über die Prophezeiung nachdenken und ob er wirklich der „Held“ war.

Auf einem der Betten lag ein Zettel mit der Aufschrift „Gutes Sicherheitssystem“. Das war für sie als Zeichen genug, dass sich Nea prächtig amüsierte.

Auf in den nächsten Tag...


Eine offene Rechnung


Schon bei der Versammlung auf dem Platz vor dem See hatte Nea gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Gleich, als sie die Echse gesehen hatte, die auf einer Mondsichel saß, das Zeichen der Bestienritter. Andere mochten es auch bemerkt haben, geschulte Augen. Adarwen vielleicht und andere Spione, aber für sie hatte dieses Zeichen nicht im geringsten Sinne so viel Bedeutung wie für Nea. Sie war durch alle Gänge, über alle Dächer geschlichen, war ein Dutzend mal nur knapp den Wachechsen entkommen, aber sie hatte nicht mehr herausfinden können. Die Gruppe, die das Zeichen der Bestienritter mit sich herumtrug, hatte fremde Gesichter. Ihre Freundinnen benachrichtigen konnte sie nicht. Noch nicht. Sie wusste nicht, ob sie es irgendwann können würde, aber wahrscheinlich würde sie es müssen, jetzt, wo sich die Bestienritter wieder in ihr Leben einmischten. Sie hatte eigentlich gehofft, dass das nicht der Fall sein würde und ein weiteres Mal wurde sie gelehrt, dass es besser war, gar nichts zu hoffen.

Geschäfte musste man abschließen, das wusste sie, auch als Diebin. Sie hätte nie einen Pakt mit diesen Leuten brechen sollen, nein, sie hätte gar nicht erst einen schließen sollen, aber... hatte sie denn die Wahl?

Den ersten Tag hatte sie in Unruhe verbracht, über ihre Freundinnen gewacht und gleichzeitig die Augen offen gehalten. Als schließlich das Zeichen kam, war es schon spät. Nea erkannte sofort den schwarzen Vogel, der neben einem Gargoyle auf dem Erker der Außenmauer saß. Er flog auf, sobald sie ihn sah, wurde untrennbar eins mit der Dunkelheit. Dort wo er gesessen hatte lag ein Zettel. Umsichtig kletterte die Diebin bei Wind und Wetter hinauf. Auf dem Zettel standen Ort und Zeit, sogar eine Beschreibung, wie sie zu dem Treffen kommen konnte, einem Treffen mit demjenigen, den sie eigentlich nie wieder hatte sehen wollen.

Ihre Vorsicht hatte es ihr beigebracht, immer früher da zu sein als gefordert, aber in diesem Fall hätte das böse enden können.

Sie wartete bis zum Morgen des nächsten Tages.

Nea nahm ihr Fischmesser vom Rücken und tippte damit auf den Fußboden. Bis zu einem bestimmten Radius wurde er durchschimmernd und sie konnte auf den Gang unter ihr sehen. Er war leer. Sie hangelte sich durch das soeben geschaffene Loch und sah sich erneut um. Über ihr wurde die Decke wieder massiv. Vor ihr war die Tür zur großen Bibliothek. Sie drückte die Klinke – nicht abgeschlossen. Auf einmal hörte Nea Geräusche, bekannte Stimmen, die sich dem Gang näherten. Schnell huschte sie zur Tür hinein.

„Adarwen, bist du dir sicher, dass wir das dürfen?“ Die Spionin und Lika standen vor der Bibliothekstür und starrten auf das Schild
„Für Unbefugte verboten.“. Sie ließen heute, am zweiten Turniertag , den Rest der Gruppe alleine und erkundeten das Gebäude. Adarwen zog die Tür, die nur angelehnt war, weiter auf. „Es hieß doch, wir dürfen überall rein, wo nicht abgeschlossen ist und dieses Zimmer ist nicht abgeschlossen.“ Nichts würde sie davon abhalten, in die Bibliothek zu kommen!

„Äh, Adarwen, du hast da so ein komisches Lodern in den Augen...“ Lika wollte ja auch, aber ihr Gewissen war irgendwie anderer Meinung.
„Jetzt komm schon – wir sind befugt: Wir können lesen!“ Die Spionin huschte durch den Türspalt und Lika blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.

„Meine Bibliothek ist aber größer!“

„Lika, halt die Klappe!“ Also war sie ruhig.

Adarwen ließ ihren Blick über die Bücherrücken schweifen. Lauter Stoff, der zum Spionieren wie geschaffen war: Familienchroniken, Geschichtsschreibung, ASN-Berichte; sogar Tagebücher! Schnurstracks ging sie auf ein Regal zu und zog
„Die Chroniken des Seevolkes“ heraus. Es machte >plomp<. Die beiden sahen zu Boden und entdeckten ein dünnes Büchlein, in schwarzes Leder eingebunden. Es war ziemlich zerfleddert, die Symbole auf dem Deckel wirkten exotisch und die Farbe, mit der sie aufgemalt waren, blätterte schon ab. In verschnörkelter Schrift war der Titel aufgedruckt: „Umbrarium“.

„Steckte das zwischen den Büchern?“, fragte sich Lika und hob es auf.
„Scheint so. Schlag mal auf.“ Lika hatte zwar immer noch Gewissensbisse, war aber zu neugierig. Vorsichtig klappte sie den Deckel auf – das Buch fiel fast auseinander.

„Das sind Zauberformeln!“, erkannte Adarwen sofort, „Lass es uns Thalia zeigen!“

„Aber – “

„Wir bringen es ja wieder zurück!“

„Na schön...“

Nea lauschte mit dem Ohr gegen die Rückwand des Regals gepresst. Ihr Herz hatte bis zum Hals geschlagen, als ihre beiden Freundinnen sich gerade an diesem Bücherregal zu schaffen gemacht hatten. Zum Glück hatten sie den Geheimgang nicht entdeckt, in dem sie jetzt war, der Geheimgang aus ihrer Nachricht. Als sich die beiden entfernten, machte sie sich erleichtert auf zu ihrem Treffen. Wenn sie Zeit hatten, im Gebäude herumzustreunen, war wohl nichts Außergewöhnliches passiert bis jetzt.

Nea stieg eine schmale Wendeltreppe hinab, passierte noch einen einfach aus dem Stein gehauenen Gang. Er endete vor der Statue eines Gargoyles, in dessen Maul ein Feuer brannte. Sie zog wie auf ihrem Zettel beschrieben am linken Ohr der Kreatur und sie setzte sich in Bewegung. Eine versteckte Tür schwang vor ihr nach innen. Sie betrat den Raum des Treffens.

Der Vogel krächzte, als sie den ersten Schritt in den Raum setzte und flog auf die Schulter seines Besitzers. Der hatte Ihr den Rücken zugedreht und stocherte mit einem Eisenstab in einem kleinen Kaminfeuer herum. Der Mann war sehr groß, wegen dem breiten Schulterschutz an seinem dunklen Umhang wirkte er wie ein Hüne. Seine langen Haare waren ebenso rabenschwarz wie der Vogel, glatt und glänzten matt im Feuerschein. Er hatte sie im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden. Jetzt drehte er sich zu Nea um und sie konnte sein Gesicht sehen. Blass war er, wie bei beim letzten Treffen, seine Augen tiefgrün. Sie duldeten keine Wiederworte und es fiel schwer, direkt hineinzusehen. Sein schwerer Mantel machte ein kleines raschelndes Geräusch, als er den Schürhaken an die Wand lehnte.
„Da ist sie ja.“, sagte der Mann mit gespielter Überraschung, „Es scheint, als müsste ich mich geehrt fühlen...“

„Lass das.“, entgegnete Nea kalt. „Was willst du?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Vielleicht war er ja wegen etwas anderem da...
„Ist das nicht offensichtlich?“ Seine Stimme klang wie Stein, dunkel und kalt zugleich. „Was sollte ich wohl von einer Diebin wollen, die eine Abmachung mit mir hatte und sie noch nicht erfüllt hat?“

Er machte sie mit seinen Augen nieder. Nea fühlte sich gezwungen, zu Boden zu blicken. Der Vogel krächzte.

„Was meinst du?“ Liebevoll kraulte der Mann seinem Tier durchs Gefieder. Sie hasste es, wenn er so tat, als würde er mit diesem Vieh reden. „Sie hat diese Leute in ihr Herz geschlossen und ist nicht mehr an uns interessiert? Nein, so was darfst du doch nicht denken!“ Er tätschelte seinem Vogel den Kopf. Der kniff die roten Augen zusammen. „Hast du nicht selbst gesagt, du hältst nicht viel von Gefühlsduselei, Nea?“

„Was weiß ich?!“, entgegnete die Diebin barsch.

„Du hast es vergessen?“, fragte der Mann mit kalter Freundlichkeit. „Hast du vielleicht auch schon vergessen, dass du uns den Stab bringen solltest?“ Nea starrte stur zur Seite.

„Nein. Und ich steige aus.“ Der Mann lachte leise. „Aussteigen? Dachtest du wirklich, das geht so einfach?“

Er griff nach dem Schürhaken und zog etwas aus dem Feuer. Es war ein menschlicher Schädel, der jetzt auf der Eisenstange steckte, durch die leeren Augenhöhlen konnte man das Eisen glühen sehen.

„Weißt du nicht, was mit Verrätern passiert?“ Sie verstand nicht.

Der Mann legte seine Hand auf den Schädel und zischelte eine unverständliche Formel. Auf einmal bildete sich über dem bloßen Knochen das ehemalige Gesicht. Es schien förmlich von seiner Hand aus zu wachsen.

Nea stockte der Atem. „Weißt du, wer das ist?“, fragte der Mann.

„Das ist Aicyn...“, murmelte Nea. Sie wollte sich abwenden, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht.
„Der Zentaur, genau. Das kommt davon, wenn man „aussteigen“ will.“ Er nahm seine Hand weg und Nea starrten wieder leere Augenhöhlen an.
„Ihr habt ihn also umgebracht?“, knurrte sie mit bebender Stimme.

„Nein, ich habe ihn „zurückgeschickt“.“

„Dann war das...“

„Nekromantie.“

Nea atmete auf. „Und damit drohst du mir?“ Sie wandte sich ab und wollte gehen.

„Hunde, die beißen, bellen nicht, Nea. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dich einfach gehen lasse...“

Sie drehte sich um.

Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich mich zurückhalten lasse, wenn du so weitermachst?“

„Gut, dann mache ich anders weiter. Ich kann mir den Tauchsieder auch selbst holen. Und deine Freundinnen werden das nicht überleben, glaub mir.“

„Lass sie in Frieden!“ Nea verengte die Augen und trat einen Schritt näher.

„Jetzt sprichst du meine Sprache...“, sagte der Mann und grinste.


Ohne Antworten in die Endrunde


In der Magierhalle war gerade eine kurze Pause, als Lika und Adarwen zurückkamen. Sie schoben sich ihren Weg vorwärts und fanden Thalia in Begleitung des kleinen Magiers aus der ersten Runde und eines Klerikers, der sie gerade verarztete. Scheinbar war ihr letztes Duell ziemlich knapp ausgegangen. Adarwen machte keine langen Umschweife, stellte sich vor Thalia, fragte „Was – ist das?“ und hielt ihr das Buch vor die Nase. Thalia wurde bleich. „Wo auch immer ihr das her habt – stellt es zurück!“, fauchte sie.
„Aber was-“
„Sofort!“, ließ sie Lika verstummen. Adarwen versteckte das Buch unter ihrem Umhang und nickte zaghaft.

„Ich hab Thalia noch nie so außer sich erlebt...“, sagte Lika noch ganz verwirrt, als die beiden durch die Gänge huschten.
„Jetzt wissen wir wenigstens, dass-“
„Ich HAB dir doch gesagt, dass wir nicht in die Bücherei dürfen!“
„Lass stecken...“, grummelte Adarwen, bevor sie um die Ecke zum Korridor mit der Bibliothek bog. Ohne Vorwarnung wurde sie zurückgeschleudert und knallte gegen Lika, die hinter ihr lief. Das kleine Buch fiel zu Boden. Adarwen hob es hastig auf und stopfte es unter ihren Umhang zurück und dachte erst dann daran, sich bei der Frau zu entschuldigen, in die sie gerannt war. Sie setzten ihren Weg fort. Bevor sie die Tür öffneten (sie war tatsächlich immer noch unverschlossen), versicherten sie sich diesmal, dass sie unbeobachtet waren. Der Gang war menschenleer.

Als Adarwen die Tür aufriss, sah sie Nea, die mitten im Raum stand, genau so erschrocken wie sie. Allerdings verschwand dieser Überraschungsmoment recht schnell bei Adarwen und Lika.
„Nea! Da bist du ja... irgendetwas rausgefunden?“ Lika fand, dass die Diebin ungewöhnlich blass war, als sie zügig auf sie zukam....
„Ich kann jetzt nicht mit euch reden, sorry...“ ... und an ihnen vorbei durch den Türspalt huschte. Als sie auf den Gang sahen, war Nea verschwunden. Lika sah Adarwen ratlos an. „Verbirgt sie etwas vor uns?“, fragte Adarwen. Lika zuckte mit den Schultern.
„Ich merke es zwar oft, wenn jemand lügt oder die Wahrheit sagt. Ich kann aber nicht erkennen, wenn jemand die Wahrheit nicht sagt.“ Sie standen einen Moment da und sahen sich grübelnd an. Schließlich sagte Lika:
„Machen wir, dass wir dieses Ding loswerden!“

Später am Nachmittag gab es einen Zwischenfall beim Magieturnier. Eine Frau wurde unter Winden und Wehren weggeführt. Eine der Wachechsen trug ein kleines Buch weg, das sie der Hexe weggenommen hatten. Es war die Frau, mit der Adarwen zusammengestoßen war.
„Sie muss gleich das Buch erkannt haben, als es dir runtergefallen ist.“, stellte Thalia in einer Pause fest. Sie sah schon ziemlich ausgelaugt aus, aber sie hatte nicht mehr viel zu tun, noch ein Duell vor Morgen.
„Ja, aber sie muss die ganze Bibliothek durchsucht haben.“, sagte Adarwen feixend.
„Und das ganze nur, um vom Turnier ausgeschlossen zu werden.“, seufzte die Hexe, „Dieses Buch ist voll mit der verbotensten Magie, die es überhaupt gibt. Wer so dumm ist, sie auch noch einzusetzen...“ Adarwen und Lika lächelten vorsichtig, bevor Thalia sie niedermachte. „Ihr hättet mich in Teufels Küche bringen können, wisst ihr das?! Wir hätten fliegen können, man hätte mir für immer verbieten können zu zaubern!“
„Was steht so was auch in einer unverschlossenen Bibliothek...“, verteidigte Adarwen sich kleinlaut.
„Das frag ich mich auch...“, wunderte sich Thalia, „Eigentlich müsste das Umbr – dieses Buch schon vollständig vernichtet worden sein...“

Adarwen war vor weiteren Standpauken gerettet und verschwand, um herauszufinden, wem dieses Grundstück und das Gebäude überhaupt gehörte. Lika blieb bei Thalia, um sie bei ihrem letzten Duell anzufeuern. Danach gingen die beiden zur Turnierverwaltung. Arco musste für die Schattenfuchsjagd überprüft und registriert werden. Nicht alle Kreaturen wurden zugelassen. Thalia versuchte, ihn mit Leckerlies zu bestechen und ihm gut zu zureden, damit er sich gut benahm. Er benahm sich allerdings gar nicht gut, was den Prüfern, zwei alten raubeinigen Tierpflegern, jedoch sehr gefiel. Sie freuten sich besonders, als Arco die Vorhänge ansteckte und lobten Thalia noch, was für einen lebhaften Drachen sie doch habe.

So viel zu Tag zwei. Sie saßen alle (außer Nea) in ihrem Zimmer in einem Kreis auf dem Boden, mit einer kleinen Lampe in der Mitte, als André hereinkam. Sie hatten ihn noch nie so niedergeschlagen gesehen. Er stellte seine Hellebarde, „Blitzewerfer“, in die Ecke und verschwand nach einem „Abend...“ im Bad. Die Ritterinnen tauschten unheilvolle Blicke.
„Es ist hart, einen eigenen Tod vorausgesagt zu bekommen.“, sagte Sadira mit gesenktem Blick. „Ein Orakelspruch ist immer mindestens zweideutig.“, wandte Lika ein,
„Wir wissen noch nicht einmal, ob er mit dem Helden gemeint war...“
Adarwen legte ein dickes Buch vor sich auf den Boden. Ein sehr dickes Buch. Sein Titel war: Die Chroniken des Helden André Hibis. Sie war noch mal in die Bibliothek geschlichen und hatte es mitgehen lassen.

„Aber hier kennt ihn keiner!“, warf Lika ein, „...jedenfalls nicht als Helden...“ „Es ist ein torilsches Buch, aus seiner Heimat. Toril ist in unserer Welt weitgehend unbekannt.“, erklärte Adarwen.
„Meine Güte, fragt ihn doch einfach!“, seufzte Sadira.
„Fragt mich was?“, wiederholte André, der unbemerkt aus dem Bad gekommen war.
„Ob du... weitergekommen bist...“, sagte Thalia schnell mit scheinheiligem Lächeln.
„Jepp. Ich hol‘ mir den Titel!“, antwortete André, als er sich zwischen Lika und Sadira dazu setzte. „Warum dann so niedergeschlagen?“, fragte Lika zu seiner Linken. „Nichts... ich bin nur dem Baron begegnet...“ „Ach so...“, kam aufatmendes Murmeln von den Ritterinnen. Seltsamerweise kam der Vorschlag, früh ins Bett zu gehen, von Sadira und wenn selbst sie der Meinung war, man sollte für den nächsten Morgen gut ausgeruht sein, konnte man nicht widersprechen.


Lebensfrost


Und wer scheuchte sie schon um halb sieben aus dem Bett? Natürlich auch Sadira. Die Nervosität stellte sich erst auf dem Weg zum Frühstückssaal ein. Die Teilnehmer verschiedener Gruppen warfen sich feindselige Blicke zu, es wurde getuschelt und geprotzt und ein weiteres Mal kamen sich die vier Ritterinnen mit André in ihrer Mitte ziemlich fehl am Platz vor. Adarwen hatte gestern Abend im Bett noch lange bis in die Nacht Andrés Chroniken gelesen und war jetzt vor allem müde. Das Werk war von einem Mönch geschrieben und hielt sich sehr mit der Beschreibung des jetzigen Zustandes im Land auf, mit den Herrschaftsverhältnissen, womit sie so wieso nichts anfangen konnte. Adarwen hatte sich im Buch vorgekämpft, bis zu einer Stadt, in der eine Pest herrschte und wo André seine Ausbildung beendet hatte. Sie war noch zur Beschreibung des örtlichen Tempels und derer, die ihn unterhielten gekommen, bevor sie eingeschlafen war. Jetzt beschäftigte sie nur eine Frage: Wie war dieser Mann Sekretär geworden?, worauf sich ihr gleich noch aufdrängte: Seit wann war er schon hier?

Verstohlen lugte Adarwen zu ihm hoch. Der Sekretär machte nicht das Gesicht, als ob ihn irgendetwas groß beschäftigen würde. Im Gegensatz zum letzten Abend wirkte er richtig ausgeglichen.

Sie nahmen an der Frühstückstafel Platz. Anders als gestern stand das Frühstück schon auf dem Tisch, man musste es sich nicht auf einem Buffet besorgen. Es war auch umsonst, für die, die es in die Endrunde geschafft hatten – was die Teilnehmer ordentlich auszunutzen schienen. Insgesamt war die Atmosphäre hier ausgelassener. Eine Gruppe wild aussehender Männer weiter unten an der Tafel bewarf sich mit Obst, bis eine nette Dame sie bat, damit aufzuhören und bis eine Wachechse die nette Dame dann aus deren Fängen befreit hatte.

„André, möchtest du noch ein bisschen Tee?“

„Nein, Danke.“

„Das Obst ist ganz frisch, bedien dich!“

„Später vielleicht.“

„Du musst was essen, sonst fällst du noch vom Pferd!“

„Ich weiß. Danke, Lika, ich weiß schon, was ich essen will!“

Lika sah ihn aus großen Augen ein bisschen enttäuscht an. „Gut...“, seufzte sie und stellte den Brotkorb wieder ab.

Auf einmal hob Applaus in der Halle an. In der Mitte vor der Tafel stand ein älterer Mann, hinter ihm befand sich ein leeres Podest und dahinter stand noch eine Reihe an Personen – der Rest des Komitees.

Der Kommiteevorsitzende hob eine Hand und es trat langsam Schweigen ein.

„Juchu, eine Rede...“, grummelte Sadira und biss in einen Apfel. Der Mann räusperte sich. Seine Stimme war ein bisschen zu hoch für den Bauch, den er angesetzt hatte.

„Meine lieben Kandidaten – Willkommen! Ihr alle habt heute die Chance, großen Ruhm zu erlangen.“ Toben und Gröhlen ging durch die Reihen, sie hörten André leise lachen, wie in Erinnerungen schwelgend.
„Und nicht nur Ruhm, meine Damen und Herren – ihn hier!“ Der Mann trat vor dem Podest zur Seite, wo auf einmal ein riesiger Kristall erschien. Rechts und links an der Tafel erhoben sich kleinere Turnierteilnehmer, um den Stein besser sehen zu können.
„Eure Trophäe,“, hob der Mann über das Raunen erneut an, „der Kristall Lebensfrost!“

Weil der Saal jetzt wieder tobte, sagte er nur schnell „Viel Erfolg!“, verneigte sich und ging mit dem restlichen Komitee.


„Das ist nicht das Original, oder?“, meinte Lika, als sie nach dem Frühstück nach vorne gingen, um sich die Trophäe von allen Seiten anzusehen. Thalia langte direkt durch den Kristall hindurch und meinte: „Projektion.“

„Nea bringt uns bestimmt um, wenn wir das Ding nicht gewinnen...“, lachte Sadira, verstummte aber schnell wieder, als sie die Drachenjägerfamilie auf sie zukommen sah.
„Das verdirbt einem den schönsten Tag...“, murmelte Thalia und verschränkte die Arme vorbeugend (damit ihr nicht aus Versehen ein unschöner Fluch rausrutschte) vor der Brust.

„Wir wollten ihr nur Glück wünschen.“, eröffnete die Mutter das Kommunikationsduell und zeigte auf Sadira. „Sie hat das Pech schon im Viertelfinale gegen unseren Heinrich kämpfen zu müssen. Was sie natürlich nicht gewinnen kann.“

Die Ritterinnen begannen im Chor zu prusten und brachen in lautstarkes Gelächter aus. „Sadira... nicht gewinnen...“, japste Lika atemlos. „Guter Witz, wirklich!“ Heinrich, einer der erwachsenen Söhne, stand da, perplex und mit strohblonden Haaren. Wortlos sah er von einer lachenden Frau zur anderen.
„Schönes Schwert.“, grinste Sadira, die als einzige nicht lachte (André übrigens auch nicht, der verstand den nicht vorhandenen Witz nicht) und nickte zu dem Zweihänder, der über Heinrichs Schulter hervorragte.

Heinrich... wurde rot wie eine Tomate.

...weshalb die Ritterinnen nur noch mehr lachen mussten. Die Mutter wurde auch rot, allerdings nicht aus Verlegenheit, sondern aus Zorn. Sie räumten vorsorglich das Feld.

Wie immer auf Turnieren war die Zeitaufteilung saublöd geregelt. Natürlich war die Schattenfuchsjagd als Abschlussdisziplin am Ende des Turniers. Aber um zum Startpunkt zu gelangen, brauchte man eine dreiviertel Stunde, was bedeutete, dass die Teilnehmer direkt vor dem Finale der Kämpfer gehen mussten. Dieses Finale wiederum überschnitt sich mit dem Halbfinale der Magier.

Die einzige Disziplin, die man ohne großen Verlust ansehen konnte, war das Lanzenreiten. Das Finale hier war zeitgleich mit dem Achtelfinale der anderen beiden.



André strikes back



„Unfair!“, war das einzige Wort, das Lika seit ein paar Minuten sagte. Adarwen schenkte ihr aber wenig Beachtung, sie dachte immer noch über die André-Fragen nach.

Zu zweit saßen sie auf der Tribüne und warteten auf das Achtelfinale des Lanzenturniers. Lika hätte sich viel lieber das Magierturnier angesehen, als eingebüchste Männer auf Pferden, die aneinander vorbeiritten.

„Was meinst du, ist bei solchen Veranstaltungen schon mal jemand gestorben?“, fragte Adarwen vorsichtig.
„Darwinelchen...“ Adarwen knurrte...„Du weißt doch, dass solche Prophezeiungen immer dann erst in Erfüllung gehen, wenn man versucht, sie zu verhindern.“, sagte Lika in Lehrerton und schlürfte an ihrem Cocktail.

Beunruhigt lauschte André dem Lärm der Menge draußen, als er seine Armschienen anlegte. Er bückte sich gerade, um seine Stiefel zu binden, da tauchte ein Schatten über ihm auf. André sah die schweren schwarzen Stiefel vor sich auf dem Boden und sah an den Beinen aufwärts. Ein Mann in schwarz-goldener Rüstung stand vor ihm, den Helm schon aufgesetzt. Als André sich aufrichtete, packte der ihn am Kragen und zog ihn heran. Perplex starrte er durch das winzige Visier direkt zwei roten Augen entgegen. „Hör zu, stiefelleckender, aktenfressender Schoßhund des ASN...“, zischelte er André mit heiserer Stimme an, „Die anderen ziehen vor dir den Schwanz ein und lassen dich gewinnen...“ André hob eine Augenbraue, „... aber ich werde deinen schmächtigen Körper mit meiner Lanze aufspießen, bevor ich der Menge deinen abgeschlagenen Kopf präsentiere.“ Der ganze Stall verharrte und hörte jetzt zu. Um sich zu beruhigen atmete André tief ein und aus und sagte mit leiser Stimme: „Ein Wiedergänger. Wer hat dich geschickt?“ Die Gestalt verhärtete ihren Griff, dann schubste sie André von sich und ließ ihn los.

„Wir sehen uns im Finale, Halbelf.“ Das wollte André nicht bezweifeln. Der eindeutig (jedenfalls für ihn) untote Ritter hatte bis jetzt unbarmherzig alle seine Gegner platt gemacht. Er wollte Adarwen und Lika erst gar nicht glauben, als sie ihm nach dessen Halbfinale (er hatte die Runde des anderen nicht mit ansehen müssen, er kannte die Methode dieses Ritters schon) mitteilten, er habe verloren.
„Auf einmal ist er vom Pferd gefallen, wie ein Stein. Noch bevor er den anderen mit der Lanze hätte treffen können.“, erstattete Adarwen Bericht.
„Und da er sich nicht rührte, wollten sie nachschauen und haben den Helm abgenommen, aber die Rüstung war völlig leer!“, fuhr Lika aufgeregt fort.
„Nicht völlig leer.“, verbesserte Adarwen sie,
„Eine Hand voll Erde und seltsamer Staub waren darin. Nimm dich vor deinem nächsten Gegner in Acht!“

Als André auf dem Turnierplatz auf seinem Pferd saß und auf das Startzeichen wartete, fiel es ihm schwer, Adarwens Worte zu beherzigen. Sein Gegner ritt auf einem weißen Pferd, das etwas kleiner war als die restlichen. Von der Statur her war er noch „zierlicher“ als André und eine gnomähnliche Gestalt reichte ihm die Lanze.
„Lass dich nicht von Äußerlichkeiten reinlegen!“, sagte sich André und zog den Helm auf. Hier ging es um das Finale! Und in den letzten Paar Runden hatte er jegliches übliche Gerücht bezüglich seiner Siege auszuräumen versucht. Sein Gegner ließ sich gerade noch ein langes Stück Stoff reichen. Als er es sich darauf um den Hals legte, erkannte André, dass es eine Stola war. Jetzt begann er zu verstehen. Der Mann war ein Mann der Kirche. ER hatte den Wiedergänger gebannt. Jetzt, wo er seinen Gegner durchschaut hatte, war ihm schon viel wohler zu Mute.

Das Signal zur ersten Runde ertönte. André ritt an und beschleunigte. Er legte die Lanze an. Durch seine höhere Position hatte er einen Vorteil. Er schaffte es, über die Lanze des anderen zu kommen und sie nach unten abzulenken. Er landete keinen Treffer. In der nächsten Runde wollte er ihn vom Pferd werfen.

Die nächste Runde kam, sie hatten beide keinen Punkt gemacht.

„Er soll die Sache gefälligst ernst nehmen!“, zeterte Lika auf ihrem Platz und stellte unsanft ihren Milchshake (Erdbeer) neben sich auf die Bank.
„Vielleicht nimmt er ihn ja schon ernst...“, sagte Adarwen und nahm einen größeren Sicherheitsabstand ein.

Aber das stimmte nicht. In der nächsten Runde landete der „Weiße Ritter“ auf dem Boden. André hatte es vorsichtig gemacht. Der Brustpanzer hatte nur einen kleinen Kratzer. Sofort kamen die Helfer des Reiters angerannt. Er hatte sich wahrscheinlich nichts getan, aber so eine Rüstung war schon schwer. „Alles in Ordnung?“, hörte er einen Burschen sagen, der sich zu seinem Gegner herunterbeugte. „Geht schon...“ André hatte gerade zu seinem Anfangspunkt zurückreiten wollen, als die Stimme seinem Unterbewusstsein einen Stoß versetzte. Augenblicklich richtete er seinen Blick auf den Ritter zurück, der sich mit beiden Händen den Helm vom Kopf nahm.

Das Gesicht... wie die Stimme... er kannte es alles. „Ich gebe auf.“, sagte der Ritter vergnügt.

Nachdem die Nachricht vom Schiedsrichter verkündet worden war, ging ein Tosen durch die Zuschauer, voll Euphorie bahnten sich Lika und Adarwen ihren Weg durch die Massen.
„Du hast’s geschafft!“Sie rannten über die Bahn, Lika bereit André um den Hals zu fallen, aber er war verschwunden.

Das Komitee und die Leute warteten acht Minuten, in denen nach ihm gesucht wurde – erfolglos. Letztendlich mussten Lika und Adarwen den Pokal entgegennehmen.

Adarwen ging zu Thalia, um zu sehen wie es lief und um sie zu informieren. Lika wollte weitersuchen. Sie lieh sich einen Gestaltwandlerohrring von Adarwen aus, um nicht aufzufallen und ging erneut zu den Ställen. Es war nicht mehr viel los, ein paar Stallburschen kümmerten sich um die Pferde. Auch Andrés stand da. Sie wollte gerade einen der Burschen fragen gehen, als ein Goblin, der rechts oben auf einem Balken gesessen hatte, vor ihr auf den Boden sprang, sie versuchsweise freundlich angrinste und an ihr vorbei aus der Tür witschte - der war doch aus dem Gefolge von Andrés Entgegner... Einem spontanen Gefühl folgend setzte sie sich ihm an die Fersen.


Bestienritter-Chaos


„Der Gnom wollte nicht mit dir reden und ist weg gerannt?“
„Nicht Gnom – Goblin!“, verbesserte Lika Adarwen.
„Jedenfalls hast du André nicht gefunden. Könnte ich jetzt meinen Ohrring wieder haben?“ Die Spionin streckte ihren Arm aus und hielt Lika die offene Hand hin.
„Mehr hast du dazu nicht-“ Sie stockte, als ihre Hand das blanke Ohrläppchen berührte. Der Ohrring war weg.
„Lii....kaaaa?!“ Adarwen sah sie fragend an.
„...Er ist... weg!!“, gab Lika zu.
„Er ist WAS?!“
„Ich muss ihn verloren haben...“
„So ein Blödsinn! Thalia hat ihn doch extra verhext, jemand muss ihn gestohlen haben....“ Sie kamen im gleichen Moment zur Lösung.

„Der Goblin!“

„LETZTER AUFRUF FÜR DIE TEILNEHMER DER SCHATTENFUCHSJAGD! Aufbruch in zwei Minuten.“

„Verdammt!“, fluchte Adarwen. Sie mussten gehen. Der Dieb würde ihnen durch die Lappen gehen.


Thalia war nervös. Sie starrte schon zwei Minuten lang auf das „Harmonie herrscht“-Banner und schaffte es nicht, ihren Geist zu sammeln. Der Magier aus der ersten Rund saß neben ihr und sah zu ihr hinauf, die ganzen zwei Tage hatte er sie bei ihren Duellen begleitet und war nicht von ihrer Seite gewichen. Jetzt stand ihr Halbfinale kurz bevor. In der Halle war jetzt nur noch ein schwarz-weißer Ring, von den Ausmaßen doppelt so groß wie die der Vorrunde.

Sadira bereitete sich jetzt auf das Finale vor. Schon Wahnsinn, dass sie es so weit geschafft hatten. Fast schon verdächtig. Die Halle war ziemlich leer. Es wurde sich flüsternd unterhalten. Noch nahm man Rücksicht auf die Teilnehmer, das Finale würde vor einer großen Menschenmasse stattfinden.

Thalia wandte jetzt ihren Blick einer Fackel an der Wand zu und starrte ins Feuer. Ihr Gegner machte es spannend. Er war noch nicht erschienen. Sie wusste nicht, wer es war, hatte ihn nicht im Kampf beobachten können – sie war völlig unvorbereitet. Das Feuer flackerte ihr zu. Fast schon freundlich.

Ein Ausruf für die nächste Runde ging durch. Die Hexe erhob sich. Als sie und der Schiedsrichter schon im Ring standen, ließ sich ihr Gegner blicken. Ein großer, blasser Mann. Seine Augen verhießen nichts Gutes. Dass Churel warnend krächzte, auch nicht.
„Dann sollten wir langsam anfangen.“, sagte der Schiedsrichter mit einem Räuspern.
„Ja, das sollten wir.“, stimmte der Hexenmeister mit ruhigem Lächeln zu.

„Viel Glück.“, sagte er zu Thalias Überraschung und hielt ihr seine Hand hin. Sie war nicht dumm. Er würde ihre nicht bekommen. Sie hob eine Augenbraue und erwiderte:
„Viel Erfolg.“

„Beginnt nun.“
„Den werde ich haben.“, entgegnete er.

Wie als Antwort zerbarst der Kristall in der Mitte der Decke, der den Raum magieleer gehalten hatte. Die Leute flohen zu allen Seiten, als die Brocken zu Boden fielen. „Was zum...?! Das Duell wird unt-“, war das letzte, was der Schiedsrichter heraus bekam. Das letzte, was er sah, war die Handfläche des Mannes, bevor er durch dessen Befehl zu Knochen und Staub zerfiel.

Ein befriedigtes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er Thalias entsetztes Gesicht sah.
„Viel Glück.“, wiederholte er. Ein großer Vogel mit struppigen schwarzen Federn ließ sich auf seiner Schulter nieder.

Thalia wollte ihre Hände zu einem starken Zauber gegen den Unbekannten heben, da kam die Decke herunter. Tonnenschwere Brocken, die direkt auf sie fielen. „Halt!“ Mit diesem schlichten Ausruf, keinem Zauberspruch, stoppte sie das Gestein kurz über ihrem Kopf. Ihr Phönix krächzte und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Magierlehrling, der schutzlos von der Decke erschlagen zu werden drohte. Thalia hatte keine Hand mehr frei...

Ein grelles Licht ließ sie die Augen zusammen kneifen. Ein Donnergrollen folgte und der Steinbrocken zersprang in tausend Stücke. Sadira kam angerannt, bluewalker in beiden Händen. Thalia ließ ihr Deckenstück neben sich zu Boden krachen.
„Sadira? Was machst du hier?! Dein Finale...“

Die Hexe sah von Sadira zu Karmesin, dem Medium, das mit ihr gekommen war.
„Die da hat mir gesagt, dass ich ganz schnell herkommen soll.“ Karmesin lächelte amüsiert. „Was ist passiert?!“
„Da war so ein Kerl... Ich weiß nicht ob er für die Decke verantwortlich ist, aber er hat den Schiedsrichter in einen Haufen Asche verwandelt...“ Thalia sah sich um. Es herrschte das reinste Chaos. Da sich die Leute schon vorher zu den Wänden gerettet hatten, war kaum jemand versehrt. Die Wachen allerdings lagen allesamt auf dem Boden in der Lache ihres Blutes. Der Hexenmeister war verschwunden.
„Das müssen viele gewesen sein.“, sagte Sadira, „Die Wachen müssen sie ziemlich gleichzeitig erwischt haben. Die Leute verstehen was von ihrer Arbeit.“
„Aber was wollen die?“, wimmerte der kleine Magier, auf dessen Schulter immer noch Churel saß.
„Was gibt es wohl auf einem Turnier zu holen?“, gab Karmesin einen Denkanstoß. „Lebensfrost!“, stießen Thalia und Sadira gleichzeitig aus.



Der Plan der Bestienritter



„Du da! Wo ist die Trophäe?“ Die Wachechse röchelte in einem scharfen Hsss-Ton und brachte dann keinen Ton mehr heraus. Nicht nur in der Halle hatte man sich um sie gekümmert, auch auf den wichtigsten Gängen. „Seht mal da!“, rief der Magierlehrling, der weiter vorne auf der Gangkreuzung stand. Thalia und Sadira kamen angerannt, Karmesin folgte langsameren Schrittes. Sie schien das alles interessiert, aber anteilslos mit zu verfolgen.

Auf dem Boden, zwischen zwei Echsenleichen, lag eine menschliche Leiche, bekleidet mit einem langen, dunklen Umhang. Das Gesicht war von einer Tonmaske verdeckt, in weiß und rot. An dem Dolch in der Hand des Meuchelmörders klebte dunkles Echsenblut.
„Den haben sie also erwischt...“. sagte Sadira und schluckte. Nur konnten sie ihn leider nicht weiter befragen. „Ahh...“, stieß der kleine Magier hervor. Sie schauten auf. Weit vor ihnen auf dem Gang war eine weitere maskierte Gestalt aufgetaucht.
„Du bringst dich in Sicherheit!“, rief Thalia ihrem Schützling zu, als sie los rannten, um die Gestalt zu verfolgen.

„Leute, irgendwie finde ich es nicht so schlau, zu dritt hinter einer Person herzurennen...“ Auf Karmesins Hinweis nickte Sadira und nahm einen anderen Weg. Sie rannten weiter hinterher und wussten nicht, ob sie diese Gestalt da zu ihrem Ziel führen würde. Auf einmal drehte sie sich um und holte aus, in ihrer Hand eine Kapsel mit einer Flüssigkeit. Sadira hielt den Arm fest. Sie stand hinter ihr und hatte bluewalker bei sich. Sie war teleportiert.

Die anderen verlangsamten ihre Schritte und kamen heran. Schließlich war es Thalia, die den Verfolgten demaskierte.

„...Nea?!“
Nea senkte die Hand mit dem Schlafgas und Sadira ließ sie los. Es tat ihr jetzt ein bisschen Leid, dass sie so fest zugedrückt hatte... Nea schnappte sich nur ihre Maske wieder und sagte kurz angebunden:
„Ihr müsst verschwinden!“ Thalia stützte die Fäuste in die Seiten und meinte empört:
„Wir müssen gar nichts! Aber DU könntest uns ja mal aufklären, was das hier –“
„Ich wollte euch ja schlafen schicken,“, fauchte Nea, „aber ihr zieht es ja lieber vor zu ... zu...“ Sie führte den Satz nicht zu Ende.
„Geht, schnell! Er wird euch umbringen!“
Wer wird uns umbringen?“, schnaubte Sadira ungläubig. „Wen werde ich umbringen?“, fragte der Mann, der hinter ihr stand. Sie fuhr herum. In der geöffneten Tür zu einem großen Raum stand Thalias Gegner aus dem Halbfinale. An ihm vorbei konnte man in den Raum unzählige Wachechsen sehen; ihre Körper bedeckten den ganzen Boden.
„Ist das der Raum...“, begann Sadira.
„Wo Lebensfrost aufbewahrt werden sollte, genau. Aber scheinbar hat eure Diebin unsere Attrappe weggeschafft.“
„Ach, hab ich das?“, murmelte Nea und sah ihn feindselig an.
„Attrappe?!“, wiederholte Thalia, „Wenn du doch so wieso wusstest, dass das eine Attrappe war, wieso bist du dann...“ Sie beendete den Satz nicht, sondern wurde blass.
„Du ahnst es, Ritterinnenhexe. Punkt eins – der Raum ist sehr stark bewacht. Die Chance konnte ich mir doch nicht entgehen lassen...“ Der Mann deutete hinter sich auf den Haufen an Echsen, den er hinterlassen hatte.
„Punkt zwei, ich hatte gehofft, dass eure Freundin Nea in einem Anfall von Idiotie euch hier herbringt, um doch noch alles zu...retten.“
„Und da lag dein Denkfehler!“, fuhr ihm Thalia dazwischen. „Das sehe ich anders. Immerhin seid ihr hier und ich bin hier... das macht vier Tote mehr.“

Thalia und Sadira stellten kurz Blickkontakt her, dann wussten sie, was zu tun war.
„Du schuldest mir noch ein Halbfinale...“ Mit diesen Worten ließ die Hexe vor sich eine Feuerwand aus dem Boden schießen, die den Mann von ihnen trennte. „Festhalten!“ Sadira war dabei, ihren bluewalker ein zweites Mal zu bequemen und sie alle in Sicherheit zu bringen. Sie schnappte sich Nea, der Rest hielt sich so an ihr fest und im nächsten Moment befanden sie sich in ihrem Zimmer. Vom Gang her lärmte panisches Geschrei, lauter Flüchtlinge stürzten die Gänge entlang, auf der Flucht vor etwas, von denen die Ritterinnen noch nicht wussten, was es war. Auf die Idee, in ihrem Zimmer nachzusehen, kam im Moment keiner.

„Erklärung!“, fuhr Thalia Nea erneut an, die genau daran scheiterte. Sie musste weiterdenken, einen neuen Plan fassen.
„Wer sind die überhaupt?“, wollte Thalia wissen und Karmesin wusste es.
„Die Bestienritter.“
„Die Bestienritter?! Warum weißt du eigentlich von der Sache?!“
„Ich weiß eben ein bisschen was.“
„Dann sag uns bitte, was du weißt!“ Über das „bitte“ wunderte sich Sadira selbst.
„Es scheint, als wollten sie Lebensfrost. Bzw. haben sie ihn schon, so wie sich das angehört hatte.“

Nea schüttelte den Kopf. „Sie haben ihn noch nicht, sie wissen nur, wo er ist! Wo sie denken, dass er ist...“
„Heißt das, du hast ihn?“, fragte Sadira, die das von vornherein gehofft hatte.
„Nein, aber ich haben ihn wegbringen lassen.“
„Wie?“
„Danke André.“ Stille.
„Ihr habt unter einer Decke gesteckt und uns nicht eingeweiht?!“
„Ich wollte ihn ja auch nicht mit reinziehen, aber er schien der Einzige zu sein, der mir helfen konnte... Ihr werdet es sehen, wenn wir hingehen.“
„Wohin?“, wollte Thalia erst wissen, bevor sie sich auf noch so ein Komplott einließ.
„Zu den Gemächern des Barons, nicht wahr?“, fragte Karmesin. „Hab da so was in meinen Visionen gesehen...“ Sie schien immer noch gelassen, als hätten ihr die Karten ein gutes Ende prophezeit.

Nea versuchte jetzt doch eine Erklärung im Schnelldurchlauf. „Dieser Magier, den ihr eben getroffen habt, ist Neuromantiker. Lebende bringen ihm nichts. Deswegen denkt er auch nicht daran, einfach so mit dem Kristall abzuhauen. Naja und jetzt denkt mal darüber nach, warum das Ding Lebensfrost heißt...“ Thalia musste nur Nekromantiker, Seelen und magischer Kristall zusammenzählen.
„Er will Lebensfrost als Behälter für die Seelen benutzen!“

Die Kandidatin erhält 99 Punkte.


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