11 Mysterium Keller

12 Aicyns Verhör

13 Ganz normaler Wahnsinn

14 Gala 13 vs. Putzabend

15 Bombenstimmung

16 Und Feierabend

17 Tauchsieder Adé

18 Turnier oder nicht Turnier

19 Kurrriiieee

20 Who the f*ck is André?!

 

Mysterium Keller


„Wo wollt ihr die denn hinschleppen?“ Als der Shandrane und Lika die schwere Truhe aus dem Sprengloch hievten, das gegen den Regen mit einer Plane abgedeckt worden war, wurde Thalia aufmerksam. Sie waren mit den anderen beiden dabei den Drachen so zu präparieren, dass er nicht alles klein hauen konnte, wenn er aufwachte. „Mal sehen!“, rief Lika auf die Frage.

„Bestellt ihr schon einmal einen Maurer!“ Das sollte Lika gefälligst selbst machen!

„Nein, aber ehrlich, Lika. Wo kommt die Truhe in Zukunft hin? In den Bergfried ist schlecht: Man kann ihn leicht aus der Luft angreifen und es dauert lange, bis man oben ist ... und ich trage das Teil nicht die Stufen hoch!“, sagte Grischmo.

„Ich weiß schon was!“, sagte Lika. „Wir tragen sie erst mal ins Atrium.“

So geschah es, dass sich alle im beigen Zimmer wieder zusammen fanden. Alle ... außer Nea.

„Nächste Woche brauche ich erst einmal Urlaub... Irgendwas mit Karibik...“ Adarwen räkelte sich seufzend auf dem Sofa.

„Wir sind vorgestern zwar erst eingezogen, Darwinelchen, aber ... ja...“ Thalia machte eine Geste zum Fenster.

„Wenn du unbedingt schönes Wetter haben willst, bitteschön!“ Erst geschah nichts. Dann donnerte es.

„Ups...“ Und dann erschien beim nächsten Blitzen eine Schattengestalt auf dem Fensterbrett. Geschockt sprangen die sich im Zimmer befindlichen Ritterinnen einen Meter zurück.

„Ich bin’s nur!“, sagte die sich außen befindliche Ritterin durch die Fensterscheibe. „Macht schon auf!“

„Kann sie nicht wie jeder andere auch durch die Wand kommen?“, regte Grischmo sich wegen diesem Schreck eben auf.

„Ich war im Keller.“, eröffnete Nea ihnen, als sie drinnen war, gerade als ein heftiger Regenschauer los ging.

„Und, war’s dunkel?“, fragte Sadira desinteressiert.

„Ha ha.“

Nea fuhr fort: „Ich habe den starken Verdacht, dass da unten jemand wohnt.“ Die anderen sahen sich viel sagend an.

„Es stand doch nichts in der Wohnungsanzeige davon, oder?“

„Also, das ist nicht in Ordnung!“, sagte Lika und schüttelte den Kopf.

„Und, wer wohnt da?“, erkundigte sich Thalia mit seelenruhiger Mine.

„Also... ich hätte ja schon nachgesehen, aber ... ich dachte, das interessiert euch auch...“

„Du bist ein feiges Huhn, Nea.“, sagte Sadira. Erbost trat die Diebin vor sie.

„Sag das nicht noch mal!“
„Wieso, Tatsachen darf man ruhig aussprechen!“

„Also schön, ich gehe alleine runter!“

„Sei nicht dämlich!“, seufzte Sadira versöhnlich und hielt sie vom Weggehen ab.

„Wir gehen alle runter,“

„Viel Spaß!“

„DU bleibst hier, Grischmo!“, sagte sie und packte ihn mit der anderen Hand. Flucht unmöglich.

„Also, hier bleibe ich gerne, meinetwegen auch im gelben Zimmer oder im lila oder im türkisen – nicht der Keller!“ Der Shandrane wurde hinterher geschleift. Frei nach Sadiras Motto: „Ängste sind dazu da, um überwunden zu werden – durch mich!“

Nervenschonenderweise ließen sie Grischmo nicht vor laufen. Sadira - die mit der großen Klappe - durfte führen. Obwohl es eigentlich sinnlos war, weil ja eh nur Nea wusste, wo sie hin mussten. Allerdings wurde den anderen ziemlich schnell klar, wo die Wanderung hinführte. Vor den Gitterstäben angekommen starrten sie ein zweites Mal in die Finsternis dahinter. Thalia rüttelte am Gitter.

„Abgeschlossen ... natürlich. Nea? Das ist deine Abteilung!“

„Aber sicher doch!“ Demonstrativ stellte sie sich hin und zog das rostige Fischmesser vom Rücken. Damit hebelte sie die Tür auf. Es folgte ein weiterer Gang. Alle quetschten sich um Sadira herum, um etwas Licht von bluewalker ab zu bekommen. Inzwischen war ein Wimmern zu hören, das immer lauter wurde, je näher sie einer dicken Holztür kamen. So dick, dass noch nicht einmal ein spanischer Stier sie klein bekommen hätte. Sadira trat sie kurzerfuß ein. Sie schienen angekommen zu ein. Ein kleiner Raum lag vor ihnen. Eigentlich war er menschenleer. Aber Menschen sind ja nicht allein auf diesem Planeten. Irgendwelche Ranken hatten es geschafft durch einen winzigen Spalt, durch den auch ein wenig Licht fiel, oben in der Wand einzudringen und überwucherten die Steinmauer jetzt fast vollständig. Aber Ranken wimmern nicht (jedenfalls diese Sorte nicht). Die Ritterinnen waren nicht wenig überrascht, als sie einen Zentaur mit braunem Fell an der Wand liegen sahen. Kaum merklich hob er den Kopf an, als die Tür mutwillig zerstört wurde. Sofort stieß Lika einen Laut des Bemitleidens aus. Ein magisches Tierwesen, das hier unten eingesperrt war! Da musste sie von Natur aus helfen. Sie wollte ihm beim Aufstehen behilflich sein, was erst richtig klappte, als die anderen auch noch kamen. Von beiden Seiten gestützt, gelang es dem Zentaur auf den Hufen zu bleiben. Er war sehr entkräftet. „Danke...“, war das erste, was er sagte. Aber Thalia schüttelte den Kopf. „Wir bringen dich zuerst nach draußen!“ Oder besser gesagt nach drinnen, denn der Zentaur durfte sich schließlich auf das dunkle Gras vor dem großen Koi-Karpfenteich des japanischen Gartens im Atrium legen. Das Wasser plätscherte vor sich hin, Vögel zwitscherten, ein Pfau stolzierte über das Gras... Sadira holte für den Befreiten einen Kräutertee zur Stärkung. Thalia war schon dabei ihm die tauben Beine zu massieren. Sie wussten nicht, wie sie es mit ihm die Treppe hinauf geschafft hatten. „Vielen Dank!“, sagte er noch einmal. Seine Stimme strahlte Ruhe aus und seine Augen waren genau so dunkelbraun wie sein Fell.

„Wie heißt du?“, fragte Adarwen.

„Oh, Verzeihung. Das sind Lika, Nea, Sadira holt dir Tee und Thalia. Ich heiße Adarwen. Und der hier ist Grischmo. Guck nicht so verschreckt, Pelzohr! Wir wohnen seid vorgestern in dieser Burg. Und ich glaube, wir alle wüssten gerne, wie dein Name ist und wie du dort unten hinein gekommen bist.“

In diesem Moment kam auch Sadira, so dass sie mitbekam, was der Zentaur erzählte.

„Ich heiße Aicyn. Und ich wurde eingesperrt. Dankeschön!“ Dankbar nahm er Sadiras Tasse entgegen.

„Wer ... hat dich denn eingesperrt?“, bohrte Lika weiter. Sie saß, genau wie Adarwen auf einem der kleinen weißen Gartenstühle. Nea saß auf dem Tisch. „Die, die vorher in der Burg gewohnt haben. Das ist schon etwas länger her.“ „Es ist ein Wunder, dass du noch lebst! Was hast du so lange gegessen?“ Sadira nahm ihm die leere Tasse wieder ab. „Die Ranken. Und manchmal hat es herein geregnet.“ „Und davon kannst du leben?“, wunderte sich Adarwen. „Ja, theoretisch schon. Ich habe ja auch das Verdauungssystem eines Pferdes. So gesehen...“

„Zwei Verdauungssysteme... wie funktioniert das dann? Hast du nicht ständig Hunger? Wie wird das geregelt?“

„Tja, deshalb ist mein Gehirn ja auch größer. Ich bin euch Menschen also weit überlegen!“

„Und trotzdem hast du da unten fest gesessen!“, meldete sich Thalia. Aicyn war geknickt. „Wenn du mich auf deinen Rücken lässt, massiere ich dir deine Schultern.“, schlug die Hexe vor.

„Dich immer, Süße!“, strahlte der Zentaur.
„Wie’s aussieht hat der Tee gewirkt...“, kommentierte Sadira mit argwöhnischem Seitenblick.

„Aicyn?“ Jetzt schenkte der Zentaur Lika seine Aufmerksamkeit. „Wer hat hier gewohnt und dich eingesperrt?“

„Lika, nicht wahr? Wirklich süß!“

„Könntest du mir bitte meine Frage beantworten?“, knurrte sie genervt.

„Tja, das ist jetzt etwas komplizierter...“

„Es ist aber wichtig!“, drängelte Lika.

„Ah, na gut, weil du es bist!“ Was für ein Glück er doch hatte! Solch hübsche Frauen! Und diesen grimmigen Kater dort hinten in der Ecke brauchte er ja nicht zu beachten...
„Ich war zufällig geschäftlich hier unterwegs und -“ „Schmuggel!“, schlussfolgerte Adarwen eiskalt. Aicyn hatte einen Schock. Woher wusste sie das? „Ehm... jedenfalls geschäftlich musste ich zu dieser Burg hier. Dort sollte ich die Ware nämlich übergeben. Aber der Kunde war nicht da. Ich weiß nicht was mit ihm passiert ist, aber seine Burg war von Fremden besetzt, die mich auch gefangen nahmen. Angeblich wollten die sich eine Waffe des Kunden unter den Nagel reißen...

„Eine Waffe?“, kam es wie aus einem Mund.

***


Aicyns Verhör


„Wie sah die Waffe aus?“ „Wer hat hier gewohnt?“ „Was hast du geschmuggelt?“ Von allen Seiten kamen jetzt die Fragen.
„ M-m-mooooment ... ist das hier ein Verhör? Scheiße, ihr seid doch keine Bullen, oder? Ihr seid Bullen! Oder von diesen nervigen Idioten vom WFT*, die mich in irgend so ein Reservat stecken wollen. Vergesst es! Ich hau ab!“ Unauffällig machte Aicyn einen Schritt rückwärts.... und noch einen und noch einen...

„Schwachsinn!“

Grischmo zuckte zusammen - die Ladys waren heute so laut... - und der Zentaur blieb stehen. „DU kannst ruhig hier bleiben, wir tun dir nichts!“, versicherte ihm Adarwen.
„Und wieso quetscht ihr mich dann so aus?“, sagte Aicyn beunruhigt.
„Wir wohnen hier. Uns interessiert die Vorgeschichte dieser Burg.“, log Thalia schnell zusammen.

„Tja, über die Burg weiß ich nichts. Tut mir Leid. Auf Wiedersehen!“

„Du beantwortest jetzt unsere Fragen...“, knurrte Sadira, „... oder morgen gibt’s Pferdegulasch!“ Der Zentaur schluckte.

„Könn...te sie das wirklich tun?“

Die Ritterinnen nickten.

„Das könnte sie!“

„Und du hast mir gesagt, ihr tut mir nichts!“, rief er empört. Adarwen tat es Leid.

„Sie meint es doch nicht so!“

„Doch, genau so meine ich es!“

„Sadira!“

„Also gut...“, sagte Aicyn in gekünsteltem Krankheitston, „Ich kann euch verzeihen. Wenn ... ihr mit mir badet.“

„Waaaas?!“, fauchte Adarwen, „Verarbeite ihn zu Schaschlik, Sadira!“

„Gerne doch, ’darwen!“, grinste Sadira und ließ ihre Knöchel knacken.

„War nur ein Scherz – ein Scherz! Bitte ... bitte! Nicht töten! Es reicht auch, wenn ihr eure T-Shirts auszieht...“

Thalia verpasste ihm eine Kopfnuss. Es gab so viele nette, anständige Zentaurn – wieso mussten sie gerade an den einzigen Verkommenen geraten?!

„Also gut... was ist, wenn eine von euch nackt mit mir ausreitet?“

„Lynchen!!!“

„Mit Höschen an?“

„Köpfen!“

„Nur mit nacktem Oberkörper?“

„Fegefeuer!“

„Im Bikini!“

„Also schön, im Bikini!“

„LIKA???!“, riefen die anderen entsetzt!

„Abgemacht, im Bikini!“, sagte Aicyn und grinste voll Vorfreude.

„Das kannst du doch nicht machen!“, raunte Adarwen Lika zu. „Keine Sorge, ich hab nicht gesagt WER den Bikini an hat...“, zwinkerte die. Der Zentaur seufzte und setzte sich wieder. „Ich halte mein Wort – ihr könnt mich löchern.“

Sadira ließ eine Energiekugel über ihrem Zeigefinger aufglühen.

„Halt! Ich meinte das anders!“, sagte er schnell und hielt die Arme schützend vor sich.

„Was war das für eine Waffe?“

„Nicht hauen!“

„SAG – SCHON! Oder ich brate dich über offener Flamme!“

Nea seufzte. So kam man doch bei dem nicht weiter. Da musste die Monroe - Methode her. „Zentauerchen?“, flötete sie und stand graziös von ihrem Platz auf, „Würde es dir leichter fallen, wenn ich hier säße?“ Und sie platzierte sich genau vor seine Vorderbeine .

„Ehm... aber immer doch...“ Wie gut, dass ihr Hemd Knöpfe hatte, die allesamt (noch!) zu waren. Die anderen schalteten schnell. Andere „Gegner“ verlangten andere Waffen...

„Also Zentauerchen.“, begann Adarwen mit bezauberndem Augenaufschlag,

„Wieso erzählst du uns nicht einfach die ganze Geschichte?“

„Tja, ich glaube daran kann ich mich nicht mehr so genau erinnern, ich meine... die lange Zeit da unten im Kerker...“ Nea lehnte sich seufzend an ihn. „So genau muss es ja auch nicht sein...“ Sadira fand diesen Plan immer noch dämlich. „Mh, ich könnte mich vielleicht noch daran erinnern, aber -“

Thalia, die ebenfalls dazu kam und sich auf seinen Rücken setzte, schlang in einem Anfall von aufkommender Spontanität ihre Arme um seinen Hals.

„Ein bisschen was fällt mir gerade wieder ein. Die Waffe ... mhh... also... das war so ein langes, ein langes...“

„Ein langes Was?“, flüsterte Thalia ihm ins Ohr.

„So ein Stab, stimmt ja, ich hatte ihn ja selbst auf dem Rücken!“

Die Hexe machte hinter seinem Rücken ein Victory Zeichen. Lika zwinkerte zurück. Jetzt war sie an der Reihe.

„Wo hattest du den Stab denn her, Kleiner, mh?“

„Von meinen Auftraggebern. Mehr weiß ich nicht, ehrlich...“ Aicyn schluckte, weil Nea mit einem Finger auf seiner Brust auf und ab strich...

„Machen wir woanders weiter!“, schug Adarwen vor. Sie stand auf und setzte sich zu Neas Linken an seine Seite. Dann ergriff sie seinen Arm und fragte: „Als du zur Burg hier kamst, war sie da schon zerstört?“

„Zerstört?!“ Der Zentauer schien ernsthaft erstaunt zu sein. Er achtete gar nicht mehr auf Nea und Thalia um sich herum, sondern starrte nur Adarwen fragend an.

„Und wieso „Schon“?“

„W-wollt ihr es ihm nicht zeigen?“, bettelte Grisch förmlich, den diese Situation hier peinlich (und viel zu obszön) war.

„Ja, genau, der Faulpelz soll aufstehen!“, knurrte Sadira. Sie stieß sich vom Tisch ab, an dem sie gelehnt hatte und drehte ihnen auf dem Weg zur Gartentür den Rücken zu. „Hach, sie ist ja so tough!“, seufzte der Zentaur.

„Aber macht nichts. Darauf steh ich...“, fügte er murmelnd hinzu. Sie folgten der Kämpferin.

*Wege für Tierwesen; eine Organisation, die sich für den Schutz von magischen Tierwesen einsetzt.


***

„Gleich wirst du sehen, was wir mit „zerstört“ meinen.“, sagte Thalia, die sich tragen ließ. Sie führten ihn bis durch die Eingangshalle. Vor der reparierten Tür war noch nicht Schluss, denn sie hatte den Kreis des Zaubers bis zum Tor des Zwingers erweitert. „Und jetzt dreh dich um!“ Das tat er. Nichts als Ruinen.

„Oh...“ Der Zentaur stockte in seinen Worten. Ihm fiel nichts ein. Dann doch. „Bei mir war das noch nicht so.“

„Wie lange ist das her?“, konnte Sadira jetzt in aller Ruhe fragen um eine Antwort zu bekommen. Er war eben geschockt.

„Drei, vier Monate?“, schätzte er.

„Und wer hat hier gewohnt?“ Lika fand, dass er irgendwie ja doch ganz putzig war.

„Nach meinen Angaben ein alter Mann. Ein Forscher, oder so. Ich sollte ihm die Waffe direkt übergeben. Das war eher ungewöhnlich.“

„Aber die Waffe ist dir nicht auf dem Weg gestohlen worden, oder?“, versicherte sich Thalia mit einem skeptischen Seitenblick zu Nea.

„Nein, sie lauerten vor der Burg. Was heißt hier „lauerten“?! Der eine saß auf dem riesigen Tor des äußeren Zwingers und wartete schon auf mich.“

„Sie?!“

Aicyn nickte. „Es waren nur zwei. Aber sie waren verdammt stark. Der alte Mann war schon tot. Aber mich brachten sie seltsamerweise nicht um. Vielleicht dachten sie, dass ich etwas über die Waffe wusste. Sie haben mich eingesperrt und sind dann einfach nicht wiedergekommen.“

„Wie sahen die beiden genau aus?“, wollte Adarwen wissen.

„Der eine war schlank. Aber er sah richtig niederträchtig aus. Und mit seinen Schuhen hat er alles kurz und klein gehauen. Getreten, getreten...“ Die Erinnerungen an diesen Kerl machte Aicyn anscheinend nervös.

„Sein Kumpel nannte ihn nur Stepper. Englisch ausgesprochen. Und der andere... groß. Und in seinen Augen war keinerlei Achtung vor dem Leben.“ In diesem Moment fiel den Ritterinnen Neas erschrockene Reaktion auf. Sie erinnerte sich anscheinend.

„Danke.“, sagte Lika schnell.

„Das war’s. Die vorerst letzte Frage.“ Der Zentaur atmete auf.

„Was ist?“, stichelte Thalia, „Kommst du freiwillig wieder mit rein, oder muss ich dich an einer Leine rein zerren?“

„Ja, bitte!!“ Hätte sie bloß nicht gefragt.



„Also gut, Nea, spuck’s aus!“ Im lila Zimmer standen die Ritterinnen bereit um ihre Kameradin auszuquetschen

„Was, wieso? Ich finde, wir sollten das Zimmer mal neu streichen...“

Die anderen ließen diese Antwort nicht gelten.

„Du kennst die Kerle, nicht wahr?“

„Natürlich, Sadira, sonst hätten sie den Tauchsieder heute noch.“ Nea sah von einem Gesicht zum anderen. Wenn sie sie nur nicht so anstarren würden...

„Also schön, ihr habt Recht ... von denen hab ich ihn geklaut,,,“ Sie starrten ja immer noch! „Und, kommt noch was?“, wollte Sadira wissen.

„Was soll denn noch kommen?“, fragte Nea kleinlaut.

„Na, warum?“ Nea zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung.“

„Und was dann mit den zwei passiert ist?“

„Weiß nicht.“

„Nea, das ist ja fast schon triebhaft!“ Dieser Ausspruch Likas traf sie hart.

„Schön, jetzt haben wir wenigstens eine Spur...“, seufzte Thalia und beendete diese grausame Fragerunde. Es wurde auch langsam Zeit zum Abendessen. Aicyn hatte einen Riesenhunger.



Ganz normaler Wahnsinn


Es folgte eine geruhsame Woche. Aicyn ging es immer besser (er wurde nicht aufgegessen), was die Ritterinnen auch zu spüren bekamen. Als zum Beispiel Thalia eines Morgens in ein Handtuch gewickelt die Badetür im zweiten Stock öffnete um in ihr Zimmer nebenan zu huschen, stand der Zentaur davor. Zuerst stieß sie einen Schrei aus. Dann versteckte sie sich hinter der Tür und ließ nur ihren Kopf hervorschauen. „Wie kommst du hier hoch?“, fragte sie entgeistert. Die Treppe würde er wohl kaum hoch gestiegen sein.

„Mit dem Aufzug, Schätzchen! Lass dich anschaun!“

„Wir haben einen Aufzug?!“, rief sie noch entgeisterter. Aicyn nickte „ Der freundliche Herr da vorne in der Latzhose hat ihn heute Morgen eingebaut.“ Er zeigte links den Gang hinunter. Damit war wohl alles klar. Handtuch oder nicht – Thalia musste nachsehen, ob Aicyn ihr nicht das Blaue vom Himmel log.

Sie tippte dem Ahnungslosen, der vor dem metallenen Kasten namens Aufzug stand, auf die Schulter.

„Was ... ist...“ Dem Mann klappte der Mund auf. Ihre Vermutung hatte sich bestätigt. Stinksauer starrte sie ihn an und verwirrt starrte er zurück.

„Das ist Anstiftung zu sexueller Belästigung, wissen sie das?“

„Man läuft auf Hausfluren nicht im Handtuch rum, wissen sie das?“ Feindselig standen sie sich gegenüber.

„Äh... wer belästigt sie denn?“ Der Mechaniker hatte sich nämlich geschworen solche Kerle in ihre Schranken zu weisen. Der Missetäter trottete gerade heran. Thalia zeigte stumm über ihre Schulter. Dem Mechaniker klappte wieder der Mund auf. Stumm passierte Aicyn die beiden, stieg in den Fahrstuhl und drückte den Knopf für Etage 4, wo sich Adarwen aufhielt. Die Türen schlossen sich. Anscheinend schien das Ding tatsächlich zu funktionieren.

„Was machen sie hier überhaupt?“, blaffte Thalia ihn an.

„Den Aufzug einbauen – sehen sie doch!“

„Der ist doch schon fertig!“

„Schön!“ Es gab eine Schweigepause. Thalias Wut hatte sich gelegt.

„Sie können ja noch zum Frühstück bleiben.“, schlug sie vor.

„Vielen Dank, aber ich habe einen dicht gefüllten Terminkalender...“

Also zog sie sich an und ging allein hinunter zum Frühstückstisch.


Nea gähnte ausgiebig. Sie hatte letzte Nacht die ganze Zeit den Keller durchstöbert und doch tatsächlich Aicyns verschollene Tasche gefunden. Nur die Geheimbibliothek hatte sie nicht gefunden. Naja. Jetzt konnte der Zentaur dank seiner Lesebrille wieder lesen.

„Was war in der Post?“, erkundigte sich Sadira. Das wollte sie schon die ganze Woche wissen, die anderen fragten sich, ob sie etwas erwartete.

„Du hast gefragt – du gehst nachsehen!“, sagte Nea. Natürlich hatte noch niemand nach der Post gesehen. Wo sich doch so leicht ein Opfer finden ließ...

Sadira öffnete den Briefkasten und fand zwei Briefe darin. Der eine war weiß, der andere lindgrün. Beide vom ASN. Sie öffnete (ohne Anwesenheit der anderen) den weißen und faltete das Blatt, das sich darin befand, auseinander.

„Sehr geehrte Bewohner der Burg an der Klippe, hiermit möchten wir sie daran erinnern, ihr Haus registrie -"

Sadira zerriss den Brief ohne weiter zu lesen. Den anderen nahm sie mit, um ihn den anderen zu zeigen. Auf dem Weg zurück zum Esstisch las sie den Absender. Es sah so aus, als sei er von einer Privatadresse abgeschickt worden. Trotzdem, er war vom ASN – der Absender war André.

„Und – war’s dabei?“

„Was?“ Sadira setzte sich wieder.

„Das, auf das du schon die ganze Zeit wartest.“ Sie schüttelte nur genervt den Kopf.

„Reisst euch drum!“, sagte sie und hob den Brief in die Mitte des Tisches. Nea schnappte ihn sich vor allen anderen.

„Der ist ja von dem Halbelf!“, stellte sie murmelnd fest. Den anderen ging sofort der eine Satz des Vorsitzenden durch den Kopf.

„André wird sich mit ihnen in Verbindung setzen, sobald wir ihre Hilfe benötigen.“

Nea riss den Umschlag auf und las laut vor:

„An die Bewohnerinnen der Burg an den Klippen, an Herrn Grischmo.

Da ich zur Zeit nicht persönlich mit ihnen in Verbindung treten kann (aus Gründen, die ich hier nicht weiter erläutern möchte), würde ich sie gerne per Anschreiben zu einem Turnier einladen: dem 4 - jährlichen offiziellen Turnier des magischen Reiches. Ihre Teilnahme ist nicht zwingend, aber ich (und mein Chef) würden uns sehr über ihre Einschreibung freuen. Nähere Informationen gebe ich ihnen gerne nach der Bestätigung des Interesses. Mit freundlichen Grüßen,

André

P.S.: Bitte kommen sie, sonst bringt mich mein Chef um oder stellt noch schlimmere Sachen mit mir an!!

P.P.S.: Melden sie doch bitte ihr Haus an!“


„Wieso ist es immer eine Nebenwirkungen bei geregelten Rechtssystemen, dass man fortan nicht mehr in Ruhe gelassen wird?“, seufzte Nea auf das PPS bezogen und faltete den Zettel wieder zusammen. Eine der anwesenden Personen hörte ihr weder zu, noch war sie ansprechbar: Sadira sprang fröhlich singend im Zimmer herum.

„Ein Turnier, ein Turnier! Endlich wieder ein Turnier!!“ Spontan umarmte sie Aicyn (der einzige, der stehen musste – Zentaurendiskriminierung!) und verschwand... durch die Tür. „Also ich weiß ja nicht...“, sagte Lika, „einfach unsere Identität so an die große Glocke hängen... Was ist eigentlich mit dir los, Grisch?! Du siehst aus, als hättest du letzte Nacht kein Auge zubekommen!“

Adarwen präzisierte: „Als hättest du einen Geist gesehen!“ Jetzt wurden ihm die Damen langsam unheimlich...

„Hab ich auch.“, murmelte er, „Glaub ich...“ Sadira steckte den Kopf durch die Tür.

„Echt?“

„Natürlich echt! Sonst würde ich mich doch nicht so aufführen!“, regte Grischmo sich auf.

„Also schön, Grischmo, du hast also einen Geist gesehen, ja? Und wo soll das gewesen sein?“ „In der Eingangshalle.“ Die Ritterinnen glaubten ihm kein Wort.

„In der Eingangshalle!“, seufzte Lika.

„Das wäre uns auch bestimmt nicht aufgefallen...“, sagte Adarwen.

„Wie sah er denn aus?“, fragte Aicyn neugierig. Anscheinend interessierte ihn das auch noch...

„Mh... weißlich, durchsichtig, tot ... EIN GESPENST EBEN!“, fauchte Grischmo.

„Der Geist muss ja auch irgendwann mal gelebt haben, oder nicht? Also was jetzt? War’s ein Mann?“ Oder eine Frau? Jung? Alt?“, giftelte Aicyn zurück.

„Ein alter Mann, Ziegenbart, in einem Mantel, mit komischen Ohren!“

„Aha!“

„Was, „Aha“?“, wollte Grischmo wissen

„Die Beschreibung passt!“ Der Zentaur sprach in Rätseln... Aber er rückte gleich mit der Antwort raus: „Das dürfte der vorherige Besitzer sein...“

„Solange er nicht spannt, wenn wir beim Duschen sind...“, murmelte Thalia. Sadira schien der Rest der Unterhaltung nicht zu interessieren. Sie verließ einfach – ohne Manieren – den Raum. Die anderen schien das nicht zu kümmern.

„Der Arme...“, seufzte jetzt Lika, „Ich muss mich bei Zeiten unbedingt einmal mit ihm unterhalten.“

„Wieso „arm“?“, verstand Nea nicht, „Ist doch selbst schuld, wenn er sich ausrauben lässt. Obwohl, ich halte ja nichts von Raub. Ist irgendwie geschmacklos.“

„Und was machst du dann immer?“, fragte ‘darwen.

„Das ist Stehlen. Das ist was gaaanz anderes.“ ...


***

Am Freitag, den 13. trottete Aicyn morgens um halb zehn den Gang herunter und stellte sich freudig vor Sadiras Zimmertür. Aus seinem Plan wurde nichts: Die Kämpferin riss die Tür auf, sprang regelrecht über ihn hinweg, wetzte den Gang hinauf und war verschwunden. Aicyn glotzte blöd. Sadira setzte ihren Lauf folgendermaßen fort:

Sie polterte drei Stockwerke Treppen hinunter, riss die Tür zur Eingangshalle auf, hechtete hindurch, rannte dabei durch einen Geist, riss die Haustür auf und spurtete dann über den Platz, sprang schließlich über die Zwingermauer. Sie war nur noch einige Meter von ihrem Ziel entfernt: dem Briefkasten. Sie stürzte sich auf ihn, riss ihn von seinem Pfosten ab und leerte den Inhalt auf den Boden. Einen Freudenschrei ausstoßend warf sie den Kasten ins Gebüsch, packte sich einen Umschlag und raste in die Burg zurück.

Als sie in die Küche kam, war Thalia gerade am Fluchen, weil sie die Butter hatte auf den Boden fallen lassen. Lika sah von ihrer Zeitung auf.

„Du grinst ja wie ein Honigkuchenpferd!“, stellte sie fest, faltete die Zeitung zusammen und trank einen Schluck Cappuccino. Sadira setzte sich schulterzuckend. Thalia verfrachtete die Butter mit einem kleinen Zauber unversehrt in ihr Behältnis zurück. Sie hasste es, ihre magischen Kräfte für so etwas einzusetzen. Noch leicht angesäuert setzte sie sich zu den anderen an den Tisch. Aicyn streifte irgendwo draußen herum.

„Thalia?“, säuselte Sadira grinsend.

„Was?!“, fauchte die Hexe. Die anderen sahen sie erschrocken an.

„E – entschuldigung... was gibt’s?“ Sadira war jetzt vorsichtiger.
„Ich wollte dich nur fragen... was heute für ein Tag ist...“

„Freitag.“, antwortete Thalia in aller Ruhe und schlug die Augen zu und auf.

„Und weiter?“

Thalia wollte gerade „Was, „weiter“?“ antworten, als ein verkohlter Geruch sie aufriechen ließ. Da wurde ihr klar, dass es ihr Toast war und sie stürzte zum Toaster. Irgendwie sprang der Toast nicht heraus, obwohl er schon ganz schwarz war. Jammernd zog Thalia den Stecker. „ Zuerst die Butter und jetzt das!“

„Und?“, meldete sich Sadira noch einmal,

„Was ist heute für ein Tag?“ Thalia ging auf einmal ein Licht auf.

„Heute ist Freitag, der 13te!“, fiel ihr ein.

Grinsend zog Sadira den Umschlag hervor.

„Dreimal dürft ihr raten, was hier drin ist!“, verkündete sie und wedelte den anderen damit vor der Nase herum.

„Ein Brief?“, gähnte Nea voll Ratelust (wieder Mal zu spät ins Bett, was?).

„Nein!“, antwortet Sadira sofort und freute sich über ihren Fehlschlag.

„Karten!“ Adarwen musste nur drei Sekunden den Umschlag und zwei Sekunden Sadira anstarren um die richtige Antwort zu erraten, äh ... zu schlussfolgern. Enttäuscht nickte Sadira und legte den Briefumschlag auf dem Tisch ab.

„Sollen wir auch noch erraten, was für Karten?“, fragte Lika und warf die Zeitung Thalias Laufechse zum Fraß vor.

„Ey, die wollte ich noch lesen!“, beschwerte sich Adarwen.

„Ey, der bekommt nur Durchfall von der Druckerschwärze!“, empörte sich Thalia.

„HALLO, ihr sollt RATEN!“, schaltete sich Sadira, ungeduldig wie sie war, wieder ein.

„ Da die Karten für dich sind, geht es wahrscheinlich um irgendein brutales Mordspektakel, Basiliskenschlachten, oder so.“ Nea erntete einen beleidigten Blick.

„Jetzt überlegt doch mal – heute ist Freitag, der drei – zehn – te!“

Ja ... und, Sadira? Aber Thalia ging ein Licht auf. Und zwar ein gewaltiges. So gewaltig, dass ihr der Mund offen stand und sie kein Wort heraus bekam.

„Doch nicht etwa ... oh, mein Gott – für heute Abend, für-“ Sadira riss grinsend den Umschlag auf und zog zwei Karten heraus, die ein verschnörkeltes Wappen und den Schriftzug „Gala 13“ trugen. Thalia stieß einen Freudenschrei aus, was die anderen stutzig machte, weil sie es sonst nie tat. Auch Sadira wurde von diesem Symptom ergriffen, sie stand auf, ging zu Thalia hin und die beiden hüpften auf der Stelle und schrien sich gegenseitig an. Nea schüttelte genervt den Kopf.

„Wenn das so weiter geht... zieh ich aus.“

„Was ist die Gala 13?“ Thalia und Sadira verstummten. „Das weißt du nicht, Lika? Das ist ein Riesenball! Jeder, der in der magischen Welt Rang und Namen hat, geht dort hin! Verdammt, Sadira, wie bist du an die Karten gekommen?“

„Sagen wir... ich habe Beziehungen. Es sind zwei. Will jemand die zweite Karte?“ Thalia quietsche, riss ihr eine Karte aus der Hand und rannte zur Tür.“

„Ach je – ich habe mir ja noch gar kein Kleid ausgedacht!“, stellte sie erschrocken fest, „Ausgedacht?!“, wiederholten Nea, Lika und Adarwen.

„Natürlich. Für die Gala 13 denkt man sich sein Kleid aus und zaubert es dann!“ „Es ist eine Kunst!“, begeisterte sich Sadira, „die großen Modeschöpfer bereiten sich das ganze Jahr nur auf diese Gala vor!“ Die Begeisterung der anderen blieb aus. Im Gegenteil.

„Das ist ja grausam!“, jammerte Adarwen.

„Die heilige Zeremonie... das Shopping ... wird entweiht!“, stammelte Nea.

„Ihr seid heute Abend weg?“, erkundigte sich Lika. Sadira nickte.

„Hach, du weißt ja, wir müssen und wegen des Turniers entscheiden...“

„Lass mich mit dem Turnier zufrieden – das wird der Abend meines Lebens!“, keifte Sadira und verließ mit Thalia das Zimmer. Lika schüttelte seufzend den Kopf.


Jemand klopfte an ihrer Tür Sturm. Genervt drückte Sadira die Klinke.

„Aicyn, jetzt gerade nicht!“ Thalia starrte sie entgeistert an. Dann quetschte sie sich durch den Türspalt.

„Was gibt’s?“ Aber die Hexe stand erst einmal der Mund offen. Sadiras Zimmer sah aus wie – war das überhaupt ein Zimmer? Auf dem Fußboden wuchs Gras. Und die Wände waren unter den wuchernden Ranken nicht zu sehen.

„Mein altes Zimmer war genau so. Dann fühle ich mich hier leichter wie zu Hause. Also?“ Thalia fand jäh in die Realität zurück. Ihre Laufechse, Kalaik, die ihr auf der Schulter gesessen war, huschte an ihr herunter und verschwand im Gras. „Mir ist etwas Schreckliches eingefallen! Wir haben gar keine männliche Begleitung!“ Sadira blinzelte sie an. Thalia blinzelte auch. „Das macht nichts.“, fand Sadira, „Dort sind genug Leute, die auch alleine hingehen. Die Karten sind so teuer.“ Thalia sah sie misstrauisch an.

„Du bist schon verabredet, stimmt’s?“

„Nein!“

„Natürlich! Und ich stehe dann alleine rum!“

„Ist doch gar nicht wahr! Ich wollte ja eigentlich an fünf Karten kommen, aber der Trottel hat’s nicht hinbekommen...“ Ein weiterer misstrauischer Blick. Thalia setzte sich auf einen Stuhl, während Sadira jetzt begann die Ranken an der Wand mit Milch zu gießen.

„Welcher Trottel?“

“Ich hab was für ihn geregelt. Der hatte sich ein Mammuttrapkel gehalten und dann ist es leider mit zunehmendem Alter ausgetickt. Ich hab es für ihn weggeschafft, ohne dass er Ärger von den Behörden bekommen hat.“

„Ein Mammuttrapkel? Wie ist er denn an so eins gekommen?“

Mammuttrapkel waren eine missglückte Züchtung aus allen möglichen riesigen magischen Tierwesen und sollten eigentlich als Arbeitstiere dienen. Leider hatten sie von Zeit zu Zeit die Angewohnheit plötzlich wie eine Dampfwalze los zu rasen und alles in ihrer Reichweite nieder zu machen. Solche Anfälle dauerten zwar nicht allzu lange, waren aber oft mit Toten oder Schäden in Millionenhöhe verbunden. Natürlich war die Haltung dieser Tiere verboten.

„Vielleicht Bestienritter, weiß ich auch nicht.“

„Bestienritter – Die magische Mafia?!“, rief Thalia. Als Antwort schepperte es auf dem Gang draußen. Sadira riss die Tür auf. Aicyn lag auf dem Boden und streckte alle Viere von sich. Zwei Eimer Äpfel rollten davon. „Bin gestolpert...“, erklärte er und rappelte sich wieder auf. Die beiden schlossen die Tür wieder ohne ihn weiter zu beachten.

„Und von so einem besorgst du dir Galakarten?!“ Sadira zuckte mit den Schultern.

„Du hast Recht, das nächste Mal sollte ich mehr fordern.“

***


Gala 13 vs. Putzabend


Um sechs Uhr abends verließen die beiden frohen Mutes die Burg. Zurück blieben Nea,‘darwen, Lika und Grischmo, die einen langen Abend vor sich hatten. Ihr Vorhaben: den Keller entrümpeln. Und mindestens eine Person war davon ganz und gar nicht begeistert. Der Keller. Brrrr... schon allein beim Gedanken daran sträubte sich Grischmo das Fell. Aber gegen die „drei Furien“ hatte er eh keine Chance. Mit Taschenlampe und viel gutem Willen bewaffnet wagten sie sich in das Labyrinth. Selbst Nea war noch nicht überall hin vorgestoßen. Sie hatte ein Brecheisen dabei, damit sie nicht vor verschlossenen Türen stehen mussten (auch, wenn es Grischmo lieber gewesen wäre). Die meisten Räume waren vollgestellt mit alten Möbeln oder verstaubten Weinregalen; vergammelte Vorratskammern reihten sich an unbenutzte Feuerholzlager. Jede der Ritterinnen hatte schon genaueste Vorstellungen, was mit dem frisch renovierten Keller anzufangen sein würde. Seufzend stand Nea vor der ersten Tür. Sie war aus schwerem Eisen und hatte ein schmales, dummerweise mit dichtestem Staub belegtes Sichtfenster. Sie hatte keine Ahnung, was dahinter war, machte sich aber auf das schlimmste Chaos gefasst. Als ihr die anderen bestärkend zugenickt hatten, öffnete sie die Tür. Eine Folterkammer. Grischmo fiel in Ohnmacht. Er wachte wieder auf und musste feststellen, dass er auf einer Streckbank lag. Ach wenn er nicht gefesselt war, machte er schleunigst, dass er runter kam. Die Mädchen entstaubten gerade diverse Foltergeräte. „Ich kenne jemanden, der wüsste bestimmt, wozu man das ganze Zeug hier benutzt...“, überlegte Lika. „Untersteh' dich, ihn zu fragen!“, fauchte Grischmo. Er war geschockt, dass die das Zeug nicht sofort verschrotteten, sondern es auch noch auf Vordermann brachten. „

Wisst ihr, was ich mir heute morgen im Bad überlegt habe?“, fragte Adarwen.

„Wie du Aicyn von der Tür weg bekommst? Apropos, der ist heute so ruhig...“

Aber ‘darwen schüttelte den Kopf.

„Unser Haus ist doch nicht angemeldet. Wo bekommen wir dann Wasser her?“ Die anderen unterbrachen ihre Arbeit. Eine berechtigte Frage.

„Ach, wisst ihr was?“ Nea stellte ihren Eimer ab und warf den Lappen hinein.

„Wir finden es raus. Wir können ja einfach den Wasserrohren folgen.“ Die anderen waren begeistert von der Idee. Jedenfalls begeisterter als vom Putzen.

„Aber einer muss den Spiegel mitnehmen.“, sagte Lika im Hinausgehen. Der kleine Taschenspiegel diente als Überwachungskamera für draußen, denn er zeigte den Blick von den Zinnen der Wachgänse auf das Grundstück. So wussten die Ritterinnen sofort, wenn sich jemand der Burg näherte. Grischmo schnappte ihn sich und dann nichts wie raus aus diesem Loch.

Tatsächlich. An der Gewölbedecke verliefen Rohre. Sie waren vorher gar niemandem aufgefallen...

„Ich weiß nicht, was das bringen soll“, meldete sich Adarwen, „Die Rohre werden höchstwahrscheinlich im Boden weitergehen – und was machen wir dann?“

„Dann warten wir, bis Thalia kommt und die wird das Wasser schon verfolgen können“, antwortete Lika seelenruhig. Aber Adarwen hatte Unrecht. Nicht das Ende des Kellers war ihr Hindernis, sondern eine Tresorluke, hinter der die Rohre weiterführen mussten. Die Ritterinnen waren ganz erstaunt so etwas in ihrer Burg zu haben...

„Kein Problem, die kriege ich schon auf!“, beruhigte Nea die anderen, bevor sie ihren Rucksack abzog und darin herum kramte. Da meldete sich der Spiegel. Sofort sahen sie nach. Auf der kleinen Glasfläche war der Platz ihrer Burg zu sehen. Und... ein Reitertross. Die Leute suchten die Ruinen ab, sie schienen ziemlich verwirrt zu sein.

„Die suchen die Burg...“, meinte Lika. Fragend blickte sie in die Runde.

„Vielleicht kennen sie den alten Burgherrn...“, überlegte Adarwen. Sie kamen darüber ein, diese Reiter willkommen zu heißen.


Thalia sah sich nervös um.

„Ziemlich viel los...“, murmelte sie. Sadira, die neben ihr stand, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der riesige Ballsaal war festlich geschmückt, die Gäste hatten sich zu kleinen Gruppen zusammengerottet und gut aussehende Kellner gingen herum und verteilten den Empfangssekt. Sie war nicht mehr auf einem Ball gewesen seit...

„Und? Wo steht deine Verabredung?“, fragte Thalia.
„Ich hab dir doch gesagt, mein Freund mag so große Menschenversammlungen nicht! Außerdem hält er sich gerade in einer anderen Welt auf. Das könnte ein kleines Hindernis darstellen...“
„Es muss ja nicht dein Freund sein...“, stichelte Thalia. Sadira wollte gerade sehr angesäuert antworten, als...

„Verzeihung!“

Die beiden drehten sich um und wären am liebsten im Erdboden versunken. Vor ihnen stand André. In Sakko und einer roten Nelke im Knopfloch.

„Sind sie alleine hier?“
„Ehm... ja.“, antwortete Thalia zögerlich.

„Sie haben ihre Freundinnen zu Hause gelassen?“, stellte er fest.

„Und sie dackeln nicht mehr ihrem Chef hinterher.“, rutschte es Sadira heraus. Thalia sah sie entsetzt an, aber André lachte.
„Wenn sie wüssten...“

Thalia merkte jetzt erst, dass irgendwo eine Streichergruppe spielte.

„Würden sie mich zum Buffet begleiten?“, fragte André.

„Ja, gern! Und du, Thalia?“

„Nein, danke. Ich habe noch keinen Hunger.“ Das war eine dämliche Antwort, denn jetzt stand sie alleine da. Aber nicht lange. Jemand tippte ihr auf die Schulter. Sie fuhr herum und sah einen jungen Mann vor sich stehen. Sakko, Fliege, zurückgegelte, blonde Haare und tiefblaue Augen. Er überragte Thalia zwar, aber der Größte war er auch nicht. Tja. Und sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen.

„Verzeihung... ich wollte nicht unhöflich sein...“ Seine Stimme klang warm und verlegen zugleich.

„Sie standen hier so alleine herum... Da habe ich mich mal dazu gestellt...“ Thalia lachte mit. Sollte das eine Anmache sein? Lass dich bloß nicht einwickeln, Thalia!

„Ach so...“ Der Mann schüttelte Thalia die Hand.

„Lapis, freut mich! Sie sind ganz alleine hier?“

„Thalia. Also eigentlich bin ich -“ In diesem Moment hörte das Streicherensemble auf zu spielen und die Menge begann zu klatschen.

Der „Baron“ betrat die Empore oben an der Wand um die Gala 13 zu eröffnen. Er war der Gastgeber, stinkreich, uralt, sah immer noch aus wie dreißig und wurde von allen nur „Der Baron“ genannt. In Wirklichkeit wusste keiner etwas über ihn. Thalia dachte daran, woher Sadira ihre Karten bekommen hatte und der Gastgeber erschien ihr schon wieder in einem ganz schlechten Licht. Wenn allerdings André, ein Mann, Pardon, ein Halbelf vom ASN auch hier war... und dann waren die Eintrittskarten so schwer zu bekommen. Wenn sie nur an geladene Gäste verteilt wurden, wieso kam man dann auch mit einem Haufen Geld an sie heran?

Die Menge verstummte. Auch Thalia und Lapis erwarteten gespannt die Rede des Barons.

„Meine lieben Gäste!“ Jetzt erfüllte seine vornehme Stimme den Saal, alle Augen waren auf ihn gerichtet. Nicht wenige der weiblichen Gäste voll Verzückung. Der Baron war ein echter Frauenschwarm. Trotzdem lebte er angeblich allein. Warum?

„Was für ein magischer Abend!“

Klatschen wurde laut, aber verstummte schon bald wieder, weil der Gastgeber weiter sprach. „Und was für eine verzauberte Nacht! Ich will euch nicht mit meinem Geschwätz langweilen, heute Nacht sollt ihr euch amüsieren!“

Wildes Klatschen erhob sich, aber der Baron war noch nicht fertig.

„Trotzdem, noch einen Satz: Ich wünsche euch Glück, Gesundheit, eine volle Tasche und nicht das Zeichen der Bestienritter an eurer Tür!“ Vereinzeltes Lachen, dann wurde wieder geklatscht, lange, während der Baron die Treppe zum Ballsaal herunter kam. Jetzt, wo allgemeines Murmeln und Lachen einsetzte, konnten sie sich ja weiter unterhalten. Also... was wollte sie gerade sagen?

„Sagen sie, Thalia, wo kommen sie eigentlich her?“ Thalia wollte gerade antworten, als sich ein weiterer Mann näherte und „Lapis!“ flüsterte.

„Einen Moment!“, bat der zu Thalia gewandt, drehte sich genervt seufzend um und erwiderte ebenfalls in Flüsterton:
„WAS?! Siehst du nicht, dass ich gerade Informationen sammle?“ „Das ist es ja gerade!“

Thalia konnte die beiden zwar nicht verstehen, aber beobachten. Vor allem den Neuzugang hatte sie im Visier. Er schien das ziemliche Gegenteil von Lapis zu sein. Groß, breitschultrig, schwarze, verstrubbelte Haare und diese hellen, leeren Augen... Thalia behagte er gar nicht... Urplötzlich musste sie an

„Augen, die das Leben verachten“ denken. Aber wann und von wem hatte sie das noch mal gehört?

„Da bist du ja!“ Sadira kam mit André im Schlepptau zurück. Mann, konnte oder wollte sie ihn nicht abwimmeln?

„Ich hab mich nicht von der Stelle gerührt!“, beteuerte Thalia ein bisschen bissig. „Was seh' ich da, du unterhältst dich?“ Sadira sah Lapis neugierig an. Sein Bekannter war wieder verschwunden.

„Echt nicht schlecht, Thalia!“ Die Hexe wurde noch verlegener als er, so dass sie eigentlich schon wieder sauer wurde.

„Guten Abend, mein Name ist Lapis!“ Die Höflichkeit, die er an den Tag legte, stimmte sie allerdings wieder milder.

„Schön, ich meine, hocherfreut, ich heiße Sadira!“ Sie machte einen Knicks beim Händeschütteln. Bitte, Sadira, schlepp' ihn doch ab, dann habe ich meine Ruhe!, dachte Thalia.

„Und sie sind André Hibis, ja ja...“ Lapis schüttelte ihm jetzt die Hand.

„Ach, sie haben von mir gehört?“

„Keine Kunst...“, meinte Lapis ausweichend, „sie sind ja überall bekannt...“

„Echt?“ Jetzt wurde Sadira erst recht neugierig. Nein, Sadi, frag bitte nicht!

„Als was ist er denn bekannt?“ Lapis lachte verlegen.

„Also... das ist jetzt nicht meine persönliche Meinung, aber... man kennt sie als den Schoßhund der Behörde...“ André stand da wie bedröppelt, Thalia und Sadira strengten sich an nicht loszuprusten. Aber da ja heute der Abend der Unterbrechungen war...

„André!“

Sie glaubten es nicht! Wer da gerade mit ausgebreiteten Armen auf sie zu kam, war kein minderer als der Baron höchst persönlich.

„Mein Lieblingshalbelf!“

Der Mann klopfte André so fest auf die Schultern, dass der zusammenzuckte. Sadira sah Thalia verwundert an. Kannten sich die beiden?

„Es ist mir eine Ehre, mich mit ihnen zu unterhalten, Herr -“

„Wie bin ich froh, dass du doch noch gekommen bist! Wir haben noch so viel zu besprechen, wie wäre es, wenn wir das in meinem Zimmer tun würden?“

Der Baron wollte André vor sich herschieben, aber dessen flehende Blicke zu den beiden Damen blieben nicht unerhört.

„Entschuldigung? Sind sie tatsächlich...?“ Der Baron blieb auf der Stelle stehen. Still fluchte er, dass jemand ihn daran hinderte endlich mit diesem Halbelf unter vier Augen zu sein, aber als er sich umdrehte, spielte er wieder den perfekten Gastgeber.

„Welche der bezaubernden Schönheiten will das wissen?“

Macho!, dachten vier der fünf Personen dieses Gespräches. Sadira hob die Hand, aber Thalia machte den Mund auf.

„Sie müssen wissen, es ist das erste Mal, dass wir ihnen persönlich gegenüberstehen – es ist ja solch eine Ehre! Wir hatten schon gewettet, dass ihr nur ein Gerücht wärt!“ Sadira staunte, wie gut die Hexe lügen konnte.

„Schön; wie ihr seht bin ich echt. Könnte ich jetzt bitte mit ihm...“ Thalia und Sadira wurde langsam klar, weshalb der Typ keine Frau hatte...

„Darf ich vorstellen?“, murkste André den Baron charmant ab, „Die jungen Damen sind Thalia und Sadira; ihr Unternehmen ist unser neuester Partner.“

Unternehmen? Die beiden tauschten viel sagende Blicke. Vielleicht sollte man die Sache wirklich geheim halten... Der Baron sah die zwei Ritterinnen an und dachte nach.

„Ah, ihr habt Calla ausgeschaltet!“

Okay, vielleicht machte es doch keinen Sinn mehr überhaupt irgendetwas geheim zu halten... Anscheinend war der Gastgeber jetzt von André abgelenkt. Während er begeistert weiter redete, machte er sich unbemerkt aus dem Staub.

„Ihr musstet gegen diese Furie kämpfen? Ich habe gehört, die hatte sogar Drachen dabei!“ „Ja... das riesengroße Vieh liegt immer noch bei uns im Hinterhof...“, lachte Thalia verlegen und fragte sich zugleich, WIESO dieser Mann so gut informiert war.

„Ach, tatsächlich? Ich hatte einen Drachen. Aber mir wurde vor kurzem meine Drachenpfeife gestohlen...“, klinkte Lapis sich wieder ins Gespräch ein.

„Ehrlich?“, sagten Thalia und Sadira gleichzeitig. Sofort mussten sie an Neas Beschreibung ihres Opfers denken... Schwarze Haare hatte er schon mal nicht. Sie sahen auf seine Füße. „ROTE Schuhe?!“, fragte Sadira ungläubig.

„Unempfindlicher gegen Flecken...“

„FLECKEN?!“

„Ehm, Sadira, ich geh mich mal eben frisch machen... Kommst du mit?“

„Nö.“

„Komm mal mit....“ Thalia schleifte ihre begriffsstutzige Freundin einfach mit.

***

„Was soll denn das werden?“, zeterte Sadira, als sie im Vorraum zur Damentoilette angekommen waren.

„Findest du den Type nicht etwas auffällig?“ Sadira stöhnte genervt.

„Natürlich ist er auffällig, das ist der Baron!“

„Der doch nicht! Der Blonde! Der bei mir stand, als du mit André wieder aufgetaucht bist!“ Sadira sah sie ausdruckslos an. Als müsste sie ihr Gefühl mit dem eben von Thalia Gesagten abwägen.

„Du meinst... wegen den Schuhen?“

„Der Kommentar wegen der Flecken, der Zufall, dass er einen Drachen vermissen soll, sein verdächtiger Kumpel...“ Sadira sah sie fragend an.

„Ach, das weißt du ja noch gar nicht...vorhin, als wir uns unterhalten haben, kam so ein großer Kerl mit ganz seltsamen Augen, der etwas von ihm wollte. Lapis hat ihn abgewimmelt... wenn das überhaupt sein Name ist.“

„Und was sollen sie auf dem Kerbholz haben?“ In diesem Moment klickte eine Kabinentür. Sadira und Thalia waren schlagartig still. Eine Frau ging zu den Waschbecken und sah sie misstrauisch an. Immer diese Störungen! Sie ging schleunigst und schien auch nicht an dem Gespräch interessiert zu sein.

„...Was Aicyn erst vor kurzem gesagt hat? Zwei Typen haben ihn erwartet – der eine tritt alles kurz und klein und der andere...“, fuhr Thalia leiser fort, als würden sie abgehört.

„ ...mit Augen, die das Leben verachten.“, beendete Sadira den Satz. Es klopfte an der Tür. Sie machten keinen Mucks. Keiner klopfte an einer Toilettentür! Es sei denn...

„Kommt schon raus, Ritterinnen, wir wissen, dass ihr da drin seid. Und ihr wisst, dass wir euch nicht einfach so gehen lassen können.“

Lapis. Es war eine Fügung des Schicksals, dass jetzt schnellere Musik gespielt wurde und alle im großen Ballsaal tanzten... Thalia und Sadira sahen sich an. Die Hexe nickte.

„Was willst du mit dem Stab überhaupt anfangen?“, rief Sadira nach draußen. Lapis lachte leise.

„Ihr könnt mit dem Ding doch eh nichts anfangen. Also könnt ihr ihn doch genau so gut uns geben!“ Er hatte anscheinend keine Ahnung!

„Vergiss es!“

„Schön... ich kann warten!“

„Viel Spaß!“ Dann war es still. Wartete er vor der Tür, oder war er schon wieder weg? „Verdammt noch mal, ich bin gekommen um mich zu amüsieren! Nicht, um in einem Klo festzusitzen!“, flüsterte Sadira sauer.

„Gehen wir einfach wieder zurück zum Ballsaal – was kann er uns da schon anhaben?“

Sadira war einverstanden. In Seelenruhe öffneten sie die Tür und gingen erhobenen Hauptes an Lapis vorbei, der neben der Tür an der Wand lehnte.

„Was soll das werden?!“ Als hätte er sich dort hin teleportiert, tauchte er plötzlich vor ihnen auf, stand lässig da, mit den Händen in den Hosentaschen. War ganz gut zu Fuß, der Kerl. Die Frauen blieben stehen.

„Och, wie niedlich! Als ob das uns aufhalten würde!“ Thalia zog Sadira hinter sich her an ihm vorbei, sie streckte ihm die Zunge raus.

„Ich habe euch gesagt, dass wir euch hier nicht so wieder gehen lassen können...“, warnte sie Lapis von hinten. Noch zehn Meter bis zum Ballsaal...

„...Onyx?“, bat Lapis seinen Kumpel in Erscheinung zu treten.

Noch sieben Meter...

„Warum gebt ihr nicht einfach auf und gebt uns den Stab?“

Schluss, Ende, aus! Es war vorbei. Sie standen vor der offenen Ballsaaltür, aber Onyx stand in ihr. Sie konnten nicht vorbei.

„Von was für einem Stab redet ihr die ganze Zeit? Wir haben keine Ahnung, ehrlich!“ Lapis kam jetzt von hinten, so dass sie eingekesselt waren.

„Ach... ist das wahr Onyx?“

„Nein, sie lügen.“ Mist!

„Ihr müsst nämlich wissen, dass er ein Truefinder ist!“, behauptete Lapis. Damit jagte er den beiden für einen Moment einen Schrecken ein, aber dumm, dass sie darauf reingefallen waren... Truefinder, auf deutsch „Wahrheitsfinder“ waren so selten, dass es praktisch fast keine gab. Dass der hier einer sein sollte... Sadira blickte Onyx an. Der zeigte keine Gefühlsregung und mit seinen weiß – grauen, pupillenlosen Augen schien er gar nichts anzusehen.

„Das glauben wir euch nicht!“

„Halb glaubt ihr es schon. Ihr wollt es nur leugnen.“, widersprach Onyx. ....oder... war er vielleicht sogar blind? Thalia würde es gleich herausfinden. Wenn er tatsächlich blind war, hatten sie Pech.

Sie hielt ihm plötzlich die Hand vors Gesicht, dafür musste sie ihrem Arm ganz ausstrecken, weil er so groß war. Ein Blitzlicht ließ ihn die Augen zukneifen und die Arme schützend vors Gesicht halten. Er war also nicht blind! Schön für ihn und sie. Thalia schnappte sich Sadira, weil sie auch geblendet war - Lapis ebenso- und sie rannten an Onyx vorbei. In der Menge fanden sie Sichtschutz. Alle klatschten, weil das Ensemble sein Stück beendet hatte. Sie bauten ab. Eine Band würde am späteren Abend, also jetzt, spielen, Sehr viel Zeit bis zum nächsten Tanz hatten sie nicht.... Aber mehr Zeit hätte ihnen so wieso nicht geholfen. Jemand stand in der Mitte hinter ihnen und legte seine Hände auf ihre Schultern.

„Ich hab mir den Klang eurer Schritte eingeprägt. Wegrennen bringt nichts.“

Die zwei fuhren herum. Lapis stand verlogen lächelnd da.

„Ein ziemlich typischer Schritte-Klang.“

Der Kerl war doch kein Mensch! Am Geräusch der Schritte wiederfinden! Was konnte der noch?!

„Was willst du hier schon ausrichten?“ Hätte sie lieber nicht gefragt... Es sah aus, als würde er sich nur breitbeinig hinstellen, aber als Lapis‘ rechter Fuß wieder auf den Boden traf, ging das Parkett zu Bruch. Auch der Steinboden darunter zerbrach und riesige Brocken ragten auf einmal heraus. Die Menge stob kreischend auseinander.

„Es sind trotzdem zu viele Zeugen hier.“, sagte Sadira seelenruhig, sie war nur etwas über diese Aktion überrascht, sie hatte ihren Gegner falsch eingeschätzt.

„Wir hatten eigentlich nicht vor einen übrig zu lassen.“ Er ging in Sprungposition.

„Ich übernehme das hier. Du haust ab – oder kümmere dich um den anderen!“ Sadira schubste Thalia weg und die hatte keine Lust zwischen einen Kampf von Sadira und egal wem zu geraten...

Also – wo sollte sie hinflüchten?

Gedanke 1: Da, die Tür! Sie ist frei! Nichts wie raus!

Gedanke 2: Ich kann doch meine Freundin nicht im Stich lassen!

Gedanke 3: Sadira kommt besser alleine zurecht ... verschwinde von hier!

Gedanke 4: Mist! Der Kerl steht in der Tür!

Sadira machte einen Wink zu Lapis, dass er anfangen sollte. Der schüttelte den Kopf.

„Mach dich nicht unglücklich, Mädchen!“

Wirklich witzig, dachte Sadira, der Kerl darf froh sein, dass er noch nicht ohne Rückgrat da hinten an der Wand hängt...

„Jetzt mach schon, ich hab nicht ewig Zeit!“

Er hatte sie gewarnt... Kaum, dass sie es sich versah, hatte sie seinen Fuß im Gesicht... fast... Mit einer Hand blockte sie seinen Fuß und wurde von der Wucht einen halben Meter nach hinten verfrachtet.

„Wunderbar!“, freute sie sich und ließ ihre Finger knacken.


Thalia stand vor einem Problem. Es war geschätzt zwei Meter groß und hatte grau – weiße Augen. UND es stand vor der Tür und versperrte ihr den Fluchtweg.

„Onyx, fang sie ein!“, rief Lapis von seinem Kampf herüber und musste springen, weil Sadiras Faust vor ihm den Boden zersplitterte, Sie hatten jetzt praktisch viel Platz, weil die Gäste allesamt nach draußen geflüchtet waren. Thalia fand diese Idee (sie einzufangen) gar nicht gut... Onyx pfiff mit zwei Fingern. Sie sah sich im fast leeren Ballsaal um. Was kam jetzt? Ein leises Knurren war auf einmal rund um sie herum über ihr; zuerst dachte sie, es handle sich um das Brummen eines zu lauten Kühlschrankes, jedoch, als sie über sich sah, war da etwas ganz anderes. Der Saal hatte riesige, romanische Mosaikfenster und der Saal war etwa zwölf Meter hoch. Diese eben genannten Fenster gingen bis unter die Decke und an diesen Fenstern, ganz oben, saß der Grund für die Geräusche, die Folge von Onyx Pfiff. Die halbrunden Scheiben waren zerbrochen und auf jedem Fensterrahmen saß das übermenschlich große Exemplar eines weißen Monsters, Thalia konnte es nicht genau erkennen durch die Entfernung. Aber als sie kurzerhand nach unten sprangen, ging’s besser. Was zuerst auffiel, war, dass es eine ganze Horde dieser Tiere war, zirka 20 Stück.

„Mammuttrapkel! - nicht schon wieder die Viecher! “, jammerte Sadira immer noch kämpfend.

„DAS sind Mammuttrapkel?!“, rief Thalia ungläubig, noch hielten sich die dreieinhalb – Meter – Monster auf Entfernung.

„Ich dachte, du kennst sie!“

„Vom Hören – Sagen, verdammt!“, fauchte Thalia. Äußerst nervös sah sie sich um. Wer war bloß auf diesen Namen gekommen?! Mammuttrapkel – darunter konnte man sich jawohl überhaupt nichts vorstellen! In Echt sahen die Viecher aus wie eine überdimensionale Mischung aus Känguru und Gorilla, mit weißen Schuppen, wie die von Eidechsen. „Ein paar Andenken von Calla an uns – diese falsche Schlange!“, erklärte Lapis, wogegen Sadira allerdings gleich wieder etwas hatte.

„Pass auf deine Deckung auf!“, schrie sie ihn an. Dadurch konnte er gerade noch einem ihrer kritischen Schläge ausweichen.

„Sadira!! Was soll das?! Ich brauche Hilfe und du erteilst dem auch noch eine Trainingsstunde?!“ Thalia war fassungslos.

„Das kriegst du schon hin!“ Und sie kloppten sich unansprechbar weiter. Oh je. Thalias Blick schweifte über die ganzen Mammuttrapkels bis zu Onyx, der an der Tür lehnte und blieb dort haften. Anscheinend hörten sie auf ihn. Was hatte Lapis gesagt? Die Viecher waren von Calla? Dann hatte sie die beiden also auch reingelegt? Was hatten die Kerle überhaupt mit dem Ganzen zu tun? Fragen über Fragen und noch nicht mal die Aussicht hier lebend wieder rauszukommen...

***


„Mann, dass gerade jetzt Sadira weg sein muss! Und was, wenn uns diese Zigeuner niedermetzeln wollen?“ Gerade auf den letzten Metern in der Eingangshalle kamen Adarwen Zweifel auf. „Das sind keine Zigeuner!“, musste Lika sie gleich wieder belehren, „Das ist ein legendäres Reitervolk. Jedenfalls das, was davon übrig geblieben ist...“ Skeptisch sah sie noch einmal durch den Spiegel. Sie standen vor der geschlossenen Tür. Wenn sie durch die gingen, würde noch nichts Bewegendes geschehen. Erst, wenn sie das Zwingertor passiert hatten, konnten sie wieder gesehen werden. „Sind ein bisschen heruntergekommen, scheint mir...“, meinte Nea. „Die Pferde sehen auf jeden Fall mal gesund aus...“, gab Adarwen zu. Einen Moment noch sahen sie die kleinen Bilder der Menschen und Pferde draußen an, die mit ihren einstmals prachtvollen, jetzt verblichenen Kleidung ratlos die verfallenen Ruinen der Burg absuchten.
„Die sind harmlos!“, beschloss Lika spontan und öffnete die Tür. Es war wirklich seltsam, erst raus zu müssen, um wieder rein zu kommen. Genau beim Passieren der Torschwelle des äußeren Zwingers verschwammen die stattlichen Mauern um sie herum. Übrig blieb eine Reihe Steine, die halb im hohen Gras verschwunden war.
„Wie bringen wir das denen bei?“, seufzte Lika. „Erst mal werden wir aus denen rausbekommen, was die hier zu suchen haben!“, sagte Adarwen entschlossen und wollte das am besten selbst in die Hand nehmen. „Zum Beschatten dürfte es jetzt inzwischen zu spät sein, also gehen wir!“

Die Reiter hatten sie schon bemerkt. Sie schienen friedlich zu sein. Außer ein paar Speeren mit Bannern daran konnten die Ritterinnen nichts Waffenähnliches entdecken. Wo war eigentlich Grischmo? Der durfte ausnahmsweise mal in der Burg bleiben. Genauer gesagt musste er Aicyn suchen, falls herauskam, dass er diese Leute hier kannte.

„Seid gegrüßt, edle Frauenbilder!“ wurden sie von einem Reiter begrüßt, der vorgelaufen kam und angezogen war wie ein Berater oder ähnliches Sesselsitzerhaftes. Er sprach ziemlich altmodisch. „Ehm, hi!“, erwiderte Adarwen. „Mich düngt, ihr kennt euch hier aus in diesen Gefilden. Könnt ihr uns Auskunft über den Verbleib dieser stattlichen Feste geben, die hier ihren Standpunkt hatte?“ „Wenn wir erfahren könnten, mit wem wir das Vergnügen haben?“ „Ich wüsste zwar nicht, was das die Weibsbilder anginge, aber – “ „Lass gut sein!“, kam dem Boten ein anderer Reiter dazwischen. Mit strahlender Miene trat er neben seinen Kameraden und verneigte sich. Allerdings nicht tief. Adarwen, Nea und Lika knicksten vorsichtshalber mit gesenktem Haupt. „Ich bin Atis – der König dieses fast ausgestorbenen Volkes – mit wem habe ich die Ehre?“ Die Ritterinnen staunten nicht schlecht. Der Mann, Mitte dreißig, unterschied sich durch seine Kleidung kaum von den anderen, aber er strahlte durchaus Erhabenheit aus. Brav stellten die drei sich vor. „Wieso wollt ihr zu dieser Burg?“, fragte Lika so höflich es ging. Der König verschleierte seine Absichten keinesfalls. „Wir hatten die Gesinnung einen Freund zu besuchen, aber das scheint mir jetzt nicht mehr wichtig.“
„Der alte Besitzer dieser Burg ist tot. Sie gehört jetzt uns.“, erklärte Adarwen. Der unfreundliche Begleiter schnaubte verächtlich.
„Dummes Zeug! Was wollen drei Weiber mit einem Haufen Steinen?!“
„Wir sind fünf.“, zischte Nea sauer, „Und wähle einen anderen Ton, wenn du mit Ritterinnen sprichst.“
„Ritterinnen!“, sagte der König Atis erstaunt. „Welch seltsame Erfindung ist das?“ Adarwen lächelte geheimnisvoll.
„Das würdet ihr sehen, wenn wir eure Reiter besiegten...“ Der König lachte über diesen offensichtlichen Scherz.
„Schon gut. Drei Ritterinnen ohne Pferde, die in Ruinen wohnen. Ich denke, damit hat sich unsere Reise erledigt. Wir werden weiterreiten!“ „Eure Suche war NICHT umsonst.“, hielt Lika ihn davon ab sich abzuwenden. „Wir möchten euch etwas zeigen.“ „Ach, möchten wir das?“, zischte Nea ihr zu. Adarwen nickte aber einverstanden.

***


Bombenstimmung...


Thalia stand nach wie vor umzingelt von Mammuttrapkeln in einem Ballsaal. „Äh... Sadira? Ach, vergiss es...“, stammelte sie. Erstens konnte sie sie vor lauter Mammuttrapkel nicht sehen und zweitens die sie nicht hören. Dumm, dass sie überhaupt keine Waffen dabei hatte... Sie musste sich konzentrieren, damit sie ihre Magie bündeln konnte, aber irgendetwas fehlte ihr... Natürlich, ihr Phönix! Sie hatte ihn nicht mit rein nehmen können, aber irgendwo draußen streifte er noch herum... Sie pfiff mit zwei Fingern. Die Mammuttrapkel kamen immer näher. Eines sperrte sin Maul auf und brüllte sie an. Ein anders hieb mit einem der überlangen Gorillaarmen nach ihr aus. Ein leises Krächzen und ein Flattern und Churel bahnte sich einen Weg von oben zu ihr am Boden. Mit einer Hackattacke hielt er eines der Monster von seiner Herrin ab. Wütend fauchend flatterte er vor Thalia in der Luft und stellte die Kopffedern auf. Das beeindruckte die Matraps noch nicht sonderlich, eines schnappte nach ihm. Empört spie er Feuer. Die drei Meter lange Flamme (blau, wohl gemerkt!) ließ sie doch noch Sicherheitsabstand einnehmen. Dummerweise reagierten diese Tiere sehr speziell auf Gefahr... Während die Anspannung in der Herde immer mehr anwuchs, bahnte sich Thalia einen Weg zur Tür, angeführt von ihrem Phönix, der ihr den Weg freiräumte. Und die Tür war auf einmal frei... Gerade auf halber Strecke kam das Pulverfass zum Überlaufen. Mit einem schrecklichen Brüller raste ein Mammuttrapkel unaufhaltsam los. Thalia schmiss sich auf die Seite, ihr Vogel stieß weit in die Höhe. Dieser Anfall hatte jedoch eine Kettenreaktion zur Folge. Überall begannen Mammuttrapkel zu brüllen und sich gegenseitig über den Haufen zu rennen Und Thalia war mitten unter drin... Von Sadira immer noch keine Spur...

Kein Wunder! Die hatte ja auch Lapis durch ein Fenster nach draußen befördert und stand jetzt im dunkeln Gras zwischen den Scherben. Ihr Gegner lag ein paar Meter von ihr weg. Die Gäste hatten längst das Weite gesucht. „Mir reicht’s!“, stöhnte Lapis und lag nach Luft schnappend da und rührte sich nicht. „Dabei bin ich nur ausgewichen bis zum Schluss...“, wunderte sich Sadira. „Ende! Du kannst unmöglich ein Mensch sein!“ „Tja, ich bin dafür bekannt, das Unmögliche möglich zu machen!“, grinste Sadira. Onyx kam durch die Tür. Hier draußen war es sehr viel leiser als im Ballsaal. Sadira ging sofort in Abwehrposition. „Das war’s Onyx, lass uns abhauen!“, meinte Lapis. Sein Partner ging an Sadira vorbei ohne sie zu beachten und blieb vor Lapis im Gras stehen. Einen Moment starrte er ihn an. Aber er widersprach ihm nicht. Er widersprach Lapis niemals. Dann packte er seine Hand und zog ihn auf die Füße. Ein bisschen wackelig hielt er sich an Onyx‘ Arm fest. Lapis war keinesfalls sauer. Er grinste. Aber Sadira war die Einzige, die das mitbekam. „Wir sehen uns noch mal!“, versprach er warnend. „Ich freue mich schon darauf!“, erwiderte Sadira. In diesem Moment rannte Thalia schreiend aus der Tür. Sadira wandte sich wieder ihr zu und die beiden anderen verschwanden aus ihrem Blickfeld. Wenn sie sich wieder umdrehen sollte, würden sie verschwunden sein.
„Alles in Ordnung?“, rief sie ihrer Kumpanin zu.
„Verdammt noch mal, wo warst du die ganze Zeit?!“, aber Thalia ließ sie gar nicht antworten, „Ich habe Hilfe gebraucht!“, fauchte sie. Ihr Phönix ließ sich zufrieden auf ihrer Schulter nieder. „Dann hättest du eben gezaubert!“, redete sich Sadira heraus. „Hätte ich ja auch!“, schnaubte Thalia, „Aber hast du schon mal was von Schadensersatzklage gehört?!“

„Schon gut, schon gut!“, gab Sadira nach. Sie sah sich noch einmal um, stellte fest, dass das Edelsteinduo verschwunden war, schüttelte den Kopf und schlurfte zur Tür zurück. „Oh!“, meinte sie. Da kam Thalia neugierig auch dazu. „Oh...“, musste auch sie zugeben. Die Mammuttrapkel hatten sich alle gegenseitig ausgeschalten. Der Fußboden war vollkommen hinüber und teilweise konnte man in den Keller sehen.
„Das war vorhin noch nicht so...!“, verteidigte sich die Hexe, als Sadira sie entnervt ansah. „Ja, ja... wie bist du da bloß rausgekommen?“ wunderte sie sich. In Gedanken trauerte sie dem schönen Buffet nach.
„Wo sind die zwei hin?“, wollte Thalia wissen und schreckte sie aus ihren Erinnerungen. Gebratene Wachteln und fritierte Kartoffelkugeln... „Eh...was? Ist doch jetzt egal. Die beiden können wir erst mal vergessen. Au weiah!“, entfuhr es ihr. Der Hausherr, der Baron hatte den verwüsteten Ballsaal von der anderen Seite her betreten und stackste geschockt und entrüstet in den Parketttrümmern herum.
„Wir sollten uns lieber verziehen...“, tuschelte Sadira. Die beiden hatten sich schnell hinter dem Türflügel versteckt als sie den Mann gesehen hatten.
„Warte!“, hielt Thalia sie auf. Es tat sich nämlich noch mehr! Wer da noch durch die Tür gegenüber kam, war unser aller Lieblingshalbelf – André. Der schien überhaupt nichts mitbekommen zu haben, oder jedenfalls nur den Krach, denn völlig perplex sah er von den zerbrochenen Fenstern über die zerrissenen Banner zum zerstörten Fußboden und sein Blick blieb beim Baron hängen. Der stand vor einem Loch, der den Blick auf ein Mammuttrapkel freigab, welcher bewusstlos im Keller lag. Zwischen verbotenen magischen Kräutern. Der Baron war also Dealer! „Bingo!“, flüsterte Sadira. Noch hielten sie sich zurück. Noch... „Könnten sie mir sagen, was hier vorgeht?“, fragte André den Baron und trat auf ein Brett, das zerbrach und er kurz einbrach. Aber er setzte seinen Weg fort, bis er dem Mann direkt gegenüberstand, der jetzt versuchte verzweifelt seine private Plantage zu verdecken. „Ehm... sie sind doch ein netter Mensch und...“ „Ich bin zwar Halbelf, aber ja, zu meinem Chef jedenfalls schon!“ „Bitte! Nichts davon an die Behörden! Wenn das rauskommt, bin ich geliefert!“, stammelte der sonst so würdevolle Baron. Erst jetzt bemerkten Sadira und Thalia, dass André einen halben Kopf größer war als er. Geistesanwesend wie sie war, wusste Sadira, dass jetzt der richtige Zeitpunkt war um sich einzuschalten.
„Kehren wir die Sache doch einfach unter den Teppich!“, rief sie und kam mit Thalia im Schlepptau eilig heran. Leider war kein Teppich da...

„Wo kommen sie denn her?“, fragte der Baron, entsetzt, dass es noch mehr Zeugen gab. Sadira beachtete ihn nicht. Jedenfalls nicht so.
„Sie wollen das mit der Plantage vertuschen und für das ASN wäre es nicht sonderlich angenehm, wenn rauskäme, dass es das hier nicht verhindern konnte!“ ... und nebenbei achtet auch niemand mehr darauf, dass du mit daran schuld bist, Saddilein!
„Jetzt kommen sie schon, André!“, sagte Thalia. Der Halbelf seufzte. Der Kommentar von Lapis vorhin, dass er bekannt sei als Schoßhund der Behörde, veranlasste ihn letztendlich zu seiner Entscheidung.
„Also schön. Wenn sie Männer auf ihr Grundstück lassen, die die Matraps mitnehmen, können wir Gras über die Sache wachsen lassen.“
„Sie sind so...!“ Anstatt den Satz weiter zu führen, umarmte der Baron André heftig. Und er umarmte ihn... und umarmte ihn.. und... André drehte sich angeekelt zu den beiden Damen. Die zuckten mit den Schultern. Da musste er jetzt durch! Sie winkten und gingen. „Jetzt nehmen sie schon ihre Griffel weg, sie Perverser!“, fauchte André und verpasste dem Baron eine. Schnell hatte er die beiden Ritterinnen eingeholt. „Warten sie! Bitte...könnten sie mich mitnehmen?“

***

„Und tretet euch bitte die Schuhe ab, ja?“ Wie eine Fremdenführerin zeigte Lika den Reitern den Weg in die Eingangshalle. Aber... mussten es wirklichn sein, dass ALLE 26 Männer mit rein kamen? Angeführt von König Atis, der seine Falknerhandschuhe auszog. Erstaunt blickte er sich um. „Wir haben ein bisschen umdekoriert...“, erklärte Adarwen verlegen.
„Tatsächlich. Das ist die Feste! Sie steht also noch...“, murmelte Atis. Da meldete sich ein aufgeregter Untertan. „Mein König – seht dort!“ Er zeigte auf irgendetwas Schleierhaftes hinter dem Gargoylebrunnen, das der König sofort erkannte. Eiligst stapfte er darauf zu. Schon bald standen alle erschrocken murmelnd um die weiße Gestalt herum, die der Geist des Hausbesitzers war. Adarwen, Nea und Lika tauschten nervöse Blicke.
„Sigmund, mein Freund! Ihr seid noch hier? So sagt doch was!“ Eine Stillepause. Alle starrten gebannt auf den Geist, der mit müdem Blick so vor sich hinschwebte. Vorsichtig meldete sich Lika.
„Es ist keine gute Idee ihn anzusprechen... Er ist recht senil. Wer weiß, was mit ihm angestellt worden ist, bevor er umgebracht wurde...“ „Umgebracht?!“ Entsetzt blickte Atis sie an. Ups... wie konnte man das jetzt erklären? Der Geist hustete. Ein Glück, jetzt achteten alle wieder auf ihn. Und dann öffnete er doch tatsächlich den Mund.
„Himbeermarmelade.“ Der König blinzelte.
„Himbeermarmelade! Störenfriede! Verschwindet aus meinem Haus!“ Und dann schwebte Sigmund einfach durch Atis durch und tauchte ab in den Keller. Eine gruselige Vorstellung, dass er da rumspukte. Aber die Situation war eh nicht besonders, da musste man sich nicht noch schlimme Gedanken machen. Atis stand verstört da. Noch verstörter als der Rest, immerhin war gerade ein Geist durch ihn hindurchgeschwebt, was nicht unbedingt ein angenehmes Erlebnis war. Nea ergriff die Initiative. „Ihr müsst doch sicher eine lange Reise hinter euch haben... Lasst uns doch erst mal einen Cappuccino trinken!“ ... Für dreißig Leute! Aber da kämpfte sich jemand durch den Ring von Reitern, der sich um den König gebildet hatte: Grischmo stolperte und fiel Atis in die Arme. Das ganze war ihm natürlich schrecklich peinlich. Mit angelegten Ohren und sich vielmals entschuldigend rappelte er sich wieder auf. Aber Lika war trotzdem sauer...
„Grischmo! Musste das sein?!“, motzte sie ihn an. „Tschuldige, tschuldige... warum bin ich nicht durch ihn durchgefallen?!“, wurde sich der Shandrane plötzlich seiner Materialität bewusst. Tatsächlich. Der König hatte darauf nur ein amüsiertes Lächeln zu bieten... „Das darf ich nicht erklären!“ Lika war empört! Sie war Dimensionsreisende! Und sie hatte sofort aufgeklärt zu werden! Aber das durfte sie wiederum auch nicht verraten...
„Ist das euer Haustier?“, informierte sich Atis. „So ähnlich...“, gab Adarwen zögerlich zur Antwort. Lika gab sich vorerst zufrieden. „Na gut, Pelzohr, was gibt’s?“ Weil sie keine Lust mehr hatte herumzustehen, ging sie durch eine der Türen und der ganze Tross folgte ihr. „Ich kann den Zentaur nicht finden...“ Grischmo nannte Aicyn nie beim Namen, er konnte ihn irgendwie nicht riechen... Nea war zwar etwas beunruhigt, aber Lika erwiderte:
„Aicyn? Der taucht schon wieder auf... im Moment müssen wir uns um andere Dinge kümmern.“ Und in dieser Sache wandte sie sich jetzt an Adarwen. „Das Zitronzimmer im zweiten Stock dürfte groß genug sein...“, schlug die vor. Also Treppen steigen!

***

Mit ein wenig Anstrengung zog André das schwere Eingangstor hinter sich zu. Endlich von diesem Baron erlöst! Seufzend drehte er sich um. Zwei Gestalten standen ihm den Rücken zugewand in der Dunkelheit. Er rannte schleunigst zu ihnen hin.
„Ihr habt also auf mich gewartet? Tausend Dank!“ Eine der beiden wandte sich ihm zu. Thalia und Sadira trugen jetzt Umhänge mit Kapuzen über ihren Abendkleidern. Sie wirkten schon etwas unheimlich. Beim Gedanken daran, wie stark sie waren, fröstelte es André ein wenig. „Blödsinn. Wir warten auf unsere Kutsche!“, verwarf Thalia jede Hoffnung Andrés darauf, dass doch noch ein Funken Güte in ihnen stecken konnte...
„Blöd finde ich es ja schon, dass Lika uns Condor nicht geliehen hat...“, sagte Sadira.
„Dürfte ich fragen um was für einen Typ Kutsche es sich handelt?“ André durfte.
„Streetlight Express. Sie wissen ja...“
„Bestaunen sie die Lichter der Straße aus der Vogelperspektive!“, sagte Sadira brav den Werbeslogan auf. „Das können sie vergessen...“, winkte der Halbelf ab. Thalia war angenervt. Erst wollte der Kerl mitfahren und dann miesepeterte er hier auch noch rum...
„Ach ja?!“
„Ja. Was meinen sie, was da heute Abend für ein Andrang war? Die Kutschen bei Phipspaat’s sind doch schon alle belegt.“ „Streetlight Express“ war die Abteilung bei Phipspaat’s Personentransporten für jede Gelegenheit, die für die Nachtfahrten zuständig waren. Das ganze Unternehmen hatte sich in den letzten acht Jahren ausgezeichnet entwickelt. Am Anfang bestand die Firma der Phipspaat – Brüder nur aus ihnen und zwei einspännigen Kutschen. Heute waren es rund 400 tagsüber und 100 weniger für nachts. Und nicht nur das, die Brüder hatten die Firma unter sich aufgeteilt und der eine Teil war Phipspaat’s Personentransporte für jede Gelegenheit und der andere SaysCosmou Drachenlieferservice. Man kann sich vorstellen, welcher der beiden Brüder dem Risiko lieber aus dem Weg ging.

„Wenn wir eh keine Kutsche mehr bekommen, warum stehen sie dann überhaupt noch herum, André?“, fragte Thalia spitzfindig und stellte sich anstachelnd vor ihn hin.
„Eine gute Frage. Vielleicht habe ich so etwas wie Hoffnung?“
„Hört schon auf, ihr beiden“, unterbrach sie Sadira, „wir kriegen auf jeden Fall eine Kutsche.“
„Stimmt“, nickte Thalia, „Sadira hat da so ihre Beziehungen.“ André wollte gerade fragen, ob diese „Beziehungen“ von legalem Inhalt waren, als links über ihnen ein Knall ertönte. Sie sahen auf und ein aufstrahlendes Licht blendete ihre Augen. Es erinnerte an das überdimensionale Blitzlicht einer Kamera. Eine zweispannige Pferdekutsche kam aus diesem Licht am Himmel, welches hinter ihr wieder erlosch. Das Gefährt flog eine Schleife, steuerte dann auf sie zu und setzte schließlich – etwas Glitzerstaub versprühend – vor ihnen auf. Im Kontrast zu den gewaltigen Rappen (alle Kutschen bei Phipspaat’s waren rot – gold und hatten schwaze Pferde, abgesehen die Hochzeitskutschen – weiß und weiß – und die Beerdigungswagen – ganz schwarz) saß ein etwas (arg) kleinwüchsiger junger Bursche auf dem Kutscherbock und hatte die Zügel sowie eine Peitsche in der Hand. Aber er hatte es faustdick hinter den Ohren. Thalia funkelte André demonstrativ an, um zum Ausdruck zu bringen, dass sie Recht gehabt hatte. Der Kerl schob seine Ballonmütze nach hinten und rutsche vom Kutschbock.
„Sadira, meine Lieblingsauftraggeberin, für die ich jeden Wunsch erfülle – wie geht’s?“ „Gut, Prin, und dir?“ der Kutscher wiegte den Kopf in Unschlüsssigkeit hin und her. „Habe gerade ein arrogantes reiches Pärchen auf halber Strecke für dich rausgeschmissen... fast schon unglaublich, wie ich denen trotzdem das Geld für die ganze Fahrt abgeknöpft habe! Für dich wird’s natürlich wieder umsonst.“ Misstrauisch beäugte Prin den Halbelfen, der etwas hinter den beiden Damen stand.
„Dürfte ich fragen, wer dich da begleitet?“, fragte er und ließ André nicht aus den Augen. „Ach so, natürlich. Das hier ist Thalia...“, ach so, ja. Sie hatte er zwar nicht gemeint, aber jetzt, da ihr Name gefallen war... der kleine Mann nahm seine Mütze vom Kopf und verneigte sich tief. „Habe die Ehre, meine Dame!“ Thalia dachte, sie müsste kotzen.
„Und das da ist André Hibis...“, erwähnte Sadira beiläufig. Jetzt starrte Prin wieder feindselig zu André hoch. War der Kerl etwa eifersüchtig? Der Halbelf verkniff sich das Lachen.
„Ihr kennt euch?“, fragte der Kutscher. Also langsam reichte es André! Der Kerl sollte sie endlich nach Hause fahren, sie waren schließlich nicht bei einem Verhör!
„Geschäftlich.“, erklärte er, bevor Thalia den Mund zu einem gegrummelten „Leider“ aufmachen konnte. Sie hatte nicht die beste Laune, aber das war auch kein Wunder, so gründlich, wie der Abend in die Hose gegangen war...
„Moment, sie kenne ich doch!“, fiel Prin auf einmal zu André ein.
„Sie sind doch dieser Kettenhund vom ASN!“ Sadira klopfte André aufmunternd auf den Arm.
„Du musst unbedingt was für dein Image tun!“ Allerdings. Genug der Begrüßung. Prin klappte das Fußtreppchen der Kutsche herunter und öffnete die Tür.
„Wo soll’s denn hingehen?“ Sadira und Thalia sahen sich kurz an.
„Wir bringen erst André nach Hause.“, schlug die Hexe vor.
„Wo soll das sein?“
„Bringen sie mich einfach zum ASN.“, winkte André ab. Schade. Die beiden Ritterinnen hätten zu gerne gewusst, wie so ein Halbelf wohnte... Die Tür wurde zugeschlagen, die Kutsche setzte sich in Bewegung.
„Ich wäre jetzt nicht gerne an deiner Stelle, André“, gab Sadira zu, „Gibt sicher Ärger beim Chef, was?“ André verstand nicht ganz.
„Wollten wir nicht alles unter den Teppich kehren?“
„Aber so etwas kommt doch raus!“, meinte Thalia. Einen Moment sah André auf seine Hände im Schoß.
„Ihr habt Recht...“ Wann hatten sie eigentlich das Dutzen angefangen?
„Aber es wird auch nicht gerade lustig sein, den Baron zum Feind zu haben...“
„Wir beschützen dich!“, versprach Sadira. Thalia sah sie ungläubig an. Wieder dieser Würgreiz... Und mit einem leisen Klimpern zog die Kutsche über den Himmel, jeglichen Blicken auf der Erde entzogen...

***


Und Feierabend



Mit schrecklich schmerzenden Füßen (Stöckelschuhe sind die Hölle!) schleppten sich Thalia und Sadira die letzten paar Meter zur Burg hoch.
„Habe ich jetzt schon Halluzinationen, oder riecht es hier wirklich nach Pferd?“, gähnte Sadira. Die beiden blieben stehen, als ein schmatzendes Geräusch ertönte.
„Was war das?“
„Mein Schuh...“, antwortete Thalia. Blick nach unten. Noch dunkler als das Gras hob sich ein Haufen Pferdeäpfel von der Umgebung ab. Thalia war gerade reingetreten.
„Lecker.“ Es wurde wirklich Zeit, dass sie ins Bett kamen... Zum Glück fanden sie auch auf Anhieb den Hofeingang, aber... was war das? Der dunkle Hof war von gedämpftem Schnauben und Hufescharren gefüllt. Lauter Pferde. Mindestens zwanzig Stück. Thalia und Sadira blickten sich ungläubig an. Schließlich schüttelte Sadira den Kopf.
„Kaum ist man mal ein paar Stunden nicht da...!“ Und wäre Thalia nicht so müde gewesen, hätte sie sich bestimmt für die Tiere begeistern können. Um unzählige Pferdehintern herum kämpften sie sich einen Weg zur Hintertreppe. Irgendwie schafften sie es sogar in ihr Bett zu gelangen.... Trotzdem, als sie schon halb weggetreten waren, kam es ihnen so vor, als ob die Gemäuer mehr Geräusche machten als sonst...

Sadira schlief an diesem Morgen sogar eine Stunde länger als sonst! Aber lange schlief sie ja so wieso nie! Nachdem Thalia die dritte Pfanne verschrottet hatte, hatte sie es aufgegeben die anderen zu wecken, also begab sie sich geradewegs zum nächsten Badezimmer. Nichtsahnend öffnete sie die Tür und... „Ahh!“ Vor Schock riss sie so fest an der Türklinke, dass sie abbrach, was bei ihrer Kraft ja auch nicht verwunderlich war. Die drei Männer, die vorm Spiegel standen und sich entweder rasierten oder die Zähne putzten (das alte Reitervolk hat sich ein bisschen modernisiert), blickten zur Tür und antworteten synchrom: „Guten Morgen!“ Sadira überkam plötzlich der Gedanke, dass sie einfach so hereingeplatzt war (es hätte sich ihr auch ein viel schlimmerer Anblick bieten können) und huschte rot im Gesicht davon. Ein weiterer Schrei irgendwo im Gebäude signalisierte ihr, dass Thalia es genau so ergangen war. Waren sie in der falschen Burg gelandet, oder was? Außer sich rannten sich die beiden entgegen.
„Du auch?“, rief Thalia aufgeregt. Sadira nickte nur. Sie merkte, dass sie noch immer die abgebrochene Türklinke in der Hand hatte und warf sie aus dem Fenster.
„Autsch! Vielen Dank!“ Also, diese Stimme kam ihnen jetzt aber endlich mal vertraut vor! Wenn jemand das Pech hatte im Atrium von irgendetwas Heruntergeworfenem getroffen zu werden, dann war das...
„Grischmo, lebst du noch?“ Eher weniger besorgt lehnten sich die zwei Ritterinnen aus dem Fenster.
„Mit Beule!“, entgegnete Grischmo verärgert. Mit einem
„Der ist heute aber bissig“- Blick sahen sich die beiden kurz verwundert an, dann fiel ihnen allerdings ein, dass Grischmo wohl der beste Informant war, der ihnen im Moment begegnen konnte.
„Sag mal, wo kommen eigentlich die ganzen Pferde her?“, rief Thalia nach unten.
„Und die Männer!“, fügte Sadira hinzu.
„Das sind Besucher.“ „Wer? Die Pferde oder die Kerle, die mein Bad belagern?“, meinte Sadira abwertend lachend.
„Haben „die Kerle“ euch etwa belästigt?“ Sadira und Thalia fuhren herum. Sie (in Schlafanzug mit Erdbeermuster und schwarz-rotem Nachthemd) standen einem ritterlich gekleideten Mann gegenüber. Irgendwie wirkte er schon edel. Und gute Manieren hatte er auch.
„Euch habe ich hier aber noch nicht gesehen, oder?“, meinte Atis. Genau, der Atis, der am Vorabend von Lika, Adarwen und Nea in die Burg eingeladen worden war.
„Das Gleiche wollte ich auch gerade sagen!“, entgegnete Thalia und verschränkte die Arme über der Brust. Misstrauisch tauschten Sadira und sie Blicke.
„Vielleicht sollte ich mich vorstellen: Ich bin König Atis, vom Volk der ziehenden Reiter.“ „Pah!“, antwortete Sadira unbeeindruckt, „Und mein Freund ist der Prinz von Atlantis!“ Stillepause. Der König war geknickt.
„Och menno! Jetzt tut doch wenigstens ehrfürchtig!“ Auf die Art, wie er bettelte, fiel das noch schwerer. Atis seufzte. „Die alten Sitten gehen echt den Bach runter.“ Schlurfenden Schrittes verschwand der den Gang hinunter.

Sie kamen zu dem Schluss, dass sich ein ordentliches Frühstück nur positiv auswirken konnte. Also mussten sie runter in die Küche, die zu dieser Uhrzeit – logischerweise – noch leer war. Warum waren eigentlich gerade diejenigen früh wach, die am vorherigen Tag spät nach Hause gekommen waren? Auf dem Tisch lag ein Zettel.

Frühstück um 10 Uhr im Atrium

Gabel, Schöpfkelle, Fischmesser.

Also warten. Obwohl sie ja viel lieber die anderen einfach aus dem Bett geschmissen hätten. „Wie wäre es, wenn wir einfach schon mal hingehen würden um Grischmo ein bisschen auszuquetschen?“, schlug Thalia vor. „Habe nichts dagegen.“, antwortete Sadira, „Aber erst mal muss ich mir was Ordentliches anziehen.“ Sie überlegten schon ernsthaft, ob sie das abgesperrte dreizehnte Badezimmer benutzen sollten, ließen es dann aber doch, weil sie sich keinen Fluch aufhalsen wollten. Da das Bad bei Sadiras Zimmer jetzt auch nicht mehr verschließbar war, suchten sie sich irgendein anderes. Beunruhigt mussten sie acht weitere Männer auf dem Weg dorthin zählen.

Im Atrium war eine lange Tafel aufgebaut (wer auch immer das hatte machen dürfen – er tat ihnen leid) und Grischmo hatte sich ins Gras geschmissen um sich noch ein bisschen in der Morgensonne zu sonnen. Tatsächlich. Das sah nach einem sehr sonnigen Tag aus. Aber irgendwie fehlte was.
„Mir ist die Nervensäge heute noch gar nicht über den Weg gelaufen.“, wunderte sich Thalia, „Normalerweise steht er immer vor meiner Zimmertür, wenn ich aufstehe.“
„Bei mir hat er es aufgegeben, nachdem er zum dritten Mal meinen Fuß im Gesicht gehabt hatte.“ Jedenfalls war Aicyn weg. Grischmo erzählte ihnen, dass er schon seit gestern verschwunden war. Um halb zehn tauchten die anderen Ritterinnen auf. Aber es war immer noch nicht klar, weswegen die Reiter eigentlich hier waren. Aufgrund des Fehlens der zwei Galagänger hatten sie gestern Abend nämlich nur Smalltalk betrieben. Also deckten sie erst einmal den Tisch, während sich die lange Tafel ziemlich schnell mit den Gästen füllte. Was am Abend zuvor auf der Gala vorgefallen war, erzählten sie noch nicht. Es wurde ein ganz normales, spaßiges Frühstück mit dreißig Personen. Als König Atis seine Bitte vorbringen wollte, war es schon viertel nach elf. Alles wurde still. Die Ritterinnen saßen am einen Ende der Tafel, der König am anderen.

„Erst einmal wollte ich mich für eure... äh... Gastfreundschaft bedanken. Es tut mir Leid, aber ich muss euch noch ein Begehren vortragen. Unser Volk braucht eine mächtige Waffe um einen Krieg zu gewinnen.“

...

Der anderen Seite der Tafel stand der Mund offen. Lasst uns doch mal eben in die Köpfe der sechs Burgbewohner schauen:

Adarwen: Krieg? Welchen Krieg meint der jetzt? Den, von dem mir Ricky erzählt hat und der erst nächste Woche anfängt oder etwa der zwischen...


Nea: Eine Waffe? Solange er sich kein Geld von mir leihen will...


Lika: Die Rüstung, die er trägt passt aber mal überhaupt nicht zu dem Überwurf... eh, Moment! Krieg? Waffen? Hach, können die Leute nicht einfach in Frieden miteinander leben?


Grischmo: Waffe? Welche Waffe?! Die haben hier Kriegswaffen? Flucht! Ausziehen, ich muss sofort ausziehen!


Thalia: Hauptsache, die hauen bald ab! Überall stehen die leeren Bierflaschen rum und ich will gar nicht wissen, wie der Hof jetzt aussieht. Sauhaufen!


Sadira: Ja, Krieg, jippie!


Genug gesehen. Auf einmal kam allen gleichzeitig ein Gedanke:
„Was für eine Waffe?“ Auf diese Frage setzte sich der König wieder.
„Es wird wohl das Beste sein, wenn ich gleich die weiteren Umstände erkläre... Ihr müsst wissen, dass unser Reitervolk ursprünglich gar nicht aus dieser Welt kommt.“ Ach! Eine andere Dimension? Sadira und Lika, die Dimensionsreisenden, spitzten die Ohren.
„Unsere Vorfahren kamen aus einer Parallelwelt und ein Großteil von uns lebt noch immer dort!“
„Lasst mich raten.“, sagte Thalia und pickte einen Krümel von ihrem Teller auf, „Eure Welt wurde angegriffen?“ Der König nickte.
„So ist es. Der Feind ist in unser Land eingedrungen und will uns vertreiben. Uns! Die wir schon seit Jahrhunderten in dieser Welt lebten! Und diese Waffe, die wir brauchen, ist uralt und Eigentum unseres Volkes. Allerdings war sie eine ganze Zeit nicht mehr in Gebrauch und wir hatten sie ganz vergessen. Es war eben eine sehr friedliche Zeit... Keiner wusste mehr, wie die Waffe funktioniert. Deshalb haben wir sie zu dem Magier in dieser Burg gebracht, damit -“
„Moment mal!“, unterbrach Lika Atis energisch, „Habt ihr wenigstens einmal versucht mit euren Feinden zu reden?“
„Das haben wir schon, aber sie vermeiden jedes friedliche Mittel.“
„Wisst ihr überhaupt, woher eure Feinde kommen, wer sie sind?“
„Es sind keine normalen Menschen, wenn ihr das meint. Wir wissen nicht, woher sie sind.“, musste der König zugeben. Die Ritterinnen tauschten skeptische Blicke aus. Toller Krieg! Wie immer.

„Und ihr wisst auch nicht, wie die Waffe funktionieren soll?“, stocherte Adarwen weiter. „Nein.“ Ach, das wurde ja immer besser!
„Aber wie die Waffe aussieht, könnt ihr uns schon sagen, oder?
„Durchaus“, sagte Atis, „Es ist ein magischer Stecken. Mit immenser Zauberkraft. Die Feinde werden so eingeschüchtert sein, dass sie von selbst wieder abziehen.“

Okay, das genügte. Die Ritterinnen zogen sich zur Beratung in eine Ecke des Atriums zurück. Grischmo blieb allein am Tisch zurück, wo er von allen anderen angestarrt wurde.

„Was meint ihr?“, eröffnete Sadira die Unterredung. „Sagt der Kerl überhaupt die Wahrheit?“, wollte Thalia wissen.
„Er lügt jedenfalls nicht.“, gab Lika ihre Abschätzung zur Antwort, „Er sagt das, wovon er überzeugt ist. Ob das allerdings die Wahrheit ist, lässt sich nicht sagen.“ „Er redet doch von unserem Tauchsieder, oder?“, sagte Adarwen. Nea nickte.
„Das ist die Waffe, die für den Burgbesitzer bestimmt war. Aber ich dachte, Aicyn hatte ihn von einer Schmugglerbande hier hergebracht?“
„Dann sind wir das Teil endlich los!“, knurrte Sadira. „Ist doch war! Dieser Stab hat uns bis jetzt nur Ärger gemacht,“, sagte auch Thalia, „und wenn er doch ihnen gehört! Woher sollten sie sonst davon wissen? Ich bezweifle zwar, dass sie mit dem Teil etwas anfangen können, wenn sie es sogar schaffen, ihn auf dem Weg zur Identifizierung verschlampen zu lassen...“ „Ihr wollt also, dass wir einen Krieg unterstützen?“, wandte Lika ein.
„Sie werden so wieso keine Ruhe geben, bis sie diesen Stab haben.“, seufzte Nea. Alle anderen Ritterinnen sahen jetzt Lika an. Sie wusste als einzige, wo der Tauchsieder war, also lag die Entscheidung jetzt bei ihr.
„Also gut. Der Stab soll zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurück. Lasst uns ihnen diese freudige Nachricht verkünden...“

Die Reiter warteten alle schon ganz gespannt. „Wir werden euch die Waffe geben.“, sagte Lika, „Macht euch zum Aufbruch bereit. Versammelt euch im Hof und sattelt eure Pferde. Dann werdet ihr den Zauberstecken erhalten.“

Endlich war das Atrium frei von den Gästen und Thalia ließ durch einen Zauber die lange Tafel verschwinden.
„Ich hoffe, das war keine Fehlentscheidung.“, meinte Adarwen, als sie sich im Gras niederließen. Grischmo sah sehnsüchtig einem Schmetterling nach, seine Krallen zuckten, aber er hielt sich zurück. So tief war er noch nicht gesunken. Eine Stillepause trat ein. Sie lauschten nur dem Vogelzwitschern. Dann fragte Nea, was eigentlich alle in diesem Moment wissen wollten.
„Und, Lika, wo haben du und Grisch den Tauchsieder versteckt?“ Lika begann zu kichern. Grischmo allerdings verzog ganz unzufrieden den Mund.
„Hier, im Gartenteich.“, offenbarte Lika. Dem Shandranen lief ein unangenehmer Schauer über den Rücken.
„Igitt, war das nass!“, entfuhr es ihm und er schüttelte angewidert den Kopf.
„Jepp. Und jetzt werden wir die Kiste da wieder raus holen müssen...“, sagte Sadira.

Die bedauernswerten Personen, die das tun durften, waren Thalia und Lika. Sie standen bis zu den Hüften im Wasser, während Nea und Adarwen ihnen wenig hilfreiche Tipps gaben, wie die Kiste am leichtesten zu finden sei. Grischmo hielt gute zwei Meter Sicherheitsabstand zum Teich, aber es half nichts. Sadira beförderte ihn mit einem gezielten Tritt ins Wasser. Sie setzte sogar noch einen drauf. Als sie den Stab durch die Eingangshalle trugen, meinte sie ganz beiläufig: „Also irgendwie riecht’s hier nach nasser Katze.“ Seltsamerweise reichte das immer noch nicht aus um Grischmo austicken zu lassen. Sadira suchte schon jahrelang nach der Bestie in ihm – ohne Erfolg.

Vor der Eingangstür machten die Ritterinnen ein letztes Mal Halt. Jede hielt den rostigen Tauchsieder noch einmal mit einer Hand fest. Vielleicht bildeten sie es sich ja nur ein, auf jeden Fall sah es so aus, als würde die Kugel in der Mitte des spriralförmigen Holzes sachte glühen. Keiner sagte ein Wort, sie betrachteten nur dieses Ding, von dem sie bis jetzt nicht wirklich hatten sagen können, was es war und wozu es diente.
„Lasst es uns hinter uns bringen und und dann wieder unseren Aufgaben zuwenden.“, überwandte sich Sadira schließlich. Die anderen nickten und Thalia zog die Tür auf. Im Hintergrund schwebte der trübsinnige Geist des Burgherrn umher und murmelte immerzu verärgert: „Schmarotzer, Narren! Meine Himbeermarmelade und mich werdet ihr nie besiegen! Nie!“

Die Männer saßen schon auf, nur Atis stand noch vor seinem Pferd und hielt die Zügel in der Hand. Er konnte seine Ungeduld und Aufregung nicht verbergen, als die Ritterinnen mit dem Stab auf ihn zu traten. In Gedanken sagte jede von ihnen noch einmal den Namen ihrer magischen Waffe auf: „skyblocker, triple spiral, eversun, bluewalker, haeven’s cry.“ Was war der Name des Rostigen Tauchsieders?

„Hier ist er.“, sagte Lika und hielt den Stab mit beiden Händen Atis entgegen.
„Und nicht wieder stehlen lassen“, konnte es sich Nea nicht verkneifen.
Der König nahm den Stab wortlos an. Er verneigte sich leicht, dann stieg er auf. Mit einem Jubelschrei stieß er seinen Arm mit der wieder bekommenen Waffe in die Höhe. Die Reiterschar wurde angesteckt. Jubelnd und schreiend trieben sie ihre Pferde an, Wiehern erhob sich, schnelle Pferdeschritte klangen über das Pflaster. So verabschiedeten sie sich von den Ritterinnen und von Grischmo und ließen eine gewaltige Staubwolke hinter sich, als sie durch das Hoftor galoppierten.
„Ein einfaches „Tschüss!“ hätte auch gereicht!“, seufzte Sadira.

***

Tauchsieder Adé


Auf einmal war es wieder ganz ruhig in der Burg, auf dem Hof und um sie herum. Aber irgendwas war da doch noch. Plötzlich stießen Sadira und Thalia gleichzeitig einen Schreckensschrei aus. Die anderen sahen sie geschockt an.
„Was denn jetzt wieder?“, fragte Adarwen kleinlaut. Alles, was sie noch nicht wusste, beunruhigte sie zutiefst.
„Willst du oder soll ich?“
„Mach du.“, bat Thalia Sadira, die darauf gleich aufgeregt zu erzählen anfing.
„Gestern...“ - Ja?
„Auf der Gala 13...!“ - Jaa?
„....da haben wir André getroffen. Und der wollte wissen, ob wir jetzt an diesem Turnier teilnehmen.“ Thalia kippte um.
„Sadira!!“, schrie sie ihre Mitbewohnerin an,
„Du sollst ihnen von diesen beiden Typen erzählen und nicht von diesem Sekretär mit Minderwertigkeitsgefühlen!“ Achsooo... Jetzt herrschte bei den anderen endgültig Verwirrung. Aber Thalia brachte die Sache mit wenigen Worten ziemlich genau auf den Punkt.
„Die beiden, von denen Nea den Rostigen Tauchsieder geklaut hat, waren auf der Gala und haben uns gejagt!“ „Das schöne Buffet...“, jammerte Sadira dazwischen. Die anderen ignorierten sie.
„Und?“, wollte Adarwen wissen, „Wie seid ihr da wieder rausgekommen?“
„Kleinigkeit...“, antwortete Sadira.
„Von wegen, „Kleinigkeit“!“, widersprach ihr Thalia sofort,
„ Die Kerle haben das ganze Anwesen des Veranstalters geschrottet! Und sie kannten Calla!“ „WAS?!“

Auf einmal klebten alle auf Thalia und Sadira.
„Ganz ruhig, so viel, wie es sich jetzt anhört, wissen wir gar nicht.“ Es war schnell erklärt. „Lasst mich noch mal zusammenfassen...“, sagte Nea am Ende, „Calla verbündet sich mit diesen beiden Kerlen, Lapis und diesem großen Typen, ja? Sie überfallen diese Burg, kurz nachdem Aicyn – wo auch immer er jetzt ist – den Rostigen Tauchsieder hier abgeliefert hat.“ Sie liefen wieder durch die Korridore der Burg, diesmal auf dem Weg in den Wintergarten, auf der Suche nach einer Tasse Kaffee.
„Sie bringen also den Magier der Burg um...“, fuhr Adarwen fort, „... und sperren Aicyn ein. Vielleicht wollten sie mehr von ihm darüber herausfinden, woher das Teil ist. Darüber wissen wir ja eigentlich auch nichts... Jedenfalls schaffen sie es nicht, den Tauchsieder zu Calla zu bringen, ...“
„... weil ich ihn vorher gestohlen habe.“, wurde ‘darwen von Nea abgelöst.
„Tja, ‘tschuldigung, Leute, aber wer nicht besser auf seine Sachen aufpasst...“
„Naja, Nea, wenn man nicht mal auf sich selbst aufpassen kann...“, stichelte Sadira. „Was kann ich denn dafür, dass ich auf einmal in diesem Kerker saß?!“, entgegnete die Diebin giftig, „...konnte ja nicht ahnen, dass der Tauchsieder schon mit einem Teleportzauber versehen war, wodurch er auf jeden Fall zu Calla transportiert wird...“
„Wir schweifen ab...“, seufzte Lika und nahm die Sache selbst in die Hand:
„Dann kamen wir, wir besiegten Calla und so langsam blättert die Rostschicht über der Geschichte nach und nach ab. Aber wir wissen immer noch nicht, wo Aicyn den Stab her hatte! Wo war der die ganzen Jahre? Und was ist das für ein seltsamer Krieg?!“
„Wenn’s was Wichtiges ist, werden wir es ja in den Nachrichten erfahren...“, gähnte Thalia desinteressiert und schob den Perlenvorhang des Wintergartens zur Seite.
„Die zwei Kerle haben mir die Gala 13 versaut! Am liebsten würde ich die...“ Sadira begann zu grinsen, als sie die Hexe so sauer sah.
„Wer hatte denn Probleme mit Riesenmonstern? Die beiden oder du?“ Thalia sah sie zähneknirschend an.

„Also sind wir uns einig, dass das nicht mehr unsere Sache ist?“, wollte Adarwen abschließen. Alle hatten sich irgendwo auf einem Polster niedergelassen, ein paar tropische Vögel krächzten und das Wasser plätscherte vor sich hin. Allgemeines zustimmendes Murmeln setzte ein. Grischmo hatte es geschafft, die ganze Zeit unbemerkt zu bleiben. Deshalb war es auch sehr dumm, als er jetzt sagte: „Ich geh dann mal.... und falls ihr wieder in den Keller wollt... ich habe keine Zeit! Äh... was starrt ihr mich so an?“

Der Keller! Stimmt ja! Sie wussten ja immer noch nicht, was hinter diesem Tresor war... Ehe er es sich versah, stand Grischmo ein weiteres Mal auf dem kalten feuchten Pflaster und um ihn herum halte die Geräusche darauf unnatürlich laut wieder. Wie am Vortag kramte Nea in ihrem Rucksack. Den Spiegel hatten sie diesmal nicht dabei! War ihnen doch egal, ob jemand kam... Sie hatten ja nur einen Tauchsieder und der war schon weg. Schließlich klebte die Diebin mit einem Ohr an der Tresortür und versuchte die Zahlenkombination herauszubekommen. Der Vorschlag von Sadira, sie könne ihn ja auch einfach eintreten, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass es unter gewissen Umständen nicht schaden würde den Tresor auch wieder schließen zu können. Nachdem es fünfmal >klick< gemacht hatte, drehte Nea an dem schweren Rad und der Tresor öffnete sich quietschend.

„Macht doch mal jemand Licht!“ Nea beugte sich so weit in die Finsternis, die jetzt vor ihnen lag, dass sie vorn über fiel und eine nachfolgende Treppe runterknallte.
„Klang nach einer Treppe...“, meinte Adarwen, als sich das Gepolter gelegt hatte und die Diebin unten angekommen war.
„Nea? Bist du in Ordnung?“ Neben Likas besorgtem Gesicht tauchte jetzt auch Thalia auf, die mit ihrer Hand ein bisschen Licht ins Dunkel brachte. Beide standen hinter der Tresortür und versuchten etwas im Dunkel zu erkennen.
„Machst du das bei deinen Einbrüchen eigentlich auch immer so?“, grinste Sadira und stieg über den Stahlrahmen der Tresortür. Nea lag immer noch verkehrt herum unten auf dem Boden herum. „Ich kick dich!!“, fauchte sie, bevor sie sich umständlich wieder aufrichtete. „Da hast du aber Glück gehabt...“ Die beiden völlig ignorierend hockte sich Thalia einen halben Meter hinter ihr auf den Boden, genau auf die Abschlusskante, denn als sie ihnen noch mehr Licht verschaffte in dem sie kleine Flammen beschwor, die an der Gewölbedecke den Korridor entlang tanzten, wurde für alle sichtbar, was der Tresor verborgen hatte: einen Kanal. Gefüllt mit trübem, kaltem Wasser. Abwasser? Vielleicht. Lieber nicht selbst herausfinden. „Na toll! Ich wette hier gibt’s Ratten!“, jammerte Adarwen. Inzwischen waren alle zu den beiden heruntergekommen. Bis auf Grischmo, den hätten sie nie und nimmer mitbekommen. „Klar gibt’s hier Ratten... von den großen, fetten mit den gelben Zähnen.“, flüsterte Thalia hinter ihr stehend und sorgte dafür, dass Adarwen sich ordentlich ekelte. Sie beeilte sich Anschluss zu den anderen zu finden, die inzwischen schon auf einem Weg links neben dem Kanal weitergingen.
„Ehrlich gesagt bin ich nicht sicher, ob das eine gute Idee ist...“, meldete sich Lika.
„Do-hoch!“, kam die fröhliche Antwort von Sadira, die die Geschwindigkeit vorgab. Lika seufzte nur und die Kämpferin ging weiter summend voran. Ab und zu war ein Gurren zu hören. So langsam fragten sie sich, ob Sadira sonst bis jetzt solche Geräusche beim Summen gemacht hatte... Bis Adarwen attackiert wurde! Mit einem lauten Quieken sprang ihr eine braune Pelzkugel ins Gesicht. Ebenfalls quiekend sprang Adarwen zurück bis an die Wand. „Mach’s weg!“, schrie sie und fuchtelte wie wild vor sich herum, bekam aber nichts zu fassen (naja, sie traf Thalia am Kopf, aber das zählt nicht...)
Lika, nicht im Schockzustand, streckte kurzerhand ihren Arm aus und packte den Übeltäter am Kragen. Adarwen nahm sofort zwei Meter Sicherheitsabstand ein und versteckte sich hinter Thalia.
„Das Vieh wollte mich umbringen!“
„Kurrrrrrrrrrrieee?“ Nea lugte Lika über die Schulter um auch einen Blick auf das Tier zu erhaschen.
„Also eine Ratte ist das nicht...“, stellte sie fest.... Wohl eher ein Fußball mit Kulleraugen und kurzen Pfoten, dem dichtes Fell gewachsen war.
„Essbar?“, wollte Sadira wissen und lugte über die andere Schulter.
„Auf jeden Fall brennbar!“, meinte Thalia mit diabolischem Grinsen. Sie formte schon mal mit einer Hand einen kleinen Feuerball.
„Nicht!“, rief Lika schnell und drückte die Pelzkugel an sich,
„Es hat doch nichts getan...“ Ihr Blick begann sich auf einmal in den des Fellballs zu verwandeln. Das irritierte die Hexe so sehr, dass sie das Feuer wieder verpuffen ließ (bevor sie nicht doch Lika, statt des Knäuels traf).
„Was ist das jetzt für ein Vieh? Womöglich lebt das noch in Rudeln!“ Gehetzt sah Adarwen sich um. Auf einmal glaubte sie in der Düsternis dutzende von Kulleraugen aufleuchten zu sehen.

Lika räusperte sich, um ihre Kenntnis der heimischen Fauna Kund zu tun.
„Ich hab keine Ahnung...“, musste sie zugeben.
„Ha!“, rief Thalia überlegen aus, „Es gibt doch noch ein Tier auf dieser Welt, das Lika nicht kennt!“
„Es sei denn, es ist nicht aus dieser Welt!“, meinte Adarwen, spitzfindig wie sie war.
„Oder es ist ein Insekt... mit Insekten kenne ich mich nicht so aus....“, grübelte Lika weiter. Um es genauer zu betrachten, hob sie sich das Pelzknäuel direkt vors Gesicht. Fröhlich kniff das Tier die Augen zusammen und stieß ein weiteres Mal ein Gurren aus.
„Nein, ich glaube Adarwen hat Recht...“, gab sie zu.
„Natürlich hab ich Recht!“ Spioninnen haben immer Recht. Sadira stieß einen Seufzer aus. „Hach, das weckt Erinnerungen... ein dunkler Gang, wenig Licht, Wasser ... Genau wie damals, als wir am Ende vor diesem dreieinhalb Meter großen Vocarn standen, stimmt’s, Lika?“ Die anderen sahen sie geschockt an. Ein Riesenmonster?! Was auch immer ein Vocarn war, wenn Sadira sich mit Freude an dieses Ereignis erinnerte, konnte es nichts Gutes sein. Die Nichteingeweihten sahen Lika an um diese Aussage bestätigt zu bekommen. Die stand noch da, bewegungs- und ausdruckslos und hielt immer noch das Fellknäuel fest... Gerade erinnerte sie sich wieder... auf einmal war sie ganz gesprächig.
„Da fällt mir ein... wir sollten dieses Ding erst bestimmen bevor wir weitergehen... Ich könnte etwas darüber herausbekommen, aber dafür müsste ich in meiner Namin – Bibliothek nachsehen...“ Lika hatte eine herrliche Bibliothek! Sie füllte einen ganzen Turm, gegenüber dem Bergfried. Ein einziges, rundes Bücherregal über sieben Stockwerke.
„Tolle Idee!“, sagte Adarwen sofort. Witsch – waren sie weg.

***


Turnier oder nicht Turnier


Grischmo hatte voller Angst hinter dem Tresor gewartet. Als dann auf einmal ein Arm mit einem Plüsch – Tier daran herausragte, sprang er mit einem Urschrei zurück.
„Habt ihr mich erschreckt!“, wurden Lika und Adarwen (die anderen folgten bald) angefaucht.
„Hat man uns denn nicht gesehen?“
„Nein, verdammt!“ sie sahen hinter sich. Nichts als Schwärze. Es war schon unheimlich, wie dieser Gang jegliches Licht verschluckte. Nea, die letzte, machte die Tresortür wieder zu. „Sag mal, hört ihr das auch?“, fragte Sadira auf einmal. Sie lauschten. Von oben drang gedämpftes Pochen zu ihnen herab. Einen kurzen Moment starrten sie sich überrascht an, dann rannten sie los, hechteten schließlich durch die Eingangshalle („Himmbeermarmelade! Schmarotzer!“) und rissen die Haustür auf.
„Uwah!“, rief Thalia,die das Tor aufgestoßen hatte und sprang zurück. Vor der Tür stand ein Halbork – potthässlich, mit einer noch potthässlicheren Mütze auf.
„Die Post!“, grummelte er. Thalia schlug die Tür wieder zu. Stille. Allgemeine Konfusität. „Kann mir mal jemand sagen, wie diese ganzen Beamten unsere Burg finden. Obwohl sie durch eine magische Barriere geschützt ist?!“, regte sich die Hexe auf. Es klopfte erneut. „Wenn Sadira nicht den Briefkasten verschrottet hätte...“, begann Adarwen. Sadira begann zu knurren... Das Klopfen wurde energischer.
„Jetzt lasst doch den armen Mann da draußen nicht rumstehen!“ Kopfschüttelnd öffnete Lika die Tür wieder. Sie entschuldigte sich und nahm die Post entgegen, während die anderen sich hinter dem Türspalt stritten.
„Du bist ja nur neidisch, weil du nicht auch mit zur Gala 13 durftest!“, meinte Sadira.
„Ich kenne die Gala 13 doch überhaupt nicht!“, entgegnete Adarwen.

Lika bot dem Post-Halbork ein paar Kekse und Tee an, aber er lehnte dankend ab. Auf dem Weg in die Küche , als Lika die Briefe durchblätterte, ging das Gestreite weiter (was aber außer den beiden keiner beachtete). Nea und Thalia interessierten sich mehr für die Post, was mit Hinblick auf die letzten Tage auch berechtigt war. Es war ein dicker, erdfarbener Umschlag dabei, der komisch roch und mit roter Tinte (oder etwas anderem) beschrieben war. Ohne Umschweif reichte Lika ihn Thalia, die ihn auf der Stelle mit einem Fingerwink auf ihr Zimmer verfrachtete.
„Oh, seht mal!“, sagte Lika und hob einen lindgrünen Umschlag von sich weg. Mhh... lindgrün...
Das kulleräugige Pelzknäuel hoppelte fröhlich hinter ihnen her. Es war ein Brief von André; leider war der Absender nicht seine richtige Adresse, sondern ein ASN-Stempel. So langsam konnte man ja echt vermuten, dass der Kerl auf dem Sofa im Büro seines Chefs lebte...
Weil Lika mit Brieföffnen beschäftigt war, nahm Nea die restlichen Umschläge entgegen (Morddrohungen an Sadira, Urlaubsgrüße von allen möglichen von Adarwens Bekannten, der neue Kekskatalog) und öffnete die Küchentür. Sadira diskutierte immer noch mit Adarwen, aber jetzt begann sie auch noch Mittagessen zu kochen. Die anderen setzten sich an den Tisch und ihr Mitbringsel wuselte um Likas Stuhl herum. Diese strich den Bogen Papier glatt und räusperte sich.


Sehr geehrte Ritterinnen!

Bestimmt lesen sie den Brief gemeinsam und haben sich schon gegenseitig über die Vorkommnisse auf der Gala 13 informiert. Mit Erleichterung kann ich Ihnen mitteilen, dass diese Ereignisse nicht die von mir befürchteten drastischen Maßnahmen zur Folge hatten (aber mein Chef war nicht begeistert). Leider muss ich sie auch darüber in Kenntnis setzen, dass sich ihr Ruf aufgrund des Aneinandergeratens mit dem Edelsteinduo (wie die beiden Verbrecher in Polizeikreisen bekannt sind) bei meinem Vorgesetzten nicht gerade verbessert hat, ich persönlich war zutiefst von ihrem Engagement beeindruckt!

Aber es gibt noch einen wesentlicheren Grund, weshalb ich Ihnen schreibe: Das Turnier. Ich hoffe, dass ich sie damit nicht inzwischen schon langweile, aber wenn sie teilnehmen möchten, muss ich sie sehr bald eintragen. Ich bin allerdings zu dem Schluss gekommen, dass diese Sache allein durch Briefe nicht anzugehen ist. Deshalb werde ich sie heute um 15 Uhr besuchen. Wenn Ihnen dieser Termin nicht zu kurzfristig erscheint, bitte ich sie als Zeichen ihrer Zustimmung diesen Brief zweimal zu zerreißen und dann zu verbrennen. Wenn sie verhindert sein sollten, schreiben sie mir einfach ihren Alternativvorschlag auf die Rückseite, das genügt, damit ich ihre Nachricht erhalte. Der Termin wäre also heute, 15 Uhr, Lika Sinuras Büro im Bergfried.

Mit herzlichen Grüßen,

André Hibis

i.A.d. ASN


Die Fellkugel knallte quietschend gegen ein Stuhlbein.

Ein paar Minuten waren nur die Geräusche des Tieres zu hören. Lika wendete verwundert das Papier. „Wo hat er denn den Zusatz mit dem Hausanmelden hingeschrieben?“ Aber die Rückseite war leer. Sadira meldete sich vom Herd zu Wort.
„Ich finde, wir sollten zum Turnier gehen und mir sollte jemand beim Essen helfen!“ Schwermütig erbarmte sich Nea dazu, Letzteres zu tun. Wie immer wartete Lika auf eine weitere Meinung. Anstatt zu antworten, nahm Thalia den Brief, zerriss ihn zweimal und verbrannte ihn über offener Hand.

Sie aßen gemeinsam zu Mittag (weil sie nicht wussten, was das Tier fraß oder welche Folgen das haben konnte, gaben sie ihm vorerst gar nichts). Nachdem sie den Tisch abgeräumt hatten, verzogen sie sich mit einem einstimmigen
„Grischmo spült!“ und ließen ihn in der Küche zurück. Adarwen ging die Vögel im Gewächshaus füttern, Lika machte sich geradewegs auf den Weg zu ihrem Bücherturm (mit dem Vieh im Schlepptau), Sadira ging die Morddrohungen beantworten, Thalia machte irgendetwas Magisches und Nea war wie vom Erdboden verschluckt...

„Dann wollen wir mal sehen, ob wir etwas über dich finden!“, waren Likas Worte, als sie die Pelzkugel, die sie aus großen Augen ansah, in die Mitte des Bibliothekturms absetzte. Die Ritterin klatschte zweimal in die Hände und aus der Höhe war ein Surren zu hören. Ein seltsames Gefährt kam herab. Es bestand nur aus einer runden Plattform, auf die man sich stellen konnte und einem Geländer, das an einem großen ovalen Spiegel, fast so groß wie Lika selbst, befestigt war. Insgesamt sah es aus wie ein Stuhl ohne Beine, mit der Plattform als Sitzfläche, dem Geländer als Arm- und dem Spiegel als Rückenlehne. Nur, dass der Spiegel es bestimmt nicht so toll gefunden hätte, wenn man ihm den Rücken zugekehrt hätte, auf dem verspiegelten Glas war nämlich ein Gesicht. Nicht das von Lika, ein eigenes. „Guten Morgen, Lexford, seid ihr mit eurer Arbeit vorangekommen?“, begrüßte Lika den Spiegel und betrat die Plattform.
„Sehr gut, werte Dame, ich habe es geschafft alle Schriftstücke einzuräumen!“
„Das freut mich, Lexford. Ich muss in die Dimensionsabteilung.“
„Sehr wohl, werte Dame, sehr wohl...“ Lexford schwebte aufwärts und sie ließen das Tierchen auf dem Boden zurück, dass ihnen quietschend und hüpfend nach sah. „Und, was haltet ihr von diesem Turm?“, wollte Lika seine fachmännische Meinung hören. „Nicht schlecht, muss ich sagen, werte Dame. Die Luftfeuchtigkeit ist nicht zu hoch und die Sonne gelangt auch nicht an die Bücher.“ Sie zogen an Reihen voll dicken Wälzern vorbei, manche uralt, andere neuer. Es gab Taschenbücher und Bildbände, sogar Werke, die größer als ein Mensch waren. „Gut zu hören.“, lächelte Lika und sah nach oben. Schon waren sie an der Stelle angekommen, die den Übergang von der normalen zur NAMINschen Bibliothek kennzeichnete: ein Mandala aus ätherischen Zeichen und Farben, das über ihnen in der Luft schwebte. Diesen Punkt zu passieren, die Grenze zu überschreiten, war immer wieder ungewohnt. Wenn Thalia gewusst hätte, dass es so etwas außerordentlich Magisches hier in ihrer Burg gab, sie hätte sich mit Freude und Staunen näher damit beschäftigen wollen. Aber sie wusste nichts davon und auch von Likas zweiter Identität, die sie mit Überschreiten des Zirkels angenommen hatte, war herzlich wenig bekannt. „Lexford?“, sagte die Ritterin, die nun Namin war, mit ruhiger, sicherer Stimme.
„Ich höre, Meisterin.“ Sofort hatte sich auch ihr Umgangston geändert. „Es ist wirklich eine Schande, wie ich immer alles gleich vergesse, sobald ich nicht im Amt bin... Die Bücher aus den Wettstreitdimensionen stehen hier drüben?“, erkundigte sie sich und zeigte mit dem Finger in eine Richtung.
„Die Bücher aus den Welten, in denen ihr mit Wettstreiten zu tun hattet, sehr wohl.“
„Gut. Bring mich bitte hin.“ Lexford schwebte so dicht an die Bücherwand heran, wie es ging, aber Lika alias Namin musste sich trotzdem über das Geländer beugen um an die Buchrücken zu kommen.
„Ich bitte euch, Meisterin, nicht mit bloßen Händen! Das geht doch nicht! Die wertvollen Bücher!“, nörgelte der Spiegel aufgeregt. Seufzend ließ Namin von den Buchrücken ab. „Wenn du dich dann dazu bequemen würdest, dich um neunzig Grad zu drehen?“
„Für die Bücher!“, murmelte Lexford entschlossen und drehte sich so weit, dass er das Buchregal „im Nacken“ hatte.
„Ich bin auch ganz vorsichtig...“, versprach Namin und streckte ihren Arm aus. Lexford kniff die Augen zusammen, als sie mitten durch ihn durch langte. Das Spiegelglas gab nach und über ihre Hand legte sich eine dünne Silberschicht wie ein Handschuh. Zielstrebig griff sie sich ein Buch und zog es durch den Spiegel zurück. Das war auch die einzige Art um an ein Buch aus der Dimensionsabteilung zu gelangen, denn ein Schutzmechanismus verhinderte jeden anderen Eingriff. Das Silber zog sich von Namins Hand zurück stülbte sich umgekehrt über das Buch und waberte schließlich in den Spiegel zurück, wo sich Lexfords Gesicht wieder reformierte. Das Buch in den Händen wiegend betrachtete sich seine Meisterin den Buchdeckel genauer. Schließlich ließ sie sich zufrieden auf die Plattform nieder und legte das Buch auf ihren Schoß. „Scheint das Richtige zu sein. Lexford, du kannst mich wieder runterlassen.“

Erleichtert seufzte der Spiegel auf. Diese Prozedur war doch jedes Mal äußerst unangenehm für ihn und er hatte so wieso keine Lust gehabt sie noch einmal zu wiederholen.
„Wie ihr wünscht, Meisterin.“ Lamgsam senkte er sich herab. Sie unterschritten das Mandala und Lika war wieder die alte. Sie streckte sich und gähnte wie nach einem angenehmen Mittagsschlaf. Dann bemerkte sie den grünen Einband auf ihren Oberschenkeln.
„Aha, anscheinend bin ich fündig geworden. Danke, Lexford.“
„War mir ein vergnügen, werte Dame.“, sagte er und setzte sie auf dem Boden ab.
„Wisst ihr wie viel Uhr es ist?“, erkundigte sich Lika.
„Zwanzig vor drei; haben werte Dame einen Termin?“
„Habe ich...“ Das Fellknäuel hüpfte Lika fröhlich um die Füße. „Ich lasse es kurz hier, in Ordnung?“, sagte sie und ging zur Tür.
„Ehm, ich weiß nicht, ob dass...“, begann Lexford , aber Lika hatte schon die Klinke in der Hand. In der anderen hatte sie das Buch.
„Tschüss!“ Tür zu. Lexford sah seufzend zu dem hyperaktiven Tierchen herunter.
„Wehe, du kommst meinen Büchern zu nahe!“, warnte er es.
„Kurrriee?“ Das Tierchen blinzelte und sprang los.
„Halt! Nicht auf die Seite!“ Zu spät, das Fellknäuel steuerte direkt auf die Erstausgabe des ersten Bandes von Harry Potter zu. Und was konnte ein Spiegel schon gegen so einen Nervzwerg ausrichten?

***

Lika hatte sich gerade am Schreibtisch niedergelassen und wollte das Buch aufschlagen, als sie Schritte und schweres Atmen hörte. Sie sah noch einmal auf die Uhr. Es war fünf vor drei, da betrat der Rest der Burgbewohner ihr Büro im Bergfried.
„Was schnauft ihr denn so?“, fragte Lika verwundert und blickte blinzelnd auf den Haufen nach Luft schnappender Leute.
„400 Stufen!“, keuchte Sadira.
„Mindestens!“, fügte Adawen hinzu.
„Warum musste ich eigentlich mitkommen?“, jammerte Grischmo.
„Damit ich dir nicht nachher alles noch mal erzählen muss!“ Thalia verpasste ihm eine Kopfnuss. Lika stützte ungerührt ihren Kopf auf eine Faust.
„Und wo habt ihr Nea wieder gelassen?“ Aber die klopfte gerade an die Fensterscheibe. „Grischmo, du hast das Feuer in deinem Labor angelassen...“, sagte sie, als sie über den Fensterrahmen stieg.
„Natürlich hab ich das Feuer... Moment! Was hast du in meinem Labor zu suchen?“ Nea machte einfach so, als würde sie ihn nicht hören.
„Jetzt ist mir auch klar, wo der Goldklumpen für Versuchszwecke hin verschwunden ist... naja, mach ich eben einen neuen...“ So viel zu Alchemisten...
„Wunderbar!“, fasste Sadira allgemein zusammen, „Wir sind jetzt also alle da. Fehlt nur noch der Herr Sekretär.“ „Ich wette, er verspätet sich. Kein Wunder bei den vielen Stufen...“, meinte Thalia. Lika setzte ihr diabolischstes Grinsen auf. „Der ist schon längst da.“ Hä? Alle mal umdrehen, bitte! Tatsächlich da stand er, lehnte an der Wand. Schon wieder mit Sakko in beige. Und dieses Lächeln, das war ja richtig fies!
„Hallo, Ladies?“
„Hallo... André...“ Lässig stieß er sich von der Wand ab, nur um zu bemerken, dass es in dem runden Zimmer nur einen einzigen Stuhl gab: Der, auf dem Lika saß. Das ließ seine Aktion leicht sinnlos erscheinen, jetzt stand er nämlich mitten im Raum. Gegenmaßnahme: Hände in die Hosentaschen stecken.
„Ich hoffe, ich habe sie nicht warten lassen.“, erkundigte er sich. Allgemeines Kopfschütteln. Das war wieder einer der Momente, in denen er sich einfach nur eine Kapuze wünschte, zum darunter Verstecken. „Thalia, würdest du mal bitte?“, bat Lika von ihrem Platz hinter dem Schreibtisch aus. Die Hexe verstand erst nicht. Lika tippte auf ihre Stuhllehne. Jetzt war alles klar! Sie zauberte mal eben einen Stuhl für André und ein Sofa für sie selbst her. Es wirkte ein bisschen wie in einem Wartezimmer. Lika war der Büromensch, André gerade an der Reihe und der Rest wartete auf dem Sofa seitlich zu ihnen.
„Dann schießen sie mal los, André!“, eröffnete Lika das Gespräch und schob die Keksdose mehr in die Mitte.
„Also schön... wie erkläre ich das am besten...“ André kratzte sich Hilfe suchend am Kopf. Sollte er jetzt das sagen, was sein Chef behauptete oder seine eigene Meinung?
„Das Turnier des magischen Reiches – sie kennen das ja sicher alle.“ Algemeines Kopfschütteln. Sadira verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir waren übrigens schon bei „du“ angekommen. Wenn DU das also allen allgemein und verständlich erklären könntest?“ André räusperte sich. „Also gut.“

Es folgt: Das Turnier des magischen Reiches – Zahlen und Fakten, präsentiert von André Hibis:

„Das Turnier findet einmal im Jahr statt und wird von mehr als zwei Millionen Menschen – und sonstigen – aus der ganzen Welt besucht. Da die Teilnehmerzahl jedes Jahr von ein, zwei hundert bis dreitausen schwankt (kommt immer darauf an, wer mitmacht...), gibt es Vorausscheidungskämpfe zwei Tage vor der eigentlichen Veranstaltung. Die Teilnehmer treten in Teams ab drei Personen an, dabei spielt keine Rolle, welchem Land oder Rasse sie angehören, Die Teilnehmer messen sich in 4 verschiedenen Disziplinen: Kampf mit Waffe oder ohne (Magie verboten), Magieduell, Ritterliches Lanzenreiten und Schattenfuchsjagd. Das Team, das in den meisten Disziplinen gewinnt, ist Sieger. Habt ihr irgendwelche Fragen?“ Sadira meldete sich.
„Hast du eigentlich ‘ne Freundin?“ die anderen sahen sie entsetzt an, André rutschte vom Stuhl.
„Also wirklich, Sadira! Was würde dein Freund jetzt sagen?!“, empörte sich Thalia.
„Dem wäre das wurscht, ob André eine Freundin hat. Und er besucht gerade seinen – übrigens ebenfalls halbelfischen – Halbbruder, aber darum ging es mir gar nicht, Thalialein. Schon mal was von Neugierde gehört?“ André räusperte sich.

„Ganz kurz: Ich habe keine Freundin, nicht direkt.“ „Einen Freund?“ André wurde rot und kippte erneut vom Stuhl. „Nein – auch keinen Freund!“, stellte er klar. Sadira setzte ihren „Das behaupten sie alle!“ - Blick auf und brachte André mit ihrem Schweigen, gegen das er nichts erwidern konnte, in Rage. Er ließ sich aber kaum etwas anmerken und fuhr fort:
„Hat sonst noch jemand –“, aber er brach ab, als Sadira Adarwen laut und deutlich
„Er ist also noch zu haben!“ ins Ohr flüsterte.
„Was erzählst du ihr/mir das?!“, fauchten André und die Spionin zugleich, worauf letztere den Sekretär sauer anfunkelte. Da war ihm ja was rausgerutscht.
„War... nicht so gemeint, verzeiht...“, schluckte er.
„Gibt’s da auch einen Preis?“, wollte Nea aufgeregt wissen. „Natürlich.“, lächelte André, „Neben einem Titel und einer Trophäe erhält der Gewinner noch für ein Jahr eine Karibikinsel und Goldmünzen im Wert von zwei Millionen.“ Blink! ... War das Geräusch gerade aus Neas Kopf gekommen?
„Ihr müsst da unbedingt gewinnen!“, jubelte sie hibbelig.
„Wieso „Ihr“?“ „Mindestens die Hälfte der Zuschauer dort hätte mich gerne hinter Schloss und Riegel, meint ihr, ich mach da in aller Öffentlichkeit mit?“
„Warum denn das?“, fragte André unwissend.
„Öhm, eh, Grischmo, wolltest du nicht gerade was fragen?“, meinte Nea prompt und stieß Grisch mit dem Ellenbogen an.
„Wieso sollte ich?“
„Jetzt mach schon“, zischte sie, „oder ich geb' dir deine diamantne Brennlinse nicht zurück!“ „WAS?!“, rief Grischmo ungewöhnlich laut für sein empfindliches Gemüt aus,
„Du hast meine...?“
„ausgeliehen... muss mal dringend weg...“
„Sadira – festhalten!“ Auf Likas strengen Befehl packte sie die Diebin am Kragen und zog sie aufs Sofa zurück. André wohnte fasziniert dem Schauspiel bei. Er fand´s lustig- auch wenn er das in Anwesenheit seines scheinbar spießigen Chefs niemals gezeigt hätte.
„Könnten wir jetzt einteilen, wer für welche Disziplin antritt?“, brachte Lika das Gespräch wieder in gemäßigte Bahnen
„Kämpfen!“, meldete sich Sadira sofort.
„Wenn wir mal jemand erklären könnte, was „Schattenfuchsjagd“ ist?“, sagte Thalia, „werden da Schattenfüchse gejagt?“
André brach in Lachen aus (er hatte ein sehr schönes Lachen) und schüttelte den Kopf. Er fing sich wie auf Knopfdruck wieder „Diese Disziplin heißt so,“, erklärte er, „Weil du der Fuchs bist und von einem Schatten gejagt wirst.“
„Aber das hat nichts mit Pharaonen und duellieren zu tun und so?“, wollte Adarwen wissen. „Hä?!“
„Egal... und es muss „Wie bitte?“ heißen!“ Aber seine Umgangsformen waren ihm eh bei Sadiras gefürchteter Freundinnen-Frage verloren gegangen.
„KÄMPFEN!!!“ Apropos Sadira... Mit diesem Ausschrei sprang sie auf und alle anderen nahmen instinktiv einen Meter Sicherheitsabstand.
„Ehm, ja...“, sagte Lika, die durch den Schreibtisch am weitesten von ihr entfernt war,
„ist ja gut, Sadira. Du darfst ja kämpfen. Grischmo, gehst du mal eben mit ihr vor die Tür?“ „Wieso ICH?!“
„Mach!“, wurde ihm von den Ritterinnen befohlen. Geschlagen trollte er sich zur Tür und zog Sadira hinter sich her. Es kehrte wieder Stille ein. Für einen kurzen Moment. Dann war ein sehr real nach Todesangst klingendes „Whaa!“ zu hören und Grischmo, der die Treppe hinunter fiel. André lauschte geschockt, bis ihn Lika mit der Keksschüssel anstieß.
„Keks?“
„Ja, gerne.“ Er bediente sich und reichte die Schüssel an Adarwen weiter.
„Also. Sadira wird das Kämpfen übernehmen. Thalia, du willst doch bestimmt das Magierduell bestreiten?“
„Mit Vergnügen!“ André meldete sich noch einmal.
„Ich habe noch vergessen zu erwähnen, dass man für die Schattenfuchsjagd ein Reittier braucht. Und einen guten Orientierungssinn sollte man haben.“ Damit war für Lika die Sache erledigt.
„‘darwen, das machen wir beide dann!“
„Waas?“, rief Adarwen unzufrieden.
„Keine Widerrede!“
„Na gut...“

In diesem Moment riss Sadira mit viel Tamtam die Tür wieder auf.
„Ah, schon viel besser!“ strahlend und ausgeglichen ließ sie sich aufs Sofa fallen.
„Und Grischmo?“, fragte Thalia.
„An einem Stück unten angekommen!“, berichtete Sadi zufrieden. Die Hexe sah sie tadelnd an.
„Das wäre echt nicht nötig gewesen!“
„Ich hab gar nichts gemacht!“, schwor ihr die Kämpferin.
„Was kann ich denn dafür, wenn der Kerl die Treppe runterfällt?“
„War ja klar!“

Währenddessen ging Adarwen zum Türrahmen.
„Ich frag ihn mal.“, sagte sie Lika zugewandt. Dann rief sie die Treppe runter.
„Grisch? Willst du beim Turnier mitmachen? Beim... Beim Lanzenreiten?“ Sie wartete auf eine Antwort.
„Autsch...“ Sie wandte sich wieder den anderen zu und zuckte mit den Schultern. „Ritterinnenberatung!“, rief Lika aus und wieder versammelten sie sich, um hinter dem Schreibtisch die Köpfe zusammen zu stecken.
„Grischmo können wir nicht nehmen, ich glaub, der hat sich was gebrochen...“, flüsterte Adarwen.
„Dann muss Sadira das halt noch machen.“, meinte Thalia.

„Warum ich?“

„Weil du eine Lanze hast und reiten kannst du auch!“

„Aber doch nicht beides zusammen!“

„Schluss jetzt, ihr beiden!“, ging Lika dazwischen. „Es wäre unfair, wenn jemand von uns zwei Aufgaben übernehmen müsste!“ ... Folgerung? Die fünf Ritterinnen schielten unauffällig zu André herüber, der gerade nichtsahnend an einem Keks knabberte. Lika zischelte den anderen etwas zu und sie nahmen kichernd wieder ihre Plätze ein. André sah verdutzt von einer zu anderen, wie sie da wie die Hühner auf der Stange nebeneinander auf dem roten Sofa saßen. Banane verschluckt? Lika räusperte sich. Er sah genau, dass auch sie sich ein Grinsen verkniff.
„Wir sind zu dem Schluss gekommen...“, teilte sie ihm mit und beendete Sadiras Kichern mit einem strengen Blick.
„Also unserer Meinung nach fänden wir es am besten, wenn sie, äh, du, also wenn du das Ritterliche Lanzenreiten übernehmen könntest.“ André starrte sie einfach nur an. Er schluckte den letzten Bissen Keks runter.
„Ehm.... ich?“, brachte er heraus. Nicken.
„Was? Das ist keine gute Idee! Nein, nie im Leben, das mach ich nicht! Ich meine, ihr könnt doch nicht einfach mich dafür bestimmen um -“
„Jetzt beruhige dich mal wieder!“, ließ ihn Nea verstummen.
„Wenn du nicht mitmachst, machen wir auch nicht mit!“, sagte Thalia.
„...Und wie hast du in deiner Ankündigung geschrieben? Dein Chef wird unangenehm, wenn wir nicht beim Turnier mitmachen?“, erinnerte ihn Adarwen. In Andrés Kopf machte es >klick!<. Sein Chef! Panik!
„Das... ist doch nicht euer Ernst... oder?“
„Doch!“ André senkte seufzend den Kopf. „Also schön!“, rief er aus, „Na gut, ich mach es ja! Ihr habt mich überzeugt.“ Adarwen und Thalia schlugen ein.
„Ich verspreche allerdings nichts!“, warnte sie André.

„Das klappt schon!“ Die Ritterinnen waren zuversichtlich. Schon allein der Anblick von ihm in einer Ritterrüstung auf einem Pferd sitzend würde ihren sadistischen Gemütern ja genügen...
„Kannst du mit Lanzen umgehen?“, erkundigte sich Nea.
„Früher jedenfalls mal, ja.“
„Und mit Pferden?“, wollte Sadira wissen.
„Nein.“
„Schlecht. Morgen fangen wir mit dem Training an. Oder besser... schon heute!“
„Ehm...“
„Als Übungstier nehmen wir Condor -“
„Das ist ein Drache, Sadira.“
„und als Lanze stelle ich ausnahmsweise meinen Bluewalker zur Verfügung!“ Die Kämpferin war bei ihrer Planung gar nicht mehr aufzuhalten.
„Sadira?“
„Ja?“
„Bist du jetzt fertig?“
„Ja.“
„Schön. Ab jetzt halt die Klappe, okay?“ Auf Likas charmant formulierte Frage war sie still und schmollte.
„Das war aber sehr unhöflich, wenn ich das mal sagen darf.“, meinte André.
„Aber es hilft!“, da waren sich die Ritterinnen einig.
„Und wollt ihr eurem Mitbewohner nicht aufhelfen?“
„Wenn wir den jetzt hoch schleifen, fällt er nur noch einmal runter.“, meinte Thalia aus Erfahrung.
„Ah...so.“ André klang nicht sehr überzeugt. Ende des Treffens.
„Dann komme ich also Morgen wieder.“ Der Halbelf stand auf und verabschiedete sich bei jeder Ritterin per Handschlag.
„Ach so“, fiel ihm auf einmal noch ein, „ich habe zwei Leute geschickt, die das Loch in eurem Hof wieder zumauern sollen. Sie müssten heute noch kommen.“
„Sehr aufmerksam!“, meinte Nea.
„Allerdings wäre uns jemand, der das Riesending von einem Drachen mitnehmen würde lieber“, seufzte Lika, „seitdem der da liegt, ist es lebensgefährlich geworden Petersilie im Kräutergarten pflücken zu gehen.“
„Wenn man die Geheimgänge nicht kennt!“, wandte Nea ein. André machte eine Geste des Abschieds und ging zur Tür. Bereits im Hinausgehen meinte er noch:
„Und meldet bitte euer – Uaaargh!“
Krach! Die vierhundert (mindestens!) Stufen klangen äußerst schmerzhaft.
„Lika,“, grummelte Thalia,
„Erinnere uns daran, dir ein Schild mit „Achtung, Stufe!“ zu schenken.“
„Wieso nur eins?“
„Ach...vergiss es!“ Wieso nicht gleich gepolsterte Stufen und eine Matratze am Ende der Treppe? Oder... einen Aufzug! So endete also der Besuch des halbelfischen Sekretärs André Hibis, aber es gab für die Ritterinnen noch einen Grund sitzen zu bleiben. Jedenfalls sah Adarwen einen. Mit ihren Spionage gewöhnten Augen war ihr gleich beim Betreten des Zimmers etwas Ungewöhnliches auf Likas Schreibtisch aufgefallen: Das grüne Buch. Na gut, das war nicht ungewöhnlich, aber es lag normalerweise nicht dort.


Kurrriiieee


Schlussfolgernd stellte sie diese Frage: „Was ist jetzt eigentlich mit unserem Fellknäuel?“ „Ach“, meinte Thalia ganz überrascht, „auf einmal ist es „unser“ Fellknäuel! Hatte die Dame nicht vorhin noch gehörig Angst vor dem Tierchen?“
„Naja, eigentlich ist es ja ganz niedlich...“, gab die Spionin zu.
„Egal ob niedlich oder nicht...“, sagte Lika und stand mit dem Buch auf, „Wenn das Tierchen aus einer Welt stammt, in der wir bereits waren, müsste es hier drin stehen!“ Sie pflanzte sich zwischen Adarwen und Sadira in die Mitte des Sofas, das magisch breiter wurde. „Hagidian Bukkas Sammlung außerweltlicher Tierarten“, las sie vom Deckel ab. „Ein Buch von Hagidian Bukka? Ist das nicht Grischmos geliebter Chaologe? Das gehört doch dem Pelzohr!“ Davon war Sadira überzeugt.
„Grischmo hat es mir vermacht, damit ich es vervollständige.“, erklärte ihr Lika. Sie klappte den Buchdeckel auf.
„Praktisch, mit Bildern! Oh, wie süß!“, rief Nea beim Anblick eines weißen Drachens aus.

„Vielleicht ist es das?“, meinte Sadira bei jeder auch nur annähernd nach brauner Fellkugel aussehenden Abbildung.
„Nein, ist es nicht.“, antwortete Lika jedes Mal genervt und blätterte weiter. „Vielleicht sollte ich von dir einen Eintrag machen. „Quängelige Nervensäge mit besonders schlechtem Sehsinn in der Nähe.“
„Ooh, ich habe Lika in dem Buch gefunden!“, freute sich darauf hin Sadira und zeigte auf die Zeichnung eines besonders hässlichen Vogels.
„Das ist ein Wischmophuhn, Sadi.“, grummelte Lika und beschloss, die Kämpferin ab jetzt zu ignorieren. Zum Glück wurde der Hasenzwist der beiden in dem Moment vergessen, als sie tatsächlich die Abbildung der kleinen braunen Wollkugel vor sich hatten.
„Mal sehen, was der gute Bukka zu unserem pelzigen Fund schreibt.“, sagte Lika und räusperte sich.
„Kleiner warmblütiger Säuger, für den ich bis jetzt noch keinen Namen gefunden habe. Kam vor einiger Zeit in den zwischendimensionalen Raum und blieb dort, leistet mir seit dessen hartnäckig Gesellschaft. Ich kann ihn leider keiner Welt zuordnen. Vielleicht habe ich einmal aus Versehen das Tor aktiviert und er kam hindurch? Nachtrag: Habe mich dazu entschlossen, den kleinen Kriekrie zu nennen.“
„Mh.“, machte Lika nur, als sie den Eintrag beendet hatte.
„Lika, was ist ein zwischendimensionaler Raum?“, fragte Adarwen.

Klonk.

„Wer hat da gerade >klonk< gemacht?“
„Das Fenster.“
„Das Fenster?“ Nea stand auf und sah nach. Auf dem Fenstersims saß ein lila Vogel (die Diebin vermutete, eine Taube), der etwas arg zerzaust war, weil er eben gegen die Scheibe geknallt war.
„Eine Nachricht!“, sagte Nea, als sie den Zettel an seinem Beinchen sah und öffnete das Fenster, um das verschreckte Tier herein zu holen. Adawen band den Zettel los, der sich beim Auseinanderfalten als sehr groß herausstellte.


Sehr geehrte Bewohnerinnen der Burg auf den Klippen,

hiermit möchten wir Ihnen mitteilen, dass ihre Anmeldung zum Turnier des magischen Reiches durch André Hibis erfolgreich verlaufen ist. Herzlichen Glückwunsch! Nun wollen wir sie nach Schottland einladen, wo am 28.08. die Vorkämpfe beginnen werden. Bitte finden sie sich an diesem Tag pünktlich um 9.30 Uhr am See von Loch Ness ein.

Mit feundlichen Grüßen

Das Komitee

„Och nee!“, seufzte Sadira, „Nicht wieder so früh aufstehen!“ Nea ging zum Fenster zurück um die Taube mit seltsamer Federfarbe wieder fliegen zu lassen. Als sie hinunter auf den Hof sah, entdeckte sie die beiden Bauarbeiter, die gerade einen Schubkarren voll Steine zu dem Loch im Hof karrten und winkte. Unglaublich, Andrés Vorhersage hatte sich doch tatsächlich erfüllt. Aber das riesen Drachenvieh lag immer noch da und döste. Lika schlug das Buch zu. „So, also haben wir bis zum Turnier noch zwei Wochen Zeit.“
„und noch fünf Tage bis zu meinem Geburtstag!“, freute sich Sadira. Stille.
„Was denn, habt ihr das etwa vergessen?“
„Ehm, Lika!“, wechselte Thalia schnell das Thema, „Wo hast du den kleinen Racker eigentlich hin?“
„Welchen kleinen Racker?“
„Das Kriekrie, mein Gott!“
„Nee, Namin reicht!“, meinte Lika und räusperte sich noch einmal,
„Ehm, das Kriekrie ist noch in der Bücherrei.“
„Dann gehen wir da jetzt hin!“, beschloss Thalia.

Es stellte sich heraus, dass Grischmo doch nichts gebrochen hatte, aber bestimmt ein paar blaue Flecken. Die ganze Prozession dackelte/hinkte zum Bibliotheksturm (und immer schön den Bauarbeitern winken, die gerade Arbeit vortäuschen...). Mit der Klinke in der Hand legte Lika einen Finger auf den Mund (als ob da drin Leute wären, die sie stören könnten!). Mit feierlicher Mine öffnete sie die Tür und sie traten ein. Mit dem ersten Schritt trat Thalia gegen ein auf dem Boden herumliegendes Buch.
„Ähm, also irgendwie... Lika?“ Aber Lika war nicht ansprechbar, denn sie musste immerzu entsetzt und mit offenem Mund auf die Bücherberge starren, die sich auf dem Boden auftürmten. Die Regale – im Gegensatz dazu – waren erschreckend leer. Auf dem Bücherberg weiter hinten tat sich etwas. Ein paar Bücher kamen ins Rutschen und die Spitze der Pyramide brach auseinander. Zum Vorschein kam...
„Kurrie?“ Das Mistvieh besaß die Frechheit sich mit unschuldigem Blinzeln zu schütteln. „Lika, das klingt jetzt vielleicht etwas hart, aber ich muss es so unverblümt ausdrücken: So einen Saustall hätte ich dir echt nicht zugetraut...“ Dieser nicht sehr bedachte Kommentar Sadiras, die es offenbar noch nicht kapiert hatte, wem sie diesen „Saustall“ hier zu verdanken hatte, brachte Lika zum Explodieren:
„Rhooar... LEXFORD!!!“ Aber keine Reaktion nach diesem Aufschrei. Und die anderen verstanden nur Bahnhof. Adarwen nahm lediglich ein seltsames Blinken unter einem Bücherhaufen wahr, glaubte etwas Wichtiges entdeckt zu haben und rief, während sie mit dem Finger dorthin zeigte: „Da, seht mal!“

Sie bahnten sich vorsichtig, um die Bücher nicht zu beschädigen, einen Weg durch die Hügellandschaft. Kriekrie, das vor ihnen dort ankam, markierte hüpfend und quietschend ihr Ziel. Lika stieß einen Entsetzensschrei aus. Aus dem Bücherberg schaute gerade noch ein Teil des großen, ovalen Spiegels hervor.
„Lexford!“
Mit vereinten Kräften zogen sie ihn wieder ans Tageslicht. Das Glas hatte zwar keinen Sprung bekommen, aber der Spiegel war von der Plattform abgebrochen, die noch irgendwo unter den Büchern begraben war. Lexford schlug die Augen auf. Lika atmete auf, die anderen blickten das Gesicht im Spiegel neugierig und fasziniert an. Kriekrie sprang Lika auf die Schulter, die sich über Lexford gebeugt hatte und jagte ihm einen Heiden-schrecken ein.
„Weg! Nehmt das Ding von mir weg! Diesen Verwüster! Diesen kleinen Teufel, diesen...“ Der Bibliothekar wollte gar nicht mehr aufhören.
„Jetzt beruhigt euch doch!“, redete Lika auf ihn ein, während Sadira im Hintergrund die verschüttete Plattform zwischen den Büchern hervor zog, sie hochhob und neugierig betrachtete. Das war zu viel für den Spiegel. Er kippte in Ohnmacht.

Den Rest des Tages verbrachten sie damit, die Bücher wieder einzuräumen. Kriekrie hatten sie in einen kurzerhand umfunktionierten Vogelkäfig gesteckt und so baumelte es fröhlich quietschend über ihren Köpfen in reichlich Abstand zu den Bücherregalen. Lexford wurde von Thalia zwar wieder zusammen gezaubert, aber es dauerte noch lange, bis er seinen Schock endgültig überwunden hatte.

Als es so langsam dunkel wurde, hatten die Bauarbeiter ihre Aufgabe erledigt und machten Feierabend. Die Ritterinnen allerdings hatten dank Kriekrie bis tief in die Nacht zu tun. Sie schliefen danach recht gut.

Thalia wurde von Vogelzwitschern geweckt.

Klonk!
Schlagartig öffnete sie die Augen. Sie sah zum Fenster, dessen Vorhänge durch einen geöffneten Fensterflügel sachte in der Morgenbrise flatterten. Auf dem anderen Flügel (geschlossen) war ein Vogelabdruck zu sehen. Diese dämlichen Tauben! Sie glaubte den lila Vogel auf, nahm ihm den Zettel von seinem Bein ab und ließ ihn wieder fliegen. Es war eine Nachricht von André. Er hatte mitbekommen, dass ihr Briefkasten schrott war (auch wenn er es nicht so ausgedrückt hatte) und schickte ihnen ab jetzt Brieftauben. Anscheinend hatte er Sadiras Pläne mit dem Training ernst genommen, jedenfalls wollte er um halb drei vorbeikommen. Wie üblich zerriss Thalia den Brief zweimal und ließ ihn danach in Flammen aufgehen. Wie spät war es eigentlich? Ah, noch früh, da konnte sie vor dem Frühstück ja noch duschen gehen... Gähnend schlurfte sie zur Tür und nahm die Klinke in die Hand. Sie zog sie auf, um sie im nächsten Moment wieder bis auf einen Spalt zu zu ziehen. Stille. Sie sah zu Boden, aber zwischen Tür und Rahmen hatte sich kein Huf gestemmt. Zögerlich öffnete sie die Tür noch einmal ganz. Freie Sicht auf die gegenüberliegende Wand. Sie hatte gar nicht gewusst, dass hier so ein hässliches Gemälde mit einer Obstschale darauf hing... Thalia lugte links den Gang hinunter – lugte rechts, aber er blieb leer. Gähnend leer. Seelenleer, lebensleer, zentaurenleer!! Eiligst rannte sie zu Sadira; die kam ihr aber schon entgegen. Mit entsetztem, enttäuschtem Blick traten sie sich gegenüber.
„Vermisst du ihn auch so?“ Thalia nickte. Sadira hielt ein Nudelholz nach oben und meinte: „Wie soll ich das jetzt bloß mit meinem Frühsport machen?“ Thalia sprach endlich ihren gemeinsamen Gedanken aus:
„Aicyn muss wieder her! Wir sollten ihn suchen gehen!“

Gesagt – getan! Wenige Zeit später trafen sich die beiden bereit für die Suche und fertig angezogen in der Eingangshalle. Sie nickten sich gegenseitig zu. Aicyn, wir retten dich! (und er war in Schwierigkeiten, da waren sie sich – fast – sicher) Aber mit dem ersten Schritt den Thalia aus der Tür machte, stolperte sie über etwas. Und es war nicht der Postbote.
„Alles in Ordnung?“ „Ja, der Boden hier ist nicht besonders hart...“ Sadira half ihr wieder auf. „Wer hat denn hier so eine Stolperfalle – KREISCH!!!“ Wie versteinert standen die beiden da und starrten auf... auf... den wahrhaftigen, echten, unverfälschten, tatsächlichen... Tauchsieder!!!
„Das kann doch nicht...“ Sadira steckte ihren Arm nach ihm aus um ihn aufzuheben, aber er schnellte ihr von selbst in die Hand.
„Wie kommt der hier her?“
„Keine Ahung.“

Schleunigst wurden die anderen geweckt. Sie konnten auch keine Erklärung finden. Wieder einmal kam die Bibliothek zum Einsatz.
„Hier ist ein Buch mit dem Titel >>Wie halte ich meine Fische davon ab zurück zu beißen?<< ... seltsam.“ Aber sie fanden kein Buch, das plötzlich wieder auftauchende Stäbe zum Thema hatte. Nirgendwo in Likas Bücherei hing eine Uhr, weshalb sie völlig die Zeit vergaßen. Lexford wusste zwar immer, wie viel Uhr es war, aber da er ihre Gesellschaft so genoss, kam er gar nicht auf die Idee ihnen mitzuteilen, dass es schon halb drei war. Das merkten sie auch so, als André an die Turmtür klopfte. Ganz überrascht, wer das denn sein könnte, ging Lika hin und machte auf.
„Oh, Hallo!“, wurde er blinzelnd begrüßt.
„Hallo...“ Leicht abwesend schlüpfte er an Lika vorbei und blickte fasziniert an den Regalen hoch.
„Vorsicht, man bekommt davon Genicksteife!“, warnte ihn Sadira, die urplötzlich hinter ihm aufgetaucht war und ihn herumschrecken ließ. Ihr Grinsen gefiel ihm gar nicht...
„Also schön...“, verkündete die selbst ernannte Trainerin, „fangen wir mit Reiten an!“

Andres Reitkünste waren wirklich nicht besonders... naja, ihr wisst schon. Vielleicht lag es auch daran, dass der in ein Pferd verwandelte Condor nie das machte, was man von ihm forderte. Bei Sadira gehorchte er. Gut, das würde wohl jeder machen, der sein Leben noch ein, zwei Jahre verlängern will...

Aber ein guter Schüler war der Halbelf, das musste man schon zugeben. Adarwen war sich nicht ganz sicher (das kam bei ihren Beobachtungen eher selten vor!), doch sie glaubte, dass André deutlich besser mit dem Drachen-Pferd auskam, wenn er leise zu summen begann. Sie musste unbedingt mehr über ihn herausfinden! Bis jetzt wusste sie ja noch nicht einmal, wo er wohnte. Wirklich eine Schande, für diese Spionin.

Am Ende des Tages klappte das Reiten schon so gut, dass Sadira beschloss am nächsten Tag mit ihm einen Ausritt zu machen. Das wiederum gab Ärger mit Lika, die Condor dafür nicht hergeben wollte. André klärte die Sache, indem er versprach zwei Pferde vom ASN auszuleihen. (auch wenn Sadira mit ihren glänzenden Verbindungen zu Phipspaats locker zwei Gäule hätte auftreiben können... Die wären dann zwar geflogen, aber egal.) Nach einem gemeinsamen Abendessen draußen im Atrium verließ sie der Sekretär wieder, um bei seiner Arbeitsstelle vorbei zu schauen.

Er klopfte an die Bürotür seines Chefs.
„Herein!“ Zaghaft befolgte er die Erlaubnis.
„Aha, André, erstaunlich, dass sie sich auch mal wieder hier blicken lassen!“ „Entschuldigen sie, Sir, aber –“
„Sie sind mein Sekretär!“, wurde André barsch unterbrochen, „Sie haben mir jederzeit zur Verfügung zu stehen!“ Darauf wusste der Halbelf nichts zu erwidern.
„Setzen sie sich doch!“, sagte sein Chef auf einmal ruhig und zeigte auf das Sofa.
„Nein, Chef, ich wollte eigentlich nur noch einmal vorbeischaue-“
„VORBEISCHAUEN?!“, polterte sein Vorgesetzter, so dass er leicht zusammen zuckte. „Was glauben sie, wo sie hier sind? Bei einem Kurierdienst etwa? Sie haben meine Anweisungen auszuführen!“
„Ich HABE ihre Anweisungen ausgeführt!“, verteidigte André sich trotzig.
„Ich erinnere mich nicht ihnen etwas aufgetragen zu haben, bei dem sie einen ganzen Tag außer Haus sein müssten! Also erzählen sie schon, was sie getrieben haben!“ So langsam wurde André doch etwas zornig.
„Ich habe mich mit den Ritterinnen in Verbindung gesetzt.“
„Hervorragend! Es ist sehr wichtig sie auf der Seite des ASN zu wissen! Haben sie zugesagt?“ André graute es jetzt schon vor dem bitteren Nachgeschmack, den seine Antwort haben würde.
„Sie werden am Turnier teilnehmen...“
„Fabelhaft!“
„...und... und ich mit ihnen.“
„WAS?!“ Entsetzte Stille. André sah sich Hilfe suchend im Raum um, fand aber nur die von ihm eigens umgeknickte Zimmerpflanze.
„Könnten sie das noch einmal wiederholen?“
„ich sagte – “
„Sind sie noch ganz sauber?!“, wurde er erneut von seinem Chef abgemurkst.
„Das war ihre Bedingung!“, beteuerte André.
„Sind sie denn wirklich so naiv zu glauben, ich würde sie bei diesem Turnier mitmachen lassen?“ Irgendwo in den Tiefen seines Unterbewusstseins war etwas auf das Wort „naiv“ bei André aufgewacht. Ungezügelte Wut, das Temperament einer ungezügelten Seele. Dieses Gefühl war aber so tief verborgen, dass André es noch recht gut unter Kontrolle hatte.
„Zu spät.“, sagte er kalt und verließ das Zimmer. Er stand bereits auf der Teilnehmerliste. Unter dem Ritterinnen-Team, zusammen mit Sadira, Thalia, Adarwen und Lika. Und er freute sich schon diabolisch auf den morgigen Ausritt.



Who the f*ck is André?!


Eine einzelne herunter gebrannte Kerze erhellte das kleine Kämmerchen, welches Adarwen als ihr geheimes Archiv benutzte. Besser gesagt wurde höchstens der halbe Schreibtisch erleuchtet. Da das kleine Zimmer im Keller war, hatte es keine Fenster und wurde so fast ganz von der Dunkelheit verschluckt. Es war schon tief in der Nacht und die Spionin nahm an, dass alle – außer Nea vielleicht – schliefen; sie jedoch war dabei, die Vorsätze von heute Mittag in die Tat umzusetzen. Vor ihr lagen auf dem Schreibtisch verstreut alle Fakten, die sie in der Kürze über André hatte zusammentragen können. Dabei hatten ihr Vögel sehr geholfen, mit denen sie sich des Öfteren unterhielt. Unter ein paar Pergamenten und einem aufgeschlagenen Buchdeckel lag der Rostige Tauchsieder. Die anderen waren damit einverstanden gewesen ihn vorerst hier aufzubewahren. Und so lag er im Moment unbeachtet neben ihr auf dem Tisch. Adarwen versuchte nämlich gerade gegen die Müdigkeit ankämpfend etwas über ein Land namens Faerûn herauszubekommen, aus dem André angeblich kam. Allerdings waren Informationen darüber gar nicht so einfach zu bekommen. Aber vielleicht suchte sie auch einfach nur in der falschen Richtung. Ohne Begründung kam ihr auf einmal das Wort „Tourismus“ in den Sinn und sie schlug das aktuelle Buch zu um nach einem Reisekatalog zu greifen. Einen Reisekatalog des magischen Reiches, wohlgemerkt. Sie wurde fündig.

„Faerûn – ein Land, noch mystischer als Atlantis!

...und legales Reiseziel noch dazu! Besuchen sie die vielfältigen Landschaften einer ursprünglich anmutenden Welt! Lassen sie sich bezaubern von einem Ort, an dem sich Elf und Halbling gute Nacht sagen und die Magier Tür an Tür mit den –“ Adarwen nickte ein uns stellte fest, dass es keinen Sinn hatte jetzt noch weiter zu forschen. Sie konnte Morgen weiter suchen. Ordentlich stapelte sie noch die Unterlagen, wobei ihr zweimal die Augen zufielen, dann schleppte sie sich den kurzen Weg zu ihrem Lager nebenan. Der angrenzende Raum diente ihr als ein zweites Schlafzimmer und sie war dankbar dafür, dass sie jetzt keine Treppen mehr zu steigen hatte um ins Bett zu kommen. Kaum hatte sie sich zugedeckt, übermannte sie auch schon der Schlaf. Schon bald wurde sie jedoch aus einem Traum gerissen (in dem André vorkam, der seltsamerweise versuchte Aicyn zu satteln, während Sadira mit einem Reiseprospekt herumwedelnd um ihn herum rannte und ihn drängte sich zu beeilen, weil sie nur so kurz Urlaub hatten). Es war ein ständig wiederkehrendes Geräusch, ein monotones „Tock!“, das sich jede Sekunde wiederholte und gar nicht so weit weg sein konnte. Unheimlich. Mit einem unguten Gefühl, das durch ihre Müdigkeit noch verstärkt wurde, stieg sie aus dem Bett und folgte dem „Tock“ bis zur Tür in ihr Archiv. Tock... tock... tock... Eigentlich erwartete sie, dass es stockfinster war, aber ein rötliches Glimmen schien zu ihr herüber und ließ sie erkennen, was diese unheimlichen Geräusche verursachte. Das Geräusch von Holz auf einer Steinmauer. Adarwens Blick wanderte langsam auf die Lärmquelle zu und sie erstarrte. Der Stab schwebte waagrecht in der Luft und stieß unaufhörlich mit dem unteren Ende gegen die Wand. Die Kugel am oberen Ende glühte in diesem roten Licht, das einen schwachen Kreis erhellte. Der Spuk wollte nicht aufhören. Adarwen stand einfach nur erschaudernd da und wusste nicht, ob sie weg rennen, oder nicht doch lieber hingehen und dem Tocken ein Ende machen sollte. Sie entschied sich nach einem festen Ruck, den sie sich selbst gab, für letzteres. Mit langsamen Schritten trat sie auf den Rostigen Rauchsieder zu, immer darauf bedacht nicht in seinem Takt den Boden zu berühren. Selbst als sie mit der zitternden Hand nach ihm griff, hörte das Spektakel nicht auf, doch als ihre Hand den Stab umgriff war Ruhe. Adarwen atmete auf. Das Ding tat jetzt genau, was es sollte: gar nichts. Diesem Ausreißer musste Einhalt geboten werden. Adarwen nahm ein Seil, band den Tauchsieder am Boden einer Truhe fest, verschloss die Truhe, verschloss die erste Tür und die zweite Tür auch und dann machte sie, dass sie die Treppen hoch kam. In ihrem richtigen Schlafzimmer fand sie dann endlich Ruhe. Aber keinen Schlaf. Sie suchte nach einer logischen Erklärung. Die erste logische Erkenntnis war, dass das Ereignis ganz und gar unlogisch war. Das zweite Unlogische hier (außer den seltsamen Angewohnheiten dieses Stabes) war der Kanal im Keller. Vielleicht hatte das ja etwas miteinander zu tun... Adarwen nahm sich vor herauszufinden, ob die Wand in ihrem Archiv zu diesem Kanal zeigte. Das reichte ihr vorerst als Ergebnis und ließ sie endlich einschlafen.

Am nächsten Morgen berichtete sie den andern von dem nächtlichen Spuk und sie überprüfte auch gleich ihre Vermutung. Sie stimmte. Doch es blieb keine weitere Zeit um gründlicher zu forschen, weil der Ausritt bevorstand. André war pünktlich wie immer und noch motivierter als sonst. Auf einmal wollte Lika doch mit und so blieben Thalia, Nea, Adarwen und Grischmo alleine zurück. Die Hexe nutzte die Zeit um alle Angriffszauber, die sie drauf hatte, noch einmal aufzupolieren. Bei Anbruch der Dunkelheit kamen die drei Ausreiter wieder zurück und brachten Grillgut mit, so dass sie, begleitet vom Zirpen der Zikaden noch einen gemütlichen Abend miteinander verbrachten.

Am folgenden Tag wollte Sadira Andrés Fertigkeiten im Lanzenkampf testen. Sie benutzen dafür Holzstäbe mit durch Stoff verbundene Enden. Ihr Kampf hatte keine fünf Sekunden gedauert, da lag Sadira schon auf dem Boden und hatte den Stoffknoten vor ihrer Nase. Seitdem nahm sie ihn richtig ernst. Die anderen staunten nicht schlecht. Wo hatte der Sekretär nur so kämpfen gelernt? Adarwen ärgerte sich schon wieder, dass sie nicht mehr über André hatte herausfinden können.

Reiten und kämpfen... der Rest erledigte sich von selbst. In den nächsten Tagen wurde beides zusammen ausprobiert und so langsam gefiel Condor seine Rolle als Ritterpferd sogar. Und dann kam Sadiras Geburtstag. André musste die Einladung mit der Begründung ablehnen, dass sein Chef ihn womöglich noch köpfen würde, wenn er während seiner Arbeitszeit auch noch auf Geburtstagsgeiern ging. Aber dafür durften ihn die Ritterinnen am Morgen des 28.08. um sieben Uhr von sich zu Hause abholen.

Morgens in der Frühe standen sie vor dem hohen, aber schmalen Fachwerkhaus. Nea klingelte. Sie waren ganz überrascht, dass der Sekretär des ASN eine stinknormale, elektrische Klingel an seiner Haustür hatte und nichts Ungewöhnliches. Kurze Zeit später ertönten Schritte, die eiligst eine Treppe herunterpolterten und dann ging die Tür. Ui. André hatte ja gar keinen Anzug an... In Sweatshirt mit Kapuze und grüner Cargohose stand er vor ihnen.
„Guten Morgen, kommt doch rein!“ Die Ritterinnen folgten in stummer Bewunderung. „Gefrühstückt habt ihr schon?“
„Eh, ja...“, kam die Antwort mit etwas Verzögerung, da sie erst nicht bemerkt hatten, dass er sie angesprochen hatte. Die Wohnung war gemütlich eingerichtet. Als sie im ersten Stockwerk angekommen waren, kam ihnen schwanzwedelnd ein Wolf entgegen, ein uraltes Tier, wie André erklärte. Er hieß Ethion und war schon seit Jahren sein Gefährte.
„Wo führst du uns überhaupt hin?“, wollte Lika wissen, als André sie durch einen weiteren Gang führte.
„Zum Dachboden. Tut mir Leid, aber ich bin nicht mehr dazu gekommen meine Rüstung zu suchen und dachte, ihr könntet mir dabei helfen.“ Der Kerl hatte eine... Rüstung... bei sich auf dem Dachboden?!
„Ich hatte eigentlich vor dir eine zu zaubern.“, meinte Thalia.
„Ach, das könnte ich auch selbst.“, lehnte André ab. ...Tatsächlich? Sie kamen am Ende des Ganges an, wo sie vor einer Wand stehen blieben. André zog eine Deckenluke auf und stellte fest:
„Die Leiter fehlt... Moment!“ Er hangelte sich hoch und verschwand somit aus ihrem Blickfeld. Die Ritterinnen sahen sich erstaunt an. Turnen konnte der Kerl also auch... sie hatten echt nicht erwartete, dass er so gelenkig war. Wenig später wurde eine Leiter herunter geschoben und an den Lukenrand gelehnt, so dass die Ritterinnen auch auf den Dachboden steigen konnten. Dieser stellte sich als äußerst geräumig heraus. Durch ein kleines Dachfenster fiel ein goldener Kegel der morgendlichen Sonnenstrahlen und machte eine Menge Staub sichtbar, der in der Luft tanzte.
„Am besten sucht jeder in einer Ecke. Aber seit vorsichtig, einiges von dem, was hier herumsteht, ist ganz schön wertvoll!“ Die Besucherinnen hörten nur halb hin, weil sie die ganzen Kisten und Utensilien bestaunen mussten, die hier herumlagen. Die wenigen alten Möbel auf dem Dachboden schienen nur dazu zu dienen um allerlei erstaunliche Gegenstände aufzubewahren und zu präsentieren. Sie machten sich ans Suchen (nicht ohne Nea einen verwarnenden Blick zu zuwerfen). Obwohl er viel zu klein war für eine Rüstung, nahm sich Thalia einen kleinen Rucksack zur Hand. Von seinem Gewicht her zu urteilen musste er leer sein, aber sie griff trotzdem hinein. Mit erschrockener Mine zog sie eine Axt heraus! Sie sah sich um, stellte fest, dass sie keiner beobachtete und ließ sie schnell wieder in den Beutel zurück rutschen.
„Für was sind denn die ganzen Fläschchen da?“, fragte Sadira, die vor einer geöffneten Kommode hockte, die allerlei bis zum Rand mit bunten Flüssigkeiten gefüllte Glasflaschen zum Inhalt hatte. „Für alles Mögliche!“, rief André aus der Ecke, „Aber ich glaube, dass sie eh nicht mehr wirken. Ich sollte sie mal wegschütten. Obwohl...“ er bahnte sich über ein paar Kisten den Weg zu ihr um doch ein paar Fläschchen einzustecken. Nea öffnete eine Truhe, die sie wie magisch anzog.
„Bingo!“, murmelte sie, als es ihr Golden entgegen strahlte. Zusammen mit einem seltsamen Stein und einem Spiegel lag eine goldene Harfe auf rotem Samt darin. Sie war nicht sehr groß, so dass sie sie aufhob. Ein Prachtstück, bestimmt wertvoll. Die Diebin musste gleich eine Saite anzupfen.
„Vorsicht...“ Sie schreckte herum. André stand auf einmal hinter ihr. „Man sollte nicht so leichtsinnig auf dem Saiteninstrument der Winde spielen. Am Schluss ruft man noch die Elemente herbei... Wir legen das lieber wieder zurück.“
„Seht mal!“, rief Adarwen zwischen zwei Truhen hervor, „Die sieht doch fast so aus wie Sadiras bluewalker, oder?“ Sie hob eine Hellebarde hoch, deren Klinge zu knistern begann. „Mein Blitzewerfer!“, freute sich André. Anscheinend erinnerte er sich jetzt wieder, dass er die Rüstung zusammen damit verstaut hatte und eilte herbei. Thalia wurde immer schockierter. Der Kerl hatte ja ein ganzes Waffenarsenal hier oben! (in einem anderen Beutel hatte sie einen Morgenstern und zwei Säbel gefunden)
„Vielleicht sollte ich die auch gleich mitnehmen.“ Er nahm Adarwen die Hellebarde ab und wandte sich einer Truhe zu. Als er sie öffnete, kam eine ganz und gar grüne Lederrüstung zum Vorschein, daneben lag ein Umhang zusammengefaltet. „Halte mal bitte.“, sagte er und drückte Adarwen die Rüstung in die Hand. Sie war ja ganz leicht...

Aus André in Ritterrüstung wurde also nichts. Stattdessen stand er in dieser Grünblattlederrüstung (wie er sie nannte) und einem Elfenumhang neben ihnen am See von Loch Ness und hatte dazu noch dieses Monstrum von einer Hellebarde in der Hand. Nicht, dass er nicht gut darin ausgesehen hätte (André sieht in allem gut aus – ich hoffe, ich muss euch das nicht beweisen), es war nur ungewohnt. Sie waren nicht als die ersten am See angekommen. Vor ihnen waren schon Unzählige da gewesen und Unzählige kamen noch nach ihnen. So warteten sie in der warmen Morgenluft, bis um Punkt neun Uhr etwas auf dem See zu erkennen war: eine Seeschlange, die immer näher kam. Auf ihrem Rücken stand ein kleiner Mann. Als sie das Ufer erreicht hatten, verneigte er sich und begrüßte alle Teilnehmer: „Guten Morgen. Bitte folgen sie mir unauffällig!“




Tag 1 –Welcome


Ein Murmeln ging durch die versammelte Teilnehmerschar. Die Ritterinnen sahen sich gegenseitig an, eine so ungläubig wie die andere. Ohne weitere Erklärung kehrte der kleine Mann ihnen wieder den Rücken zu, immer noch auf dem Kopf der großen Seeschlange stehend. Die gab einen zischelnden Laut von sich, kniff die Schlitzaugen zusammen und tauchte unter. Das Murmeln der Menge verwandelte sich in ein Raunen.

„Nun, meine Damen“, sagte André und trat vor, „sagte er nicht, wir sollten ihm folgen?“ „Sollen wir vielleicht tauchen?!“, schnaubte Lika und stützte die Arme in die Seiten. „Naja...“, erklärte André, „Ich dachte eigentlich, wir hätten eine Hexe dabei...“ Er linste linkisch grinsend zu Thalia herüber. Sie stand grübelnd da und starrte auf den See. Dann nickte sie und meinte: „Überlasst das mir!“ Die Hexe trat direkt an das Wasser und schloss die Augen. Als sie dann ihre Arme zu den Seiten hin ausstreckte, bildete sich eine Luftblase um sie herum. Zufrieden öffnete Thalia ihre Augen wieder und meinte: „Worauf wartet ihr noch? Kommt rein!“

Adarwen sah sich nach links und rechts um. Auch andere Gruppen hatten sich daran gemacht, eine magische Lösung für das nasse Problem zu finden. Nicht wenige benutzten solche Luftblasen.
„Diese Nachmacher!“, sagte Sadira verächtlich, als sie als letzte die Luftblase betrat, ohne dass letztere zerplatzte.
„Es ist eine reine Konzentrationssache.“, winkte Thalia ab, „Nichts wirklich Schwieriges.“ Dann waren sie ja jetzt in der Lage den See zu betreten. Es war wie eine U-Bootfahrt, nur dass man bei ihrem Fahrzeug einen Betrachtungswinkel von 360° hatte, wie in einem gläsernen Fahrstuhl. Schon bald war das Wasser gefüllt von lauter Luftblasen, wiederum gefüllt mit Menschen. Das Wasser war klarer als erwartet und irgendwo weit Vorne konnten sie noch den Schwanz der Wasserschlange sehen. Es war nicht leicht für Thalia sich auf ihr Ziel zu konzentrieren und gleichzeitig die Blase stabil zu halten, ohne sich von den Dingen um sich herum ablenken zu lassen. Gerade wurden sie zum Beispiel links von einer Gruppe überholt, die mit goldenen Waffen ausstaffiert und mit reichlich Schmuck behängt war. Es sah fast aus wie ein Familienausflug aus, auch Kinder waren dabei.

„Die müssen aber einen dicken Geldbeutel haben... Na, wär das nichts, Nea?“ Sadira drehte sich grinsend um, aber Nea war nicht da.
„Wo ist sie denn hin?“
„Hast du ihr nicht zugehört?“, stichelte Lika.
„Sie ist schon am Ufer verschwunden.“, wurde sie von Adarwen aufgeklärt, die die ganze Zeit aufgepasst hatte.

Die andere Blase hatte sie jetzt überholt. Ein kleines Mädchen, an der Hand einer erwachsenen Frau, hatte sich zurückgedreht und starrte sie an. Auch sie war reich geschmückt, aber auffälliger war der schwarze Abdruck auf ihrer Stirn, der aussah wie ein Blatt.

Auf einmal streckte das Mädchen die Zunge heraus.

„Diese Göre!“, empörte sich Lika, Sadira bähte zurück.
„Lass nur, das galt mir...“, winkte Thalia ab.
„Ach, wirklich?“
„Wirklich.“
„Das da vor uns ist eine alte Familie von Drachenjägern.“, sagte Adarwen, „Thalias Familie ist schon ewig mit denen im Clinch.“
„Ich hab mit denen bestimmt nichts am Hut.“, versicherte die Hexe.

Fängt ja toll an., dachte André.

Umso weiter sie kamen, desto klarer wurde das Wasser. Kleine Lichter trieben überall um sie und ließen die Luftblasen gespenstisch schimmern. Mit dem Licht wurden auch zwei große, weiße Säulen sichtbar, die den Torbogen hielten, damit der Durchgang nicht von den Felsmassen darum verschüttet wurde. Das war der Punkt, wo man sich ernsthaft fragen musste, ob das hier noch ein See war. Die Seeschlange verschwand im Durchgang, was hieß, dass sie ihr wohl oder übel folgen mussten.

„Seeungeheuer werden sich auf uns stürzen, Speere stoßen aus den Wänden hervor, doch wir weichen aus! Links – rechts, aber dann ist da dieser riesige Igelfisch, der -“
„Sadira!“, schnauzte Lika und die Kämpferin hielt in ihrer ausladenden Bewegung inne. André schob ihre Hand vor seinem Gesicht beiseite.
„Sei bitte so gut und HALT DIE KLAPPE!“ In diesem Moment wurde es stockdunkel, denn sie passierten gerade die zwei Säulen. „...und mach mal Licht.“ Sadira fühlte sich irgendwie ausgenutzt, aber gehorchte.

Der Durchgang stellte sich als enge, aber ungefährliche Röhre heraus, die nach kurzer Zeit steil nach oben führte. Sie endete in einem Wasserbecken, das sich in einer großen Halle befand. Die Luftblase der Ritterinnen erreichte die Oberfläche mit drei anderen gleichzeitig. Um sie herum schwamm die Seeschlange ihre Kreise. Sie schafften es an den Rand des Beckens, dann zerplatzte die Blase und sie standen wieder an Land. Zeit sich in der großen Halle umzusehen.
„Eine alte Zwergenhalle...“, murmelte Adarwen und drehte sich auf der Stelle, um die Decke im 360° Rundblick zu betrachten. Die Wände waren genau so wie die Säulen, die die Decke stützten, aus weißem Marmor. Zahlreiche Runen waren eingemeisselt, keiner der Anwesenden konnte sie übersetzen. Die Zwerge waren schon lange ausgewandert und mit dem hellen Deckenlicht wirkte die Halle eher wie ein großes, exklusives Einkaufszentrum. Neben den Säulen standen Palmen in Kübeln und rote Banner zeigten das Logo des magischen Turniers. Das kleine Männlein war zu einer Gruppe junger Damen in Kostümen gegangen, die alle gespannt darauf warteten, ihren Job zu tun, nämlich die Gruppen einzuweihen. Es wurde auch langsam Zeit, denn der Platz wurde immer knapper, mit jeder Gruppe, die ankam.

„Willkommen in den Räumlichkeiten des Turniers des gemeinsamen magischen Reiches. Dürfte ich erfahren, wer sie angemeldet hat?“, begrüßte sie ihre Instrukteurin. André hob leicht grinsend seine Hand.
„Ah, Herr André Hibis, das genügt schon. Möchten sie erst einen großen Rundgang durch die Gebäude, einen kleinen, soll ich ihnen erst ihr Zimmer zuweisen oder wollen sie sich gleich ihre Nummer ziehen?“
„Ähhh...“
„Nummer ziehen!!“, platzte Sadira heraus.
„Wunderbar. Folgen sie mir!“ Mit einem Honigkuchenpferdegrinsen stakste sie auf ihren Pfennigabsätzen davon. Lika, die sich gerne noch die historischen Bauten angesehen hätte, warf Sadira einen sauren Blick zu. „Nummer ziehen...“, grummelte sie und schlurfte hinterher.

Es war nicht zu übersehen, dass offensichtlich viele, teils sehr seltsame Gestalten, Adarwen zu kennen schienen. Andauernd verfolgten sie Blicke, es wurde gewunken oder zugezwinkert. Adarwen wurde schon richtig verärgert.
„Sag mal... woher kennst du die alle?“, wunderte sich Thalia, die eigentlich geglaubt hatte, ihre Freundin zu genüge zu kennen.
„Meine Kontaktmänner.“, zischelte Adarwen.
„Die sollen damit aufhören, die Leute schauen ja schon misstrauisch.“ Sie fingerte nervös an ihren Ohrringen herum und fragte sich, woran es lag, dass all diese Personen sie wiedererkannten. Aber vielleicht lagen die Blicke auch nur daran, dass sie eine ziemlich skurrile Gruppe waren. Vorwiegend weiblich und die einzige männliche Person trug eine grasgrüne Lederrüstung. Dann kam auch noch Thalia dazu, die ihren blauen Phönix auf der einen, ihren Drachen Arco (geschrumpft) auf der anderen Schulter trug. Ihre Laufechse hatte sie zu Hause bei Grischmo lassen müssen. Sie machte sich schon die ganze Zeit Sorgen um sie. Unberechtigt. Im Moment wuselte sie gerade über Grischs Labortisch und warf die ganzen Apparaturen um, an denen er schon längere Zeit geforscht hatte.

Die Losziehung war nicht weiter spektakulär. Durch eine gezogene Nummer wurde man seinem Gegner in der Vorrunde zugeteilt, um Chancengleichheit zu schaffen.

Als André, Sadira und Thalia ihre Nummern gezogen hatten(für die Schattenfuchsjagd gab es keine Vorrunde, dafür wussten Lika und Adarwen immer noch nicht richtig, was sie erwartete), stand ihre Willkommenstante wieder bereit.
„Ich werde sie jetzt zu ihren Unterkünften führen, bitte folgen sie mir!“ Und beim Reden brachte sie kaum die Zähne auseinander. Die Karawane zog weiter. Sie schlängelten sich durch die Grüppchen hindurch und versuchten dabei denen, die sehr nach Barbaren (erkennbar an Bartwuchs und großer Zweihänderaxt) aussahen, nicht zu Nahe zu kommen. Von der Halle mit den Anmeldungsschaltern aus (hinter der Empfangshalle gelegen) führten rechts und links Gänge in die weiteren Räumlichkeiten. Sie nahmen den linken und sofort begann ihre Führerin mit ihrem Redeschwall. „Unser Gebäude umfasst eine Fläche von 120 km², davon sind 100 unortbar. Der Gebäudekomplex umfasst fünf Stockwerke, zwei unter und drei über der Erde. Wir befinden uns im Moment im zweiten Untergeschoss. Die Räume in diesem Gang sind Konferenz- und Sitzungsräume, Gemeinschaftsräume...wir betreten jetzt den Teil blablabla...“

Sadira schaltete ab. Sie würde so wieso später eine der anderen fragen.

Im ersten Untergeschoss befand sich dann ihr Zimmer, das eigentlich ziemlich geräumig war. „Bitte erscheinen sie in zwei Stunden zu ihren Kämpfen, über die Aufstellung können sie sich in einer Stunde in Halle zwei informieren. Das war‘s.“ Zum Glück, dachte Sadira.
„Gibt es noch etwas, das sie wissen wollen?“ Nein, verzieh dich, Ziege.
„Ähhm... nur ein Zimmer?“, fragte André vorsichtig.
„Leider ja.“, sagte die Dame und klang unecht, dann schloss sie einfach die Tür. Der Halbelf blinzelte perplex. Er saß in einer Zwickmühle. Seine guten Manieren verbaten es ihm, im gleichen Raum mit so gut wie unbekannten Frauen zu übernachten. Er sah in die Runde.
„Tut uns ja sooo leid, Andrélein, aber du wirst wohl mit uns Vorlieb nehmen müssen...“, kam es von Thalia.
„Ähm, nein, so hab ich das nicht-“
„Hier gibt es nicht so viel Luxus wie beim ASN, da können wir nichts für dich machen.“, stimmte Adarwen mit ein.
„Selbst für eine herausragende Persönlichkeit wie dich nicht.“, ergänzte Sadira. Lika schwieg einen Moment, dann sagte sie:
„Leute... wir haben nur vier Betten...“



Thalias erste Runde...


Es war eine äußerst ungünstige Verteilung der Kampfplätze: Die magischen Vorkämpfe fanden unten im zweiten UG statt, Lanzenreiten logischerweise draußen im Freien und die normalen Kämpfe auf dem Dach. Adarwen und Lika saßen in der Zwickmühle.
„Also, meine Kämpfe müsst ihr euch nicht anschauen.“, beteuerte Sadira und knackte mit den Fingern. Der Kommentar wäre nicht nötig gewesen, keiner der Anwesenden zweifelte daran, dass sie es in die Endrunde schaffen würde. Da André erst in einer Stunde dran war (und eh aus Bescheidenheit verneint hätte), begleiteten er und die beiden anderen Thalia zu ihren Kämpfen. Zum ersten Mal passierten sie eine Garde Echsenmenschen, die das Sicherheitspersonal darstellten und am Eingang der Austragungshalle aufgestellt waren. Lika war begeistert, sie hatte schon viel von diesen Wesen gehört.
„Es ist einfach eine faszinierende Spezies! Magie kann ihnen nur in rauen Mengen etwas anhaben...“
„Also genau das, was es hier gibt.“, warf Thalia ein.
„Außerdem haben sie viel mehr Kraft als ein normaler Mensch. Sie sollen ja einen guten Intellekt haben... und hören...“, flüsterte Lika, „...können sie über die Haut.“

André musterte die Wächter mit Unbehagen.
„Naja... sie können aber auch ganz schön herrisch sein...“, murmelte er und erntete verständnislose Blicke.

Sie betraten die Halle und mussten feststellen, dass diese schon ziemlich voll war. Überall um die Ringe hatten sich Gruppen gescharrt, Schiedsrichter in roten Roben liefen auf und ab. Auf dem großen Banner, das an der Wand hing, stand: „Harmonie herrscht“.
„Was soll das bedeuten?“, wunderte sich Adarwen.
„Das heißt, dass es auch Schwarzmagier hier gibt.“
„Schwarze Magie ist erlaubt?“, fragte Lika.
„Wenn es Teil deiner Kultur ist, ja.“, nickte Thalia. Als ein afrikanischer Medizinmann mit einer Voodoopuppe vorbeikam, verstanden sie.

„Mh. Jetzt stell dir mal vor, alle Schwarzmagier hier tun sich zusammen und greifen auf einmal die Wächter an...“, begann Adarwen zu phantasieren.
„Na dann würden sie aber ziemlich Probleme mit den guten Magiern bekommen... Ganz zu schweigen von den ganzen Paladinen, die ich hier schon gesehen habe.“, spann Lika weiter. Thalia schüttelte genervt den Kopf.
„Schaut mal!“ Sie zwinkerte mit den Augen, wie sie es tat, wenn sie etwas in Brand steckte. Nichts geschah. „Das hier ist ein Magie-leerer Raum. Zaubern geht nur im Kampfring. Außerdem nehmen nicht allzu viele Schwarzmagier Teil.“

„Schade.“, seufzte Lika. „Was ist daran bitteschön schade?“, zischelte Adarwen, aber Lika war abgelenkt, weil sich gerade Thalias erster Gegner auf der anderen Seite des Rings eingefunden hatte. Es war ein junger Magier, fast noch ein Kind. Seine zu große Robe und die Unsicherheit, die er in großen Maßen ausstrahlte, ließen ihn nun wirklich nicht gefährlich wirken. Dann entdeckte er Thalias Phönix und schaute ganz fasziniert.
„Ach Gottchen.“, seufzte Thalia, „Ich hasse es, wenn große Magiermeister ihre Lehrlinge mit vorschicken, um ihre Chancen zu erhöhen.“
„Naja, ich weiß nicht. Die, die harmlos wirken, sind doch die Gefährlichsten.“, grinste Lika. „Geh nicht immer von dir aus.“, sagten Thalia und Adarwen im Chor und sofort darauf ertönte der Gong. Sie hörten eine Stimme im Saal, die Schiedsrichter und Duellanten bat, in den Ring zu steigen. Thalia vertraute Adarwen Arco und Churel an und betrat den dunkelblauen Kreis, der auf den Boden gemalt war, gleichzeitig mit ihrem Gegner und dem Schiedsrichter. Sobald sie alle im Ring standen, wurde die Barriere darum aktiv. Etwas, das aussah wie kleine silberne Kometen, zog ununterbrochen um sie ihre Kreise.

„Alle Zuschauer werden gebeten, sich vom Ring fernzuhalten!“
Thalia hörte nicht mehr auf Stimmen von außen. Die Konzentration, die sich in einer ernsten Situation bei ihr einstellte, war eine ihrer größten Stärken und unabdingbar für eine gute Hexe. Es war ihr klar, dass man einen guten Magier nicht an Äußerlichkeiten erkennen konnte, aber sie konnte das Herz des Jungen bis hierher schlagen hören und das war keine gute Voraussetzung für ein Duell.

„Sei nicht zu grob zu ihm!“, rief Lika ihr von draußen zu und der Junge schaute noch entsetzter. Na toll. Thalia ballte ihre Hände zu Fäusten, dann entspannte sie sie wieder zur Lockerung. Der Schiedsrichter räusperte sich. Wegen ihr konnte es losgehen.
„Seid ihr bereit?“ Sie antwortete mit einem klaren „Ja!“, der Junge nickte leicht gequält. Thalia fragte sich so langsam, ob der junge Magier nur mitmachte wegen irgendwelchem Ehre-Geschwafel seiner Familie.
„Dann beginnt jetzt das Duell.“
Thalia hob langsam die Arme und hielt sie über Kreuz vor ihrer Brust, die Handflächen ihrem Gegner zugekehrt. Eine klare Abwehrposition.
„Fang an.“, ließ sie ihm den Vortritt. Der Magierlehrling wusste nicht so ganz, was er damit anfangen sollte, aber dann hatte er sich entschieden und hob ebenfalls seine Hände. An der Art, wie er sie für seine Zauber bewegte, konnte Thalia ablesen, wie weit er mit seinen magischen Kräften gediehen war. Sie benutzte Worte und Arme nur zum Abwehren oder wenn sie einen Zauber noch zusätzlich stärken wollte, denn es war für ein geschultes Auge sofort erkennbar, was man vorhatte, wenn man wild durch die Gegend gestikulierte.

„Brenne!“ Sie war doch ganz überrascht, als er sie mit Feuer angriff, weil Feuer bei weitem am schwersten zu kontrollieren war. So ganz funktionierte es auch nicht. Anstatt dass ein Kegel aus Flammen aus seinen Händen kam, schossen Feuerkugeln hervor. Sie rasten ohne Kontrolle auf Thalia und den Schiedsrichter zu, prallten an ihrem Schild ab und knallten mit voller Wucht gegen die magische Barrieren. Der Magierlehrling duckte sich, als ein Feuerball auf ihn zuschnellte und knapp über seinem Kopf verpuffte. Schwarzer Rauch stieg vom Ring auf, der alle darin zum Husten zwang. Die Zuschauer sahen gar nichts mehr. Thalia schüttelte den Kopf. So ging man wirklich nicht mit Feuer um. Sie blinzelte und mit einem Rauschen loderte zu Füßen ihres Gegenübers eine Stichflamme auf, die seine Robe in Brand setzte. Er schreckte zurück und stolperte aus dem Ring.

„Die Siegerin ist die Hexe im weinroten Kleid.“
„Ich heiße Thalia!“, schnauzte die strahlende Gewinnerin den Schiedsrichter an, „Und das ist kein Kleid! Sind sie blind?!“ Tatsächlich trug sie einen langen, schweren Rock und ein Oberteil mit Trompetenärmeln, das vorne geschnürt war. Außerdem hatte sie reichlich Ruß im Gesicht. André, Adarwen und Lika am Rand klatschten begeistert.

Sich den Schmutz von der Kleidung klopfend stieg Thalia aus dem Ring. Gerade eilte ein Helfershelfer herbei, um die Flammen zu löschen, doch auf den Befehl der Hexe hin verschwanden sie von selbst. Der blaue Phönix erhob sich von Adarwens Schulter und nahm wieder seinen Stammplatz ein.
„Unspektakulär, aber das war’s.“, verkündete Thalia mit einem Victory-Zeichen.
„Mh... scheint so, als wolle er noch ein Interview.“, meinte Lika vergnügt und nickte in Richtung Zauberlehrling, der ganz alleine da stand und gar nicht enttäuscht schien. Er betrachtete sie mit glänzenden Augen. „Entschuldigt mich mal kurz...“, bat Thalia auf einmal ganz ernst. Das war kein Problem, denn André musste jetzt so wieso zu seinen Vorprüfungen und Adarwen und Lika... wollten eigentlich mit.
„Na schön...“, seufzte Thalia, „aber kommt noch mal vorbei, wenn’s geht.“


...und wie sich die anderen so schlagen


Es tat gut, wieder an der frischen Luft zu sein. Herrlichster Sonnenschein ließ die Banner in den leuchtendsten Farben strahlen, das Gras duftete und Pferdewiehern lag in der Luft. Der Austragungsort selbst war eine lange Bahn, auf der die zwei Gegner, durch eine Holzlatte von einander getrennt, aneinander vorbei reiten mussten. Die Tribünen zu beiden Seiten waren erst zur Hälfte besetzt, es war noch Zeit.

„Ich sollte mich einreiten.“, murmelte André und stapfte ohne weiteres los. Er wirkte weggetreten, schon seit sie wieder im Freien waren.
„Er ist ein bisschen aufgeregt.“, stellte Lika fest. Adarwen nickte. „Scheint so.“ Die Kämpfe waren eine ziemlich anonyme Sache. Auf den Rüstungen der Ritter waren zwar ihre Wappen abgebildet, aber da niemand ihre Namen ausrief und sie alle Helme trugen, brachte das recht wenig. Wer Wetten abschloss, musste höllisch aufpassen, dass er nicht aus Versehen auf den Falschen setzte.

Als André vor ritt und seine Lanze in Empfang nahm, wurde er von einigem Gelächter begleitet. Das lag unter anderem daran, dass ihn viele erkannten – als Sekretär, nicht als Ritter. Und seine leichte Rüstung unterstrich noch mal sein Warmduscher – Image.
„Du schaffst das!“, rief Lika ihm von der Seitenlinie zu, „Los, mach mit, Adarwen.“
„Bist du verrückt?!“ Als Spionin würde sie ganz bestimmt nicht die ganze Aufmerksamkeit auf sich lenken. André drehte sich verlegen von ihnen weg (das Gelächter begleitete ihn immer noch) und klappte sein Visier herunter.
„Den steckst du locker weg!!“
„Mh, der scheint aber irgendwie mehr Erfahrung zu haben...“, sagte Adarwen und betrachtete zweifelnd den Ritter, der auf der anderen Seite seine Lanze in Position brachte.
„Fall wenigstens nicht runter!“, fügte Lika hinzu (lautes Gelächter), als André losritt.

„Autsch...“ Ein Raunen ging durch die Menge. Von Andrés Lanze waren vorne nur noch Splitter übrig. Sie war an der Rüstung des anderen zerschellt. André ritt einen Halbkreis, der andere Ritter wurde von seinem Pferd am Steigbügel hinterher geschleift.
„Wusste ich doch, dass ihn das motiviert.“, nickte Lika mit einem breiten Grinsen zu Adarwen herüber, die nur zweifelnd eine Augenbraue hob.


Auf dem Weg zum Dach kam Lika so mancher humpelnde Krieger entgegen. Sie blickte (oder blickte lieber nicht) in lauter Gesichter mit blauen Augen, geschwollenen Lippen und blutenden Nasen.

Wirklich gute Zeichen.

Und als sie oben ankam und die Zuschauertribüne betrat, brach das versammelte Publikum in Toben aus. Nicht wegen ihr, wegen Sadira unten im Ring. Sie hatte einen weiteren grandiosen Sieg hingelegt und war in kurzer Zeit zum Liebling des Publikums geworden. Es war viel Publikum. Die ganze Dacharena war voll. Das Gejubel verebbte, als der nächste Kampf angesagt würde. Der Gewinner würde Sadiras nächster Gegner sein. Lika konnte sich den Kampf genau zwei Minuten lang ansehen, dann zwang sie ihr Magen, sich abzuwenden. Sie beschloss, ihre Freundin unten bei den Kämpferquartieren zu suchen. Ihr erstes Problem, die Wachechse beim Eingang der Räume, die nur für die Kämpfer da waren, trat einen Schritt beiseite, als sie vorbei wollte.
„Vielen Dank auch!“, murmelte Lika nur überrascht und die Echse züngelte „Hrrs-ssss!“ zum Gruß. Ihr zweites Problem war eine Massenkeilerei hinter der nächsten Ecke. Sie wurde schlichtweg ignoriert, aber sie kam nicht durch den Gang. Sie hatte keine Lust, unter die Axt dieser grobschlächtigen Männer zu kommen. Naiv, wie sie war, versuchte sie es mit Diplomatie.
„Eh... Leute? Könnt ihr euch nicht einfach vertragen?“ Sie glaubte, einen Knochen knacksen zu hören.
„Lass mich mal...“ Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter und drehte sich um. „Sadira... wo kommst du denn her?“
„Vom Klo. Auf der anderen Seite des Gebäudes. Die sind hier irgendwie frauenfeindlich...“ Sie verstummte beim Anblick der Schlägerei und schüttelte den Kopf.
„Diese Barbaren! Bloß, weil sie fest draufhauen können, denken sie, sie könnten hier punkten... HEY JUNGS!“ Alles verharrte in seiner Bewegung. Ein Helm kullerte zu Boden. Die versammelte Männlichkeit starrte Sadira an.
„Sadira-Boss!“, kam es wie aus einem Mund.
„Benehmt euch!“, sagte der „Boss“. Endlich kam mehr oder weniger geordnete Bewegung in den Haufen.
„Du hast die ja alle unter deiner Fuchtel!“, lachte Lika, als sie mit Sadiras Tasche das Gebäude verließen. Heute wurde nicht mehr gekämpft. Morgen, in der zweiten Vorrunde ging es weiter.
„Sie müssen noch eine Menge lernen, was Stil angeht, aber eigentlich sind sie ganz in Ordnung.“ Sie kamen dem Grasplatz näher, auf dem immer noch mit Lanzen geritten wurde. „Wie schlägt sich unser Sekretärchen?“
„So weit Adarwen und ich gesehen haben, ganz gut... Adarwen ist jetzt zu Thalia zurückgegangen. Alles geht irgendwie so einfach...“ Sie gingen an der Bahn vorbei, wo gerade ein völlig schwarzer Ritter einen anderen extrem unsanft aus dem Sattel hebelte.
„Der sieht ungemütlich aus...“, sagte Sadira und blieb fasziniert stehen. Lika zog sie am Taschengurt hinterher.

Die Ställe waren ebenfalls von Wachechsen bewacht, aber sie wussten anscheinend, wer befugt war und wer nicht, denn wieder einmal wurden sie durchgelassen. Sie hatten zwei Reihen Pferdehintern vor sich und am Ende des Stalls stand eine Schlange an Reitern, die sich in eine Liste eintragen ließen. André hatte das schon hinter sich und kam winkend zurück. Er ging ein bisschen komisch, aber er sah zufrieden aus.

„Und schon bin ich eine Runde weiter!“
„Dann sind wir schon mal zwei!“, grinste Sadira zurück.
„Lasst uns schnell zurückkehren, ich muss aus dieser Rüstung raus...“ Man sah es ihm an.


Also ging er schon einmal vor zu ihrem Zimmer und Sadira und Lika gingen Thalia und Adarwen abholen. Sie fanden sie, wie sie an einem Blumenkübel stand, wo Thalia gerade ihre Stiefel hineinleerte. Sie war klatschnass.
„Irgendetwas passiert?“
Thalia funkelte sie sauer an und antwortete nicht.
„Ihre letzte Gegnerin... hatte etwas gegen Feuer.“, sagte Adarwen und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ja... und?“
„Nichts, „ja, und“!“, sagte Thalia in scharfem Ton, „Ich bin weiter.“ Diabolisch grinsend fügte sie hinzu:
„Meine Gegnerin ist nicht so glimpflich weggekommen wie ich...“
„Aber hättest du dir was aufgespart, könntest du dich jetzt trockenzaubern...“, war Likas neunmalkluge Bemerkung.
„Entschuldige!“, grummelte Thalia, und schlüpfte wieder in ihre Stiefel,
„Aber zaubere DU fünf Stunden durch und hab dann noch Nerven, Wasser abzusaugen!“ Sadira warf ihr ein Handtuch aus ihrer Tasche auf den Kopf.
„Los, wir sind fertig hier...“

Auf dem Weg zu ihrem Zimmer kam die unauffällige Frage nach Nea auf, ob sie jemand gesehen habe... und auf einmal merkten sie... dass sie sie schon seit einem halben Tag nicht mehr gesehen hatten. Was vielleicht nicht aufgefallen war, weil es – normal war?

Als André gerade die Tür öffnete, als sie ins Zimmer wollten, war die Frage aber wieder ganz schnell vergessen.
„Wie siehst du denn aus?“ André verstand Sadiras Frage erst nicht. Verdutzt schaute er an sich herunter. Hemd, Fliege, dunkle Jacke, schwarze Hose, die Schuhe auf Hochglanz poliert... Stimmte doch alles!
„Was...?“ „Hast du heute noch was vor?“ Er schwenkte seinen Blick zu Lika herüber, die diese Frage mit unschuldigem Blick gestellt hatte.
„Ja, natürlich – zur Eröffnungsfeier.“

Es gab eine Eröffnungsfeier?!! Wieso hatte ihnen das niemand gesagt?!
„Was denn? Steht doch alles im Programm!“ Er zog eine kompakte Broschüre aus seiner Tasche hervor. Es gab ein Programmheft?!

„Ehm... ich hab’s gewusst...“, sagte Adarwen leise und hob vorsichtig die Hand. Danke auch, dass du das für dich behalten hast!

„Ich an eurer Stelle würde mich beeilen. Es geht in...“, André sah hastig auf seine Armbanduhr, „...na...20 Minuten los.“ Umzieh – Marathon – Start!


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