1 Willkommen daheim

2 Diebin vermisst

3 Thalia spielt Märchentante

4 Kriegsrat

5 Post ist da!

6 Callas wilde Meute

7 Kampf mit Calla

8 Probleme mit dem Amt?

9 Bürokratie an die Macht!

10 André Hibis


Willkommen daheim

Es regnete in Strömen, aber der Einzige, der nass wurde, war der große Drache, unter dessen Flügeln sie sich mit ihren Koffern und Taschen untergestellt hatten. Ein Blitz ganz in ihrer Nähe erhellte kurz die alten Ruinen vor ihnen. In der Dunkelheit gafften sie unzählige schwarze Löcher im Mauerwerk an. Die herumliegenden Steine waren mit vor Nässe glänzendem Moos überwachsen. Sadira seufzte.
„Was hast du dir da wieder andrehen lassen?“
„Du hast dafür doch hoffentlich nicht auch noch etwas bezahlt?“, fauchte Thalia von der Seite. Adarwen trat jetzt mit einem Schirm unter den Schwingen des Drachen hervor um das verfallene Mauerwerk genauer zu begutachten.
„Naja, wir können sicher noch etwas daraus machen, mit ein paar Vorhängen, Bildern und Teppichen hier und da...“
„Hier fehlt weiblicher Schliff!“, nickte Nea.
„Du meinst, wie zum Beispiel...“
„...eine Tür?“, beendete Sadira für Thalia den Satz. Lika fuhr sich verlegen durch die Haare. Die Vier konnten einen richtig fertig machen...
„Ich dachte, eine Burg ist doch wie gemacht für Ritterinnen. Lasst uns erst einmal rein gehen!“ Sie winkte die anderen hinter sich her.
„Rein gehen“, schnaubte Sadira verächtlich, als sie Lika durch die kläglichen Überreste eines Torbogens folgten, „wie kann man da "drinnen" sein? Das Teil hat noch nicht mal mehr vier Wände und ein Dach!“


Adarwen schloss den Schirm, während sie sich staunend umsah. „Tretet euch bitte die Schuhe ab, die Garderobe ist gleich hier links...“

Von wegen, keine Decke! Sie war nur in gewaltiger Höhe, so wie die ganze Eingangshalle eben riesig war. Der glatte, saubere Fußboden war mit schwarzen und weißen Karos geplättelt und mit einem langen, nachtblauen Teppich bedeckt, der von der schweren, zweiflügeligen Eingangstür bis zum Brunnen in der Mitte der Halle führte. Auf dem Marmorrand des Brunnens lagen samtene Sitzkissen im Farbton des Teppichs. Eisklares Wasser durchbrach plätschernd die Stille auf seinem Weg aus den Mäulern von Gargoyles in das Becken, welches ein Mosaik am Boden hatte. Kein protziger Kronleuchter hing von der Decke, sondern kunstvoll in Stein gemeiselte Windenranken trugen die milchigen Fächerleuchten an der Wand, die den Raum in ein angenehmes Licht tauchten.
„DAS ist Magie!“ Mit den Schuhen in der Hand beschritt Thalia den Teppich um sich auf den Brunnenrand zu setzen und weiterhin die tiefblaue Decke zu betrachten. Blinkten daran kleine Sterne?
„Gefällt's euch?“, fragte Lika vorsichtig. Auch der Drache streckte seinen Kopf zur Tür herein.
„Macht von innen mehr her als von außen...“, musste Nea zugeben.
“Wir sollten unser Gepäck zuerst hier abstellen und uns das Haus ganz ansehen!“, schlug Adarwen vor. Der Drache an der Tür nieste.
„Du Armer!“ Thalia stand schleunigst auf und rannte zu ihm zurück um ihm über die Schnauze zu streicheln.
„Wo stellen wir dich unter?“ Dabei sah sie Lika abwartend an. „Wir müssten auch eine Scheune haben... wartet ihr drei solange, bis wir wieder zurück sind, ja?“ Sie zog sich ihre Kapuze auf und zog hinter sich die Tür ins Schloss. Sehr praktisch. Man brauchte keinen Schlüssel, musste noch nicht einmal die Tür öffnen, wenn man herein wollte. Aber nur, wenn man Ritterin war. Ansonsten stand man einfach nur zwischen einem Haufen Steinen, einer Illusion, die die wahre Burg verbarg.

„Verdammtes Mistwetter! Wenn es hier das ganze Jahr so ist, ziehen wir um!“, kündigte Thalia an. Mit dem Drachen im Schlepptau folgte sie Lika, die unschlüssig vor einem Steinhaufen stand. Wo waren im Grundriss noch mal die Ställe eingezeichnet?
„Mach hinne, Lika!“
„Ja, ja! Hilf mir eben wenn’s schneller gehen soll!“
Okay, sie hatte keine Ahnung, so viel hatte Thalia jetzt gemerkt.
„Wo sind die Ställe normalerweise in einer Burg?“, half die Hexe nach.
„Mal überlegen...“, Lika zählte an ihren Fingern ab. „Äußerer Zwinger, innerer Zwinger, vorderer Hof mit Wachposten, Gebäude des Adels, Burgfried, hinterer Hof... ah, hinterer Hof! Da lang!“ Sie zeigte undefinierbar irgendwo in die dunkle Nässe vor sie. Zum Glück war der Eingang zu den Ställen direkt neben einer Ulme. Also leicht zu merken. Es war schon seltsam. Betrat man das Burggelände nicht durch einen der magischen Zugänge, hatte man nur braches Land vor sich. Sobald man aber drin war, konnte man auf eine prächtige Burg und einen noch prächtigeren Garten blicken. Weil sie nicht noch einmal durch den Regen laufen wollten, nahmen sie einen Gang zurück zu den anderen. Lika öffnete die Tür links in der Halle. Sie standen immer noch da und warteten. Alle vier.

Vier?! Ungläubig lief Thalia auf diese unbekannte Person in Mantel und Kapuze zu und drehte sie an der Schulter herum. Sie musste feststellen, dass sie ihr doch nicht so unbekannt war.
„Grischmo?!“
Der Katzenohrige grinste sie verlegen an und entblößte dabei einen spitzen Eckzahn, der hell vom Rest seines braunen, felligen Gesichtes hervorstach. Katzenohren und Fell am ganzen Körper waren die zwei Merkmale, die einem sofort an einem Shandranen ins Auge stachen. Wenn du noch nie etwas von diesen Wesen gehört hast, keine Sorge. Sie leben normalerweise in Subuniversen und haben auf unseren Ebenen nichts zu suchen. Dass dieses Exemplar trotzdem unter den Ritterinnen weilte, war auf einen Umstand zurückzuführen, den man allgemein eigentlich nur als riesigen interdimensionären Murks bezeichnen konnte und man konnte für das Weiterbestehen einer stabilen, bewohnbaren Welt nur hoffen, dass sich so etwas niemals wieder wiederholte!

Grischmo aus dem Volke der Shandranen wurde sehr leicht verlegen. Dann verdrehte er die Wörter beim Sprechen, wenn er überhaupt etwas heraus bekam.

„Was machst DU hier in der Ritterinnen WG?“

„Ehm....“

Das war‘s auch schon.
„Ich muss zugeben, das hatte noch nicht einmal ich herausgekriegt“, sagte Adarwen, die Spionin war. Es gab nur Wenige, bei denen Informationen vor ihr sicher waren, eine davon war die (Meister-)Diebin Nea.

„Wir brauchen doch jemanden, der unseren Hof kehrt,“

Etwas ruppig wuschelte Sadira Grischmo durch die Haare.

„Ehm...“

Grischmo hatte den besten Text überhaupt.

„Können wir dann?“ Nea wippte ungeduldig auf ihren Fußballen auf und ab.
„Von mir aus gerne!“
Lika spielte Fremdenführerin. Gerade, als sie an der großen Tür gegenüber angekommen waren, raffte Grischmo (sie hatten ihn beim Gepäck stehen gelassen) sich auf und rief: „Ehm... Halt!“ Verwundert wandten sie sich um.
„Würde ... mein Gepäck nicht... ich.... stehen lassen, draußen hier...“ seufzend lief Sadira zurück.

„Pelzohr, es ist ja völlig unmöglich etwas zu verstehen, von dem, was du sagst!“

Betreten sah der Shandrane zu Boden.

„Ganz ruhig, wir sind doch alle ganz nett.“

Thalia räusperte sich.

„...fast alle“, verbesserte Sadira sich. Grischmo machte sich jetzt anders verständlich. Er zeigte auf...

„Der Brunnen?“

Er schüttelte den Kopf.
„Gargoyles. Sie wachen auf um Mitternacht.“

Die anderen applaudierten. „Das war ein vollständiger Satz!“, bemerkte Adarwen bewundernd. Jetzt verstand auch Sadira.

„Och, Grisch', wir wollten unser Gepäck nicht hier stehen lassen – das solltest du eigentlich tragen...“

Ungläubig zählte das Pelzohr sechs Koffer, drei Taschen und vier Seesäcke. Dazu kamen noch die Vogelkäfige, in denen Eulen und ein Phönix saßen.
„Ein Scherz.“ Sadira packte ihr Zeug. „Lass nur.“, meinte Thalia, „Ich mach das!“ Wozu hatte man schließlich Zauberkraft? Um schweres Gepäck vor sich herschweben zu lassen, zum Beispiel. Lika hatte gar nicht gewusst, dass die Gargoyles echt waren. Weil sie nicht noch andere Überraschungen riskieren wollte, bestimmte sie einfach Grischmo, der zwei Wochen Probewohnen musste - ähm DURFTE, zu ihrem Führer. Mit einem hoch erhobenen Armleuchter in der rechten Hand ging er voran durch Türen, Korridore und Stockwerke, über Treppen und Brücken und machte ab und zu Kommentare zu den Zimmern.
„ Hier gibt es dreizehn Badezimmer. Aber ich würde euch empfehlen nur zwölf zu benutzen. Man weiß hier nie, welche Flüche man auf sich zieht. Ich bin noch am Ausprobieren und Experimentieren.“ Die Scheu war verschwunden. Über seine Arbeiten, sein Labor und die Chaoslehre (frei nach Hagidian Bukka, Chaologe) konnte er stundenlang reden. Aber jetzt wurde er unterbrochen.
„Was ist das??!“, brachte Nea heraus. Sie zeigte auf kleine, silberne Bäumchen, die aus dem Fußboden des Ganges wuchsen. „Wir nähern uns dem Gewächshaus... Achtung!“ Sie mussten sich ducken, weil ein kreischender Ara dicht über ihren Köpfen hinweg flog. „Das ist noch gar nichts gegen die Fledermäuse. Die sind eine Plage!“ Tatsächlich. Eine halbe Stunde und drei Fledermausschwärme später waren alle in Zimmern untergebracht. Um den Rest ( und das Geflügelproblem) würden sie sich morgen kümmern. Jetzt hieß es erst einmal: schlafen.

Aber irgendwie viel zu kurz.


Kein einziger Sonnenstrahl war durch die Fenster in Adarwens Zimmer gekommen, als sie ein stetiges blechernes Geräusch auf dem Gang draußen aus ihrem Traum riss. Man hatte sie doch wohl nicht entlarvt? (Als Spionin lebte sie in ständiger Angst und Bereitschaft , dass man sie entlarven könnte.) So leise es ging, riss sie die Zimmertür auf. Sadira rannte mit einer Pfanne, auf die sie mit einem Kochlöffel schlug, auf dem Gang herum. „Guten Morgäään!“, schalmeite sie Adarwen entgegen und machte sich aus dem Staub. Während Sadira weiter wuselte, wurde das immer wiederkehrende >>Klong<< der Bratpfanne, das sich so langsam in Adarwens Gehirn einzubrennen schien, immer leiser. Sie vermutete, dass Sadira weiter zog um die anderen zu wecken. Sie taten ihr irgendwie Leid.

„Soll ich dich in 'ne Kröte verwandeln, oder was?!“ Sadira wusste gar nicht, was Thalia denn hatte... Wutschnaubend nahm die Hexe ihr die „Trommel“ und den Löffel weg und warf sie kurzerhand aus dem Fenster. „Au! Verdammt!“ Der Aufschrei kam aus dem Garten ( drei Stockwerke unter dem eben erwähnten Fenster). Neugierig lehnten sich die zwei Ritterinnen über die Brüstung. Unten auf einem gepflasterten Sitzplatz stand Grischmo mit einem Besen in der Hand und rieb sich den schmerzenden Kopf. „Habt ihr da eben diese Pfanne runtergeworfen?“ Der Löffel steckte im Salatbeet. Gerade als Thalia den Mund zu einer Lüge öffnen und Sadira alle Schuld auf sie schieben wolle, öffnete sich auf der anderen Seite des Hofes ein Fensterladen und Lika erschien im Rahmen.
„Ihr seid ja alle schon wach!“, rief sie verwundert.
„Ja...“, knurrte Thalia.
„Wie wäre es jetzt mit einem schönen Frühstück?“


Diebin vermisst


Inzwischen ging auch schon die Sonne auf. Seltsamerweise schien es ein sonniger Tag zu werden. War das etwa der Grund, weshalb Nea nirgends zu finden war?
„Das gibt’s doch nicht!“, seufzte Sadira. „Weiß niemand, wo ihr Zimmer ist?“ Sogar Grischmo schüttelte den Kopf. „Also da, wo Sadira heute morgen Krach gemacht hat, brauchen wir nicht mehr zu suchen.“ Auf Thalias Kommentar sah Sadira sie feindselig an. Es wurde Zeit, dass jemand einen sinnvollen Vorschlag machte, Likas „Im Laufe des Tages wird die eh auftauchen“ war nicht zu gebrauchen.
„Aus eigener Erfahrung würde ich im Keller suchen.“ Danke, Adarwen!
„Viel Spaß...“ Grischmo war dabei, sich zu verdrücken. Sie waren aber noch nicht mit ihm fertig...

Mit einem fünfarmigen Armleuchter und sehr viel Unbehagen stieg er die Nordtreppe in das dunkle Labyrinth, das ihr Keller war, herunter. Die Südtreppe wäre ja noch gegangen, er hatte ja auch sein Labor im Keller, aber die Nordtreppe...
„Stell dich nicht so an!“, wurde er von Sadira angemotzt, die unmittelbar hinter ihm lief. Plötzlich wurden die Kerzen von einem auf einmal aufkommenden Windstoß ausgeblasen. Sie standen im Stockdunkeln.
„Nie ist ein Atlanter da, wenn man mal einen braucht!“, meckerte Sadira und gab mal wieder -für die anderen – nur unverständliches Kauderwelsch von sich, sie war mit Grischmo zusammengestoßen und alle anderen waren auf sie aufgelaufen. Jetzt lagen sie am Fuße der Treppe und rappelten sich wieder auf. „Was redest du denn da? Wir brauchen eine Hexe – und wir haben eine Hexe!“ Durch die Beschwörung einer kleinen Flamme entzündete Thalia die Kerzen (die nicht abgebrochen waren) wieder.
„Gut, gehen wir... weiter...“ Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, setzte Grischmo seine Füße auf den feuchten Boden aus Wackersteinen. Immer wieder führte von diesem Gang ein weiterer, noch dunklerer Gang nach rechts oder links ab. Der Shandrane wagte es gar nicht erst einen Schritt hineinzumachen.

„Lika, hör auf zu summen, das klingt ja wie Trauergesang!“

„Das bin ich nicht!“, versicherte sie Sadira. O-oh...

Alle standen da und lauschten. Wie von weit her wurden wimmernde Klänge zusammen mit einem eiskalten Luftzug her geweht. Versteinert wagte es keiner sich zu rühren. Grischmo hatte keinerlei Lust auch nur noch einen Schritt in die Richtung dieser unheimlichen Geräusche zu machen. Sie alle wussten nämlich: Es ist NIE der Wind! In jedem Horrorfilm sagt einer „Es ist nur der Wind...“ Aber – er ist – es – nicht! (verdammt noch mal!)
„Der Makler hatte eigentlich „leer stehend“ behauptet...“, wunderte sich Lika. Sie fasste sich ein Herz, nahm Grischmo den Armleuchter ab und führte sie weiter. Sie kamen an einer Gittertür vorbei. Genau als Adarwen skeptisch in die Düsternis dahinter starrte, durchbrach ein abscheulicher Schrei daraus das Wimmern, das bis dahin immer lauter geworden war. Auf einmal rannten sie los. Daran, dass sie an dieser Tür auch wieder vorbeikommen mussten, um wieder hoch zu kommen, wollte niemand denken. Hinter einer Kurve machten sie Halt um nach Luft zu schnappen.
„Langsam bezweifle ich wieder, dass Nea hier eine Nacht verbracht hat...“, japste Adarwen. Nicht nur sie tat das...
„Grischmo, lass meinen Arm los, es wird dich schon nichts fressen!“, knurrte Thalia und war kurz davor ihm eine zu verpassen...
„Spinn ich, oder ist da vorne Tageslicht!“ Sadira sah angestrengt in die Ferne. Um diese Vermutung überprüfen zu können, löschte Lika die Kerzen. Tatsächlich. Als sie dort ankamen, stellte sich heraus, dass das Licht aus einer kleinen Luftnische kam, die in der Decke eingebaut war um eine Wendeltreppe zu beleuchten.


Wenn ihr mich sucht, ich bin auf dem Dach,

Nea.

Ein Zettel lag auf der untersten Stufe, mit dieser Nachricht.
„Erschießt mich“, seufzte Sadira. Exakt. Die Wendeltreppe führte sechs Stockwerke hinauf. Oben auf dem Dach hatten sie auf dem kleinen Vorsprung kaum Platz und der Wind blies ganz schön: Ein weiteres Stück Papier flatterte unter einen Dachziegel geklemmt fröhlich vor sich hin.
„Ich ahne es!“, seufzte Sadira.

Habe Hunger bekommen. Seht einfach auf der anderen Seite nach unten.


„Ich werde sie nicht umbringen!“, sagte sich Thalia immer wieder, als sie über das Dach kraxelten um auf der anderen Seite zu entdecken, dass Nea in achtzehn Metern Tiefe im Garten saß und Kaffee trank. Sie winkte. Das war zu viel. „Guten Morgen, habt ihr etwa alle nach mir gesucht?!“

Kurze Stille.

„Ach.... nein“, antwortete Thalia nicht ganz wahrheitsgemäß. Während des Frühstücks wurde das Thema unter den Tisch gekehrt. Nur Adarwen fragte noch einmal nach, wo Nea die Nacht verbracht habe, woraufhin die nicht antworten wollte. Es blieb ein ewiges Geheimnis. Ansonsten unterhielt man sich über alles Mögliche.
„Seto...“
„...Posta!“
„Wovon habt ihr es gerade?“
„Nix!“
„Wofür ist die weiße Soße hier?“
„Weiß nicht...“
Grischmo hielt sich raus, las Zeitung und aß einen Keks!

Thalia stand als Erste auf. „Ich geh die Viecher füttern.“
„Apropos Viecher, wann kommt der Drache mit unserem restlichen Gepäck?“, erkundigte sich Lika. Ungläubig linste Grischmo über den Rand der Zeitung. Noch mehr?

„Der müsste im Laufe des Tages eintrudeln.“

Adarwen räusperte sich.
„Weiß jemand etwas Neues über... die Drachenaxt?“ Alles schwieg. Die Gesichter der Ritterinnen waren ernst geworden. Nur Grischmo verstand nicht, worum es ging. „Verschieben wir das.“, sagte Sadira. Alle anderen nickten.
„Elf Uhr, Gewächshaus?“, schlug Nea vor. Wiederum Nicken. Und...
„Grischmo, bleib bitte weg.“

Na Danke auch!

***


Thalia spielt Märchentante


„Grischmo, wo stehen die Futtersäcke?“

Der Shandrane sah von seinem Buch auf.
„Nebenan, hinter der Klappe in der Nische.“

Er saß auf dem Fensterbrett des Stallfensters, an den Rahmen gelehnt und leistete Thalia wenig hilfreiche Gesellschaft.
„Hab sie gefunden!“, meldete sie sich von hinter der Tür und hievte einen zwanzig – Kilo – Sack herein. Grischmo klappte sein Buch zu und sprang auf die Füße.
„Kann ich helfen?“ „Geht schon!“ Die Hexe verhärtete gerade magisch ihren Fingernagel um den Sack aufzuschlitzen. Er sah ihr stumm beim Werkeln zu, bis er damit heraus rückte, was ihm auf dem Herzen lag.

„Thalia, wer ist die „Drachenaxt“?“

Sie seufzte.
„Muss das sein, Grisch?“ Und er nickte auch noch!
„Dazu muss ich aber ganz schön weit ausholen.“, warnte sie ihn und setzte sich schon einmal auf den Boden.

„Du weißt, dass Lika Rückblenden nicht mag.“

„Ist Lika hier?“ Auch wieder wahr.

„Schön. Du hast also überhaupt keine Ahnung?“ Wieso fragte sie überhaupt?

Beunruhigt sah sie Regenwolken aufziehen, bevor sie endlich den Mund aufmachte zum Erzählen.

„Ich fange ganz am Anfang an. Am Anfang der Ritterinnen. Denn der ist alles andere als unwichtig und war ganz schön aufregend. Wen würde es also wundern, dass alles in einer stürmischen Frühlingsnacht begann? Es ist jetzt vielleicht drei Monate her, Adarwen und ich waren auf der Reise, denn ich hatte gerade meinen Orden verlassen. Die ganze Geschichte war, dass die alte Oberin von der neuen im Duell besiegt worden war und ich eine Nachricht von der Verliererin vorfand, dass ich zu einem bestimmten Ort reisen sollte, um dort ihren letzten Willen zu erfüllen. Da ich die neue Oberin so wieso nicht leiden konnte, hatte ich nur einen Grund mehr, die Hexenschaft hinter mir zu lassen. Außerdem schien das Duell zwischen den beiden nicht mit rechten Mitteln ausgefochten worden zu sein, weshalb Adarwen und ich uns der Sache annehmen wollten.

Das Wetter von gestern war ein Witz gegen den Sturm damals. Deshalb waren wir auch ganz schön erstaunt, als wir ein Lagerfeuer mitten im Wald sahen. Es schüttete, also gingen wir dort hin in der Hoffnung, ein trockenes Plätzchen zum Rasten zu finden. Wortlos verständigten wir uns, der Regen und das Dröhnen des Donners waren einfach zu laut. Und das viele Wasser weichte so langsam sogar meinen Zauber durch. Lautlos näherten wir uns dem warmen, schimmernden Schein der Flammen. Trotzdem, die zwei Kapuzen tragenden Gestalten sahen auf, sie hörten uns! Und noch etwas: Der kleine Kreis der Lichtung war trocken. In der Mitte brutzelte ein Feuer. Ein giftgrüner Drache schützte alles mit seinen Schwingen vor der Nässe, eine große Plane, die über ihn geworfen war, ergab ein Zeltdach. Der Regen bildete fast so etwas wie einen Wasserfall am Ende seiner Flügel. Die beiden standen nicht auf, wir setzten uns einfach. Beide Reisende, wie wir. Sie sahen uns an. Und nach einer Zeit des Anstarrens öffnete endlich eine der beiden Personen den Mund und meinte:
„In schicksalhaften Nächten schüttet es immer.“.“ „Das war -“ „Sadira, die andere Lika. So haben wir uns getroffen.“

Der Drache scharrte ungeduldig in seinem Gehege. Sie hatten ihn immer noch nicht gefüttert. „Ja, gleich.“ Condor hatte aber keine Lust auf „gleich“ zu warten, er steckte einfach seinen Kopf zwischen den Gitterstäben hindurch und bediente sich aus dem Sack. „Wenn uns die beiden damals verklickert hätten, dass sie Dimensionsreisende seien, wir hätten ihnen kein Wort geglaubt. Allerdings wirkten sie auch so schon schräg genug auf uns. Du weißt ja, wie Lika ist, immer hat sie einen altklugen Spruch auf Lager. Uns blieb gar nichts anderes übrig als uns zu unterhalten. Wir sprachen über alles Mögliche, aber uns selbst, wo wir her kamen, was unsere Absichten und Ziele waren, ließen wir vier aus. Bis auf einmal... Grischmo, nicht einschlafen!“

„'Tschuldige...“ Gähnend kratzte er sich hinter dem linken Ohr, an dem ein Goldring glänzte. „Erzähl, was ist passiert?“

„Wir waren umzingelt. Auf einmal waren die Kerle da.“ „Was... habt ihr dann gemacht?“ Grischmo hielt den Atem an. „Nichts. Weitererzählt. Aber irgendwann wurde es lästig...“ Gelangweilt sah sie aus dem Fenster. Er wusste selbst nicht warum, aber... Grischmo war enttäuscht.
„Aber... ihr müsst doch was gegen diese Kerle gemacht haben!“ Sie zuckte mit den Schultern „Sie haben uns ja nichts gemacht. Es waren halt irgendwelche Schatten. Wenn man umzingelt ist, wartet man lieber, bis der Angreifer den ersten Schritt macht. Wir hätten sie ja auch in Ruhe gelassen, wenn...“ Grisch bekam Hoffnung, dass doch noch Spannung in die Sache kommen könnte... „Der Drache nicht auf einmal aufgeschreckt wäre und wie wild Feuer auf so eine Gestalt gespien hätte...“ Sehr aufgeregt rückte Grischmo vorsichtshalber einen halben Meter vom Drachenkäfig weg. „Wir sprechen doch von Condor hier, oder?“ Thalia nickte. Der Shandrane kratzte sich seufzend am Kopf.

„Das verstehe ich nicht... Normalerweise greift er doch nur auf Likas Befehl an...“
„Och, Grischilein, so langsam müsstest du doch wissen, dass Drachen – “
„Ja, ja, auf jeden Fall würde er niemals jemanden ohne Grund angreifen.“
„Condor vielleicht nicht, andere Drachen pflegen das schon so zu tun...“ Langsam ging ihm Thalias Vortrag über Drachen auf den Geist...
„Gleich geh ich Lika fragen!“
„Mach doch!“
„Na gut... Bitte erzähl weiter.“
„Schon besser. Wie gesagt, es war stockdunkel und wir konnten von diesen „Gestalten“ eigentlich nur den Schatten sehen. Sadira und Lika flüsterten sich irgendwas zu und versuchten den Drachen zu beruhigen. Condor war wirklich aufgebracht, er schlug mit den Flügeln und knurrte wie wild. Und jetzt standen wir alle im Regen. Es war, als hätte jemand die Lautstärke plötzlich aufgedreht. In diesem Moment stürzten sie auf uns zu. Ich muss zugeben, die Kräfte waren nicht wirklich fair verteilt. Nach vier Sekunden waren sie besiegt, die Fluchgesandten.“

„Was ist das jetzt schon wieder?“

„Böse Zauber. Hat aber nicht viel gegen uns gebracht. Wenn man einigermaßen zauberkundig ist, weiß man, dass solche bösen Zauber kaum physischen Schaden anrichten können und sie wenn man sie abwehrt zu ihrem Schöpfer zurück kehren müssen. Sie sind allerdings ein beunruhigender Anblick.“

„Jetzt verstehe ich auch, weshalb Condor so reagiert hat.“, sagte Grischmo. Aber die Hexe schüttelte den Kopf. „Nicht sie, sondern ein anderer Beobachter hat Condor nervös gemacht, aber das sollten wir erst später realisieren. Erst einmal hatten wir ein anderes Problem. Kaum war von den Fluchgesandten weniger als ein Haufen Asche übrig, mischte sich ein drohendes Rauschen und das Flattern hunderter Flügel in das Dröhnen des Regens. Die Luft war gefüllt von Schreien, die so hoch waren, dass man sie nur als leisen Ton wahrnehmen konnte. Für deine feinen Ohren wäre es unerträglich gewesen. Auch Condor schüttelte sich wie wild um das Geschrei aus seinem Schädel zu bekommen. Der ganze Himmel war voller Drachen. Man erkannte es an drei Dingen: Der Krach, den sie veranstalteten, der Himmel war jetzt noch schwärzer als zuvor und wir wurden nicht mehr nass, so viele waren es. Aber nicht so große Tiere, wie du sie kennst. Es waren diese nervigen, bissigen Kleindrachen, die immer in Schwärmen auftauchen und sich am liebsten alle auf ein Opfer stürzen, bis nur noch die blank geputzten Knochen davon übrig blieben. Dass sie gerade jetzt auftauchten, kam uns wie ein sehr seltsamer Zufall vor.“ Grischmo fand das sehr appetitlich. Es kam noch besser.
„Ich sagte gerade, dass wir nicht mehr nass wurden... Naja, stimmt nicht gaaanz... einige Momente kreisten die Drachen über unseren Köpfen. Als der erste sich auf uns herabstürzte, waren wir bereit, ihn abzuwehren. Anstatt alle zu töten, wollte ich sie einschläfern. Der Drache fuhr senkrecht auf mich herab, als plötzlich die Geschwindigkeit aus seinem Angriff genommen wurde, er erbärmlich schrie und ein Regen aus Blut und Körperteilen auf uns hernieder ging. Ihm folgten auch die Kadaver seiner Artgenossen. Wir standen triefend und stumm da und starrten in den Himmel. Allein Condor wimmerte kränklich und verstört vor sich hin. Der Regen war vorbei. Es donnerte in der Ferne. Ein einzelner schwarzer Schatten thronte auf den Wimpfeln des höchsten Baumes, den Nachthimmel im Nacken, der nur noch von einigen Wolken durchzogen war. Es war der Schatten einer Frau. Eine Frau, die ein riesiges Messer über der Schulter trug, ihr Umhang flatterte leicht im Wind.“

Der Shandrane schüttelte ungläubig den Kopf.
„Das kann doch unmöglich Nea gewesen sein!“ Thalia verpasste ihm eine Kopfnuss.
„Natürlich nicht, du Dummkopf! Neas Messer ist stumpf. Es ist nicht dafür gemacht, lebende Wesen zu töten. Sie zieht es höchstens mal einer Wache über, aber ansonsten ... Diese Unbekannte, von der ich spreche, ist natürlich die Drachenaxt. Wir nennen uns doch die Ritterinnen des Rostigen Besteckkastens. Gabel, Löffel, Fischmesser, Kuchenheber und Schöpfkelle sind vertreten. Hast du dich noch nie gefragt, weshalb es bei uns kein Messer gibt?“
„Schon, aber...“, gab Grischmo kleinlaut zu, „...ich hab mich nicht getraut zu fragen...“
„Jetzt sage ich dir, warum: Es GAB eine Ritterin des rostigen Messers.
Lass mich weitererzählen. Die Drachenaxt sprang zu uns herunter. Sie ließ ihren Sprung abfedern und steckte dann ihr riesiges Messer in den weichen Waldboden.
>>Regnerische Nacht!<< Diese Begrüßung werde ich nie vergessen. Sie stellte sich uns als Calla vor, reihum schüttelte sie uns die Hände. Als sie zu Sadira kam, meinte diese, dass es sehr nett gewesen sei, uns zu helfen, aber der Blutgeruch würde alle möglichen Kreaturen anlocken. >>In dieser Gegend werdet ihr keinen Schattenkreaturen begegnen. Sie waren hinter mir her und ich habe sie beseitigt. Es scheint mir ein Wunder zu sein, dass ihr noch lebt.<< Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, war sie mir eigentlich gleich unsympathisch. Aber so etwas merkt man immer erst so spät...“

Thalia schmunzelte. Langsam zog sie ihre Waffe, den rostigen Löffel, hervor und begann sie zu putzen. Grischmo sah sie nur ungeduldig an.
„Aber Nea fehlt immer noch.“
„Alles zu seiner Zeit! Nea kommt noch. Und zwar genau rechtzeitig. Wir schlossen uns also zusammen, Adarwen, Lika, Sadira, Calla und ich. Aber den Vorschlag, glaube ich, den hat Calla gemacht. Calla erzählte uns, dass es einen Schwarzmagierring gab, der sie jagte, weil sie außergewöhnliche Kräfte und seltene Waffen besaß. Sie zeigte uns ein Symbol, das ich zuvor an der neuen Oberin gesehen hatte. Dann noch die Fluchgesandten... ich musste nur eins und eins zusammen zählen um zu erkennen, dass diese Kerle jetzt auch hinter mir her waren. Calla wollte mir helfen, den Willen der alten Oberin durchzusetzen und zusammen wollten wir den Spieß umdrehen und ihre Mörder zur Strecke bringen. Wir waren wohl eher so eine Art Zweckgemeinschaft und Condor hat sie nie gemocht. Nicht wahr, Großer?“ Sie kraulte den Drachen am Hals, aber er ließ sich nichts weiter anmerken.
„Wir zogen eine Zeit lang durchs Land und gaben uns dadurch gegenseitig Schutz. Bis dann doch alles aufflog. Pech für Calla. Wenn Nea nicht aufgetaucht wäre, hätte ihr Plan ja vielleicht sogar funktioniert. Nicht wir waren auf der Jagd nach irgendjemandem, sondern sie war auf der Jagd nach uns. Die ganze Zeit hatte sie uns hinters Licht geführt um viel über uns herauszufinden.“
„Was ist denn genau passiert?“
„Wir sind in Callas Falle getappt. Oder besser gesagt, in ihr eigenes Versteck, das sie als Versteck der Schwarzmagier darstellte. Wir sollten uns aufteilen. Das taten wir auch. Nur dumm, dass Sadira wo hingelangte, wo sie nicht hätte hingelangen sollen: in ein Kerkerverließ. Dort war Nea eingesperrt. Sadira behauptet zwar, sie sei mit Absicht dort hinein gegangen, aber, naja... Sadis Orientierungssinn ist nicht wirklich der beste. Dort erfuhr sie jedenfalls die ganze Wahrheit.“

„Sollte ich das nicht besser erzählen?“ Sadira lehnte grinsend an der Tür. Grischmo war das ein bisschen peinlich. Sadira schob den Futtersack mit dem Fuß beiseite (alles leer?) und setzte sich in die Runde dazu.

„Ich weiß auch nicht, woran das liegt, aber ich komme immer irgendwie an Orten raus, die dann zufällig sehr wichtig sind... purer Zufall. Hab keine geheimen Kräfte oder so. Jedenfalls nicht solche. Ich kam in diese stockdunkle Höhle, das ganze Versteck war das reinste Tunnelgewirr, da sprang mir plötzlich jemand von oben auf den Rücken und hielt mir den Mund zu. Es tut mir Leid für Nea, dass ich so gute Reflexe habe... Sofort packte ich ihren Arm und schleuderte sie zu Boden. Aber da wurde ich geblendet. Nea ist verdammt trickreich... So schaffte sie es mit mir zu sprechen. Calla hatte einen Stab von ihr gestohlen, einen verdammt wertvollen und wichtigen Stab und sie wollte ihn keinesfalls dazu benutzen, der Welt ein bisschen Frieden und ein bisschen Freude zu schenken. Gut, dass sie den Stab selbst geklaut hatte, ließ sie dabei aus, aber... Als mir Nea versicherte, Calla sei eine brutale Person und Meisterin im Verstellen, wie konnte ich ihr da widersprechen?“
„Ein Glück, dass Sadira so gutgläubig ist...“, stichelte Thalia. Außer, dass sie sie mit einem Seitenblick strafte, ignorierte Sadira ihren Kommentar.
Die Hexe erzählte weiter: „Es wurde ein ziemlich komplizierter Kampf, weil Sadira und Nea meinten, Calla sei die Verräterin und umgekehrt Calla meinte,diese „hintertriebene Fremde“ sei die Böse.“
„Aber es hat ja doch alles geklappt...“
„Was heißt, es hat alles geklappt? Auf einmal fing dieser vermalledeite Stab an wie verrückt zu glühen, als Calla ihn festhielt. Es war wohl ein Magischer Zirkel, als wir um sie herumstanden. Als sie merkte, dass sie seine Macht jetzt nicht mehr verwenden konnte, wollte sie ihn zerstören. Sie holte mit ihrem riesigen Axtmesser aus und hieb zu. Es klang, als wäre eine Stimmgabel angeschlagen worden. Nur ungefähr vier Mal so hoch und fünf mal so laut. Calla wurde zurückgeschleudert und begann sich in Dampfen und Zischen aufzulösen.“


Kurz herrschte Stille.

Thalia hauchte den Löffel in ihrer Hand an und polierte etwas nach.

„Aber sie lebt. Wir wissen es. Denn sobald Calla verschwunden war, verschwand auch ihr Messer wie von Zauberhand bewegt. So, als könne es sich nicht von ihr trennen und würde noch gebraucht. Nea zeigte uns eine Kiste, in der noch weitere Waffen waren. Unter anderem diese hier.“

Sie hielt Grischmo das Besteckstück vor die Nase. Er hob eine Augenbraue.

„Ein Löffel. Aha.“

„Das ist ihre versiegelte Form!“, erklärte Thalia.

„Calla hatte es eingefädelt, dass wir uns treffen, um uns gemeinsam aus dem Weg zu räumen und dafür hat sie diesen Schwarzmagierring erfunden. Denn sie wollte nicht, dass wir zu diesen Waffen kommen. Woher sie wusste, dass die Waffen für uns bestimmt sind, ist mir allerdings immer noch ein Rätsel.“
„Mir auch“, schaltete sich Sadira ein, „Vor allem, weil Lika und ich zur damaligen Zeit erst seit einer Woche in dieser Welt waren. Wieso hat sie uns nicht alle einzeln attackiert?“

„Jedenfalls scheint sie sehr viel mehr über diese Waffen zu wissen als wir UND sie ist hinter unseren Köpfen her. Und deshalb verbündeten wir uns und wurden die Ritterinnen des Rostigen Besteckkastens. Klingt vielleicht etwas bescheuert, aber ist genau richtig.“
„Finde ich auch“, grinste Sadira, „Aber jetzt müssen wir los...“

***


Kriegsrat


„Was meinst du, Lika, wo wohl die ganzen Vögel her sind?“ Glücklich streichelte Adarwen einem Kakadu über die Brust, bevor sie ihn wieder fliegen ließ. „Weiß nicht...“, murmelte Lika. Sie entspannte in einer Hängematte liegend und hörte Musik. Adawen setzte sich an den Rand des Marmorbeckens für den Wasserfall, der alle sechs Stockwerke nach unten floss.

Ja, das Gewächshaus ging an der Spitze des fünfeckigen Gebäudes von ganz unten bis hinauf zum (an dieser Stelle) gläsernen Dach. Man konnte es von einer Tür auf jedem Stockwerk betreten, es über eine Wendeltreppe aus Gusseisen oder Strick- und Bambusleitern durchqueren. Natürlich gab es auch zwischen dem Erdgeschoss und dem fünften Stock Boden, auf dem man herumlaufen konnte. Außer den zwei Urwaldriesen wuchsen hier unzählbare tropische Pflanzen und bei sehr vielen sollte man lieber Sadira fragen, bevor man sie anfasste. Dazu war hier noch eine ganze Schar aller möglichen Vögel zu Hause. Von den flugunfähigen Wachteln über die winzigen Kolibris, die farbenfrohen Finken bis hin zu Aras, Kakadus, Tukanen und Pfauen. Auch einige Paradiesvögel waren hier zu Hause. Einer saß gerade auf einem der beiden Bäume, an denen Likas Hängematte festgemacht war. Sie sah auf die Uhr.

„Gleich elf Uhr. Gehen wir ganz nach unten. Wo ist Nea eigentlich wieder?“

„Ich habe herausgefunden, dass sie das Grundstück nach Schätzen und Geheimgängen durchforstet.“

„War ja klar. Aber sie soll mir eine Karte anfertigen. Wir nehmen die Abkürzung.“ Und Lika griff nach einer Liane um sich nach unten abzuseilen.

***

Nea wartete schon auf sie. „Diese Burg ist genial!“, freute sie sich begeistert, „Aber nicht besonders schatzreich... naja...“ Adarwen und sie sahen verwundert Lika dabei zu, wie sie sich murmelnd nach irgendetwas absuchte. „Kann man dir irgendwie helfen?“ „Ich vermisse meinen Walkman...“ „Ach, das war deiner...“ verlegen brachte Nea ihn aus ihrer Tasche zum Vorschein. Äußerst genervt nahm Lika ihn entgegen. „Steht ihr nur dumm herum oder ist noch Sinn in die Sache?“ Sadira hatte soeben das Moskitonetz des Eingangs beiseite geschoben, als sich auch schon ein Wellensittich auf ihrem Haupt niederließ.

„Du hast einen Vogel“, kommentierte Thalia sofort, die ihr gefolgt war.

Trotzdem erklärte sich Sadira bereit für alle einen Kakao zu kochen. Die Unterredung war eröffnet.

Sie saßen in einer dunklen Ecke zwischen Palmen hinter einem Wasserfall, auf weißen, gusseisernen Stühlen, die um einen runden, ebenso weißen und verschnörkelten Tisch herum gestellt waren. Zu Anfang steckte Lika ihren Walkman sicher weg.

„Wir müssen nicht um den heißen Brei herum reden. Was hast du herausgefunden, ‘darwen?“ Der Spionin wäre es lieber gewesen, wenn sie um den heißen Brei hätte herum reden können... Sie gab ihre Informationen nicht gerne Preis.

„Ich muss euch leider enttäuschen. Viel habe ich nicht herausbekommen. Es gibt hier zwar in der Gegend eine Hand voll Frauen, die Zaubertränke brauen und so, aber das sind wohl eher Möchtegernhexen, ohne Ahnung. Stellen eher keine Gefahr dar. Aber man weiß nie. Ansonsten nichts Neues. Immer noch Vampire in Südengland. Und wer das Kloster drüben im Nachbardistrikt verwüstet hat, ist auch noch nicht geklärt. Aber es hat wohl was mit einer lustigen Sekte zu tun. Mehr weiß ich auch nicht.“ Die anderen sahen sie enttäuscht an.

„Tut mit Leid, aber durch den Umzug hatte ich eben weniger Zeit, immerhin musste ich ja eine sichere Reiseroute finden und -“

„Schon gut!“, beteuerte Thalia, „Macht ja nichts.Wozu sind wir fünf? Jeder tut das, was er kann, so gut er es kann.“

Stimmt. Sie waren immerhin alle Profis auf verschiedenen Gebieten. Und zäh waren sie so wieso. Niemand konnte besser Informationen aus den Gesichtern von Leuten, einer Landschaft oder von Gebäuden heraussaugen wie Adarwen. Thalia konnte sich am besten die Magie, die in allen Dingen enthalten war, zu Nutze machen. Das Glück war auf ihrer Seite. Und die Elemente sah sie als ihre besten Freunde an. Niemals würde Feuer sie von selbst verbrennen. Und wenn jemand die Elemente geißelte um sie schädlich einzusetzen, so riefen sie nach ihr, damit die Hexe sie befreien konnte.

„Ich hoffe nur, dass jemand von euch anderen etwas herausgefunden hat - das Feuer hat mir nämlich rein gar nichts sagen können, nicht einmal das blaue. Und Churel ist auch seit gestern nicht wieder aufgetaucht.“ Sie machte sich langsam um ihren blauen Phönix sorgen.

Demonstrativ legte Nea ein zylinderförmiges Stück Metall auf den Tisch.

„Was haltet ihr davon?“

Das war typisch für Nea. Anstatt zu berichten, legte sie lieber Greifbares vor. Und natürlich war es immer gestohlen. Es war kein Hobby, das Stehlen, es war eine Lebensphilosophie.

Neugierig nahm Sadira das metallene Etwas in die Hand.

„Dieser zwielichtige Kerl hat sie so offensichtlich mit sich herum getragen, das Teil hat mich von seinem Gürtel aus förmlich angeschrien!“, berichtete die Diebin und klang dabei noch ganz aufgeregt.

„Wenn mich nicht alles täuscht, ist das ‘ne Drachenpfeife, oder?“ Sadira war im Begriff hinein zu blasen. Gerade so knapp vor dem Mund schnappte Lika sich ihren Arm.

„Bist du verrückt? Da könnte was weiß ich für ein Vieh kommen!“

„Ja und?!“, war Sadiras schlichte Antwort. Es half nichts, Lika nahm ihr die Pfeife kopfschüttelnd weg.

„Wir müssen erst einmal überprüfen, ob dieser „Kerl“ nicht ein rechtmäßiger Drachenbesitzer war. Könntest du ihn wieder erkennen, Nea?“ Die Diebin seufzte.

„Eigentlich merke ich mir ja nicht alle meine „Opfer“... Aber dieser Typ trug so einen seltsamen Hut und auch noch gelbe Schuhe... Ich denke schon, dass ich ihn noch einmal erkenne...“ Das reichte Lika als Antwort. Sie griff in ihre Feld-Wald und Wiesentasche und holte einen alten, zerfledderten Wälzer hervor, den sie auf den Tisch knallte. „Wie gut es doch ist, Mitglied im Rat der Drachenfreunde Nord zu sein!“, seufzte sie und klappte den verwaschenen, grünen Buchdeckel auf. „Hier drin stehen alle Leute, die einen Drachen besitzen dürfen.“ Ich brauche die Haarfarbe, Nea.“ „Schwarz.“ Das Buch ordnete die Besitzer magisch entweder nach Name oder Aussehen. Nach der Haarfarbe kam die Brille als Merkmal, dann die Hautfarbe, danach sommersprossig oder nicht. An die Augenfarbe konnte Nea sich dann doch nicht mehr erinnern. Ansonsten stand der Kerl auch nicht im Buch. Er besaß den Drachen für diese Pfeife offensichtlich illegal.

„Also schön, er ist ein Gauner.“ Sadira nahm diese Feststellung um ein weiteres Mal zu versuchen die Drachenpfeife auszuprobieren. Thalia und Lika stürzten sich gleichzeitig auf sie. „Spinnt ihr jetzt völlig? Es geht hier doch nur um einen Drachen!“, maulte Sadira. Warum regten sich alle so auf?

„Es geht um einen Drachen... oder um fünfhundert! Du weißt es nicht, also lass es lieber!“, ermahnte sie Lika, aber Sadira behielt ihren Dickschädel. „Dann finde gefälligst heraus, für was für eine Drachennart das Teil funktioniert!“

„Kann ich nicht.“

„Lika! Du hast mindestens zehntausendmillionen Bücher, da wird jawohl noch eins über Drachenpfeifen dabei sein!“

„Ja, schon.“

„Gut. Und wo?“

„Im fehlenden Gepäck.“ Sie erntete ein säuerlich genervtes Stöhnen von ihren Kolleginnen. „Wir probieren sie heute Abend aus.“ Versprochen.



Post ist da!


Auch am Nachmittag war der Himmel noch mit fetten Regenwolken bedeckt. Sadira war gerade mit einer großen Gießkanne bewaffnet auf dem Weg zum Brunnen, weil sie ihre Zimmerpflanzen bewässern wollte, als sie zum Himmel über dem Gebäude sah und beinahe die Kanne fallen ließ.

"Lika, was turnst du da oben zwischen den Statuen herum?!"

Lika, mit einem Tuch und einem Eimer bewaffnet ( gefährliche Burg: alle bewaffnet!), sah von ihrer Arbeit auf und geriet ganz schön ins Schwanken, als sie winkte. Gerade so packte sie einen Greifenflügel um sich fest zu halten. Die Zinnen der Festung waren voll mit diesen Statuen und nicht nur Greifen, Gargoyles und Fabelwesen stellten sie dar, sondern es gab auch eine Gruppe steinerner Wachgänse, die zu schreien anfingen sobald sich ein Eindringling der Burg näherte.

"Ich putze die Statuen. Sie sind so dreckig!", rief Lika. Sadira ging kopfschüttelnd weiter. Es würde doch so wieso regnen! Lika, Lika - hatte sie echt nichts Besseres zu tun? Mit geringer Mühe stemmte Sadira die gefüllte Gießkanne hoch und schleppte sie zur Eingangstür zurück. Sie hatte die Klinke schon in der Hand, um die Tür wieder zu schließen, als sie ein seltsames Ungetüm auf sie zurasen sah. Schleunigst griff sie nach der Gießkanne und flüchtete zur Seite, da knallte auch schon etwas mit Wucht gegen das Tor und ließ es mehr als nur ins Schloss fallen. Zögerlich blickte Sadira über die Schulter zurück. Einige Splitter fielen zu Boden, im Holz des Tores steckte ein großes, langes Horn.

Einen Moment passierte nichts, dann begann sich das Horn auf einmal zu bewegen, es wackelte hin und her und wurde schließlich mit einem Ächzen und Schnauben herausgezogen. Es hinterließ ein hübsches Loch. Ohne hindurch zu sehen öffnete Sadira vorsichtig die Eingangstür. Davor saß ein dunkelschuppiger, plumper Drache benommen auf seinem Hinterteil, aber Sadiras Aufmerksamkeit wurde auf etwas anderes gelenkt. Ungläubig starrte sie nicht den schwerbepackten Drachen, sondern ein kleines, langohriges, knollennasiges, koboldartiges Wesen an, das mit hochrotem Kopf fluchend ( piepsig und in seiner Sprache) auf der Stelle sprang. Anscheinend schrie es das Drachenmonstrum an. „Unser Gepäck!“, stellte Lika fest, die gerade das Fallrohr hinabstieg. Hatte das kleine Wesen auch scheinbar Sadira nicht bemerkt, stieß es jetzt, bei Likas Anblick einen quietschenden Schrei aus und begann wie wild im Kreis herumzuwuseln. Die beiden Frauen ( und der Drache) beobachteten still, wie es schließlich zum Eingangstor rannte und (immer noch zeternd) die Arme auf- und abwarf, gleich, als würde es das Loch darin anbeten. Sadira drehte sich um, als sie aufgeregte Schritte in der Eingangshalle hörte.

„Ist etwas passiert?“

„Wie kommt das Loch in die Tür?“

Thalia und Adarwen kamen angerannt um dadurch den Knirps weiter in Aufregung zu versetzen. Inzwischen hatte er begonnen sich auf dem Boden zu kugeln. „Was ist das?“, fragte Adarwen, Thalia ging wortlos zum Lieferdrachen um sein Horn zu begutachten. Lika zuckte mit den Schultern.

„Sayscosmou Drachenlieferservice haben schon sehr merkwürdige Angestellte...“

„Der Kleine ist ja völlig durch den Wind!“, seufzte Sadira und stemmte ihre Fäuste auf die Hüften. „Liegt wohl daran, dass er in unser Tor gerammt ist...“, sagte Adarwen.

„Wie auch immer, der Knirps braucht etwas zur Beruhigung!“ Sadira verschwand im Innern des Hauses. Währenddessen begannen die anderen den Drachen abzuladen.

„Nea drückt sich mal wieder!“, schnaubte Adarwen.

„Wo ist die eigentlich?“

„Wahrscheinlich im Kel - auf dem Dach.“, vermutete Adarwen.

„Nein, sie klaut ein.“, erklärte Lika.

„Ach so...“ Thalia und Adarwen nahmen alles zurück. Nach fünf Minuten kam Sadira mit einem Tee zurück. Sie packte den Lieferanten am Kragen, hockte ihn auf einen Stein und erst als sie ihm die Tasse in die Händchen drückte, hörte er auf zu zappeln. Er starrte mit ängstlichem Blick zuerst zu ihr hoch und dann das heiße Getränk an. „Jetzt trink schon, wir wollen dich schon nicht vergiften, nur wegen einem Loch in der Tür.“ Als der Lieferbote sie immer noch wortlos anstarrte, fügte sie hinzu: „Und deinem Chef verraten wir auch nichts.“ Der kurze Strich im Gesicht des ... nennen wir ihn Zwockel ... , der seinen Mund darstellte, wurde immer länger und bog sich dann nach unten, bis er ihm als fettes Grinsen im Gesicht stand. Das Zwockelwesen sagte freudig so etwas in der Art wie Nannel, nannel” und schlürfte dann seinen Tee. Sadira sah zwei Sekunden den anderen Drei beim Abladen zu, bis sie schließlich sagte „Ach, ihr seid ja fast fertig, dann braucht ihr mich ja auch nicht mehr...“ und sich aus dem Staub machen wollte. „Du hilfst gefälligst mit!“, fauchten die Ritterin der rostigen Gabel, des rosigen Löffels und der rostigen Schöpfkelle gleichzeitig und zückten ihre Waffen. Sadira drehte sich langsam um ... und sah Gabel, Löffel und Schöpfkelle auf sich zurasen. Kreischend hechtete sie hinters Tor. Es machte dreimal kurz hintereinander „Zongg!“ und als Sadira hinter dem Holz hervorlugte, sah sie die Mordinstrumente in der Tür stecken und immer noch hin- und herschwingern. Sadira schluckte. „Also gut...“ Müde lächelnd kam sie zurückgeschlichen.

***


Callas wilde Meute


Die Sonne war schon am Untergehen, als vier der fünf Ritterinnen dastanden und dem immer kleiner werdenden Drachen nachwinkten, der auf dem Weg zurück in seine Firma war. Und sie standen da... und standen da... und... Lika seufzte: „Jetzt müssen wir das Zeug erst einmal reinschaffen!“ „Hallo, da bin ich wieder!“ Sie sahen zur hohen Westmauer hinüber, wo Nea schwer bepackt geradewegs mitten durch das geschlossene Tor in den Zwinger hinein lief. „Gerade rechtzeitig!“, grinste Thalia. „Wieso?!“ Nea blieb ahnungslos vor den Vieren stehen. Bis sie zur Seite traten und den Gepäckberg freigaben. „Nicht euer Ernst!“, stöhnte Nea und ließ ihre Einklautaschen fallen. Grischmo könnte ja eigentlich auch helfen!“, meinte Adarwen. Lika und Sadira sahen sich kurz an, dann sagten sie: „Eigentlich nicht.“ „Wieso nicht?“ Aber dann stieß Adarwen einen kurzen Schrei aus, weil der Shandrane direkt vor ihr aus der Wand kam. „Habt ihr mich gerufen?“ Sogleich verpasste Sadira ihm eine Kopfnuss. „Ich hab dir doch gesagt, du sollst das nicht machen! Dann sah sie die ungläubigen Gesichter der anderen und seufzte: „Wir müssen das jetzt wohl erklären...“ Sie nickten.

Wie bereits beim ersten Auftauchen Grischmos in dieser Geschichte erwähnt, stammt er von einer anderen Dimensionsebene (Murks und so weiter...). Das hat in der Welt der Ritterinnen so lustige Effekte zur Folge, wie dass er durch Wände laufen kann (wenn er will) und eigentlich für alle nicht von Substanz ist, die seine Geschichte nicht kennen. Das macht seine Erscheinung der eines Geistes ähnlich, was ihm allerdings keiner sagen sollte, denn Grischmo hat Angst vor Geistern und würde sich am Ende noch vor sich selbst fürchten.

Drei Stunden später trafen sie sich auf dem großen Platz hinter dem Bergfried. Die ersten Sterne waren... nicht zu sehen, denn der Himmel war noch immer Wolken verhangen! Und gerade, als Adarwen ein Eröffnungswort sprechen wollte, fielen die ersten Tropfen.

„Kann mir mal jemand sagen, warum sich der Regen immer so unnötig Zeit lässt?“

Prassel...

Nein, Thalia, das konnte niemand. Lika kam gerade wieder, sie hatte Condor aus dem Stall geholt und führte ihn nun heran.

„ So, Drache kann kommen!“

„Na endlich“, raunte Sadira, sie hob die Drachenpfeife an ihren Mund und pfiff. Dann herrschte Stille.

„Ehm... wie lange dauert so etwas normalerweise?“, meldete sich Adarwen.

„Nicht lan - Ahhh!!“

Sadira zeigte mit offenem Mund in den Himmel über der Burg. Die Wachgänse auf dem Dach fingen zu schreien an, bevor sie von riesigen Klauen zertrümmert wurden und zu Boden stürzten. „Was sind das für Viecher?“, murmelte Nea. Die schwarzen, geflügelten Monstren rauschten schneller heran als sie erwartet hatten, es schien, als ob sie sogar noch beschleunigten. „Runter!“, schrie Thalia. Das erste Wesen streckte die Hinterbeine aus und krallte sich an Condors Rücken fest. So riesig wie es war, konnte es den Drachen mühelos mit sich reissen. Er verschwand nach oben in die Dunkelheit. Sie waren nur noch an Condors Wutschreien auszumachen.

„Condor!!“, schrie Lika in den Himmel hinauf, der Regen strömte ihr ins Gesicht. Dort oben war der Drache auf sich allein gestellt. „Den steckst du in die Tasche, zeig ihm, dass du ein Sicherheitscorp - Drache bist!!“

Sadira musste sich ducken, als ein anderes Biest nach ihr schnappend über sie hinweg flog. Sie war begeistert, weil endlich der Kampf begonnen hatte. Man hörte Condor von oben schrecklich fauchen, ein Feuerball leuchtete auf. Ein tiefer, tierischer Schrei durchfuhr das Rauschen des Regens. Dann stieben die feindlichen Drachen auseinander. Mit einem Rauschen stürzten Condor und der Angreifer auf den nassen, kalten Boden. Die Ritterinnen starrten gebannt auf den Haufen aus unentwirrbaren Körpern. Ein Moment verging, dann rappelte sich einer auf. Der Drache hatte helle Schuppen und ein Pik am Schwanz. Es war Condor. Schwankend und sich schüttelnd schleppte er sich unter den schweren verhornten Flügeln des anderen hervor. Lika warf sich ihm erleichtert um den Hals. Aber die am Himmel kreisenden Monstern schworen Rache. Wie aus einem Maul begannen sie zu brüllen wie am Spieß. Nea wurde stutzig. „Sollten Drachen nicht normalerweise auf den Besitzer der Pfeife hören?“ Es kam ihr so vor, als wären die Bestien auf sie angesetzt worden. Hatte sie diese Drachenpfeife etwa mit Absicht stehlen sollen? War es geplant gewesen? Eine Falle?

„Du hast Recht. Diese Situation kommt mir nur zu bekannt vor. Calla soll nur kommen!“, knurrte Thalia und lockerte ihre Finger für den ersten Feuerzauber. Warum musste es immer schütten, wenn sie kämpfen musste?!


„Was ist hier eigentlich los?“ Mit einem Mal rissen die fünf Ritterinnen ihre Köpfe zur Tür des Bergfrieds herum, wo Grischmo seinen Kopf hinaus streckte. „Grischmo - GEH REIN!“, schrie Thalia und richtete ihre Hand auf die Tür, die zuschlug, bevor einer der Drachen, der herab gejagt war, sich in den Shandranen verbeissen konnte. Statt dessen nahm er die Tür. Grischmo im Turminnern presste sich an die andere Wand, das Herz schlug ihm bis zum Hals.

„Lass den Kleinen in Ruhe!“, fauchte Nea außer sich. Im nächsten Augenblick packten sie zwei Klauen an den Schultern und zogen sie mit sich. Im gleichen Moment wurden auch die anderen vier angegriffen. Es war unmöglich Grischmo zu Hilfe zu kommen.

„Endlich wird’s spannend!“ Sadira rieb sich die Hände, während ein Drache auf sie zuflog. Der Drache sperrte sein riesiges Maul auf und zielte auf ihre linke Seite. Er würde sie mit Leichtigkeit abreissen können. Er schnappte zu. Sie war verschwunden. „Du lahmes Vieh!“, Sofort tauchte sie oberhalb seines Kopfes wieder auf und rammte ihm beide Füße gegen den Schädel. Trotz des Größenunterschieds entluden sich Sadiras volle Kräfte auf den Drachen. Sein Körper kam aus dem Gleichgewicht, der Drache kippte auf die Seite. Jetzt war er noch wütender. „Na komm doch. Vielleicht landest du ja noch einen Treffer...“ Provokativ stand die Kämpferin vor dem Drachen, ihre magische Waffe, eine Art Lanze fest in der Hand. Aber Sadira benutzte die rostige Kuchenschaufel oder auch „Blue Walker“ genannt, nicht zum Angreifen: Mit ihr konnte sie sich teleportieren. Zum Kämpfen benutzte sie ihre bloßen Hände und Füße, die sie den Drachen jetzt spüren ließ.


Auch Nea, von einem der Monster in den Himmel entführt, machte das Beste aus ihrer Situation. Während das Vieh nämlich immer höher in den Himmel stieg, bemerkte es auf einmal, dass sie nicht mehr zwischen seinen Klauen steckte. „Brav weiterfliegen... beachte mich gar nicht...“ Sie hatte sich mit Hilfe ihres rostigen Fischmessers „Trapper“ einen Ausweg geschaffen und ritt jetzt (wenn auch unbequem) auf dem Rücken des Biestes.

***

Nachdem einer der sieben Drachen gegen Condor unterlegen war und einer gegen Sadira (die sich schon wieder leicht langweilte)stieg einer nach dem anderen wieder in den Himmel hinauf um dort in sicherer Entfernung zu kreisen. Die Ritterinnen sammelten sich um zu überprüfen, ob noch alle Körperteile dran waren.

„Wo zum Teufel steckt Nea jetzt schon wieder?!“

„Mir geht’s gut!“, kam von weit oben eine Antwort. Der Drache schaffte es einfach nicht sie abzuschütteln. „Grischmo, geht’s dir gut?“, rief Sadira in Richtung verdellte Tür. Keine Antwort. Wortlos stapfte sie über den aufgeweichten Hof. Weil der Rahmen verzerrt war, bekam sie die Tür nicht auf normale Art auf, sondern musste dagegen treten. Quietschend öffnete sich die Tür nach innen. „Grisch?“ Der runde Raum war leer. Außer einer langen Wendeltreppe war hier nichts. „Er ist bestimmt nach oben geflüchtet. Ich seh' nach ihm.“ Aber in diesem Moment begannen die Drachen wieder wie am Spieß zu brüllen. Alle auf dem Boden , aber ganz besonders Nea, hielten sich die Ohren zu.



Grischmo zuckte zusammen. Selbst hier unter der Erde zitterten noch die Wände bei dem Gebrüll der Bestien. Er wusste nicht, ob er schon jemals in seinem Leben solche Angst gehabt hatte. Als er mit Schrecken festgestellt hatte, dass der Drache Kleinholz aus der Tür machen wollte, war er fluchtartig zu der geheimen Tür unter der Treppe gestürzt und jetzt auf dem Weg immer weiter abwärts. Es war stockfinster und er stolperte haltlos die Wendeltreppe nach unten. Plötzlich stieß sein Fuß gegen eine Schnur. Bevor er über sie fallen konnte, zog sich eine Schlinge um sein Bein und ein Seil riss ihn nach oben. Verkehrt herum. „Grrrrr...NEA!!!“, fluchte er, denn er war sich ziemlich sicher, dass sie diese Falle aufgestellt hatte. Und wenn Sadira vorhin nicht alle über ihn aufgeklärt hätte, dann wäre er auch gar nicht hineingetappt, sondern einfach durchgelaufen. Aber wozu hatte man schließlich Krallen? Sehr schmerzhaft landete er auf den Treppenstufen und polterte den Rest der Treppe nach unten, bis er auf einem staubigen Steinboden nach einer kurzen Schlitterpartie zum Halten kam. Seine Schnauzenspitze stieß fast an eine Truhe an, die vor ihm auf dem Boden stand. Sie war abgeschlossen und er fragte sich, was wohl darin war, denn der Inhalt leuchtete sogar durch die Truhenwände noch rötlich hindurch... Es war ja sonst nicht seine Art. Aber jetzt musste er doch einmal seine Kralle in die Schlossöffnung stecken, um das Ding zu ... Autsch! Reflexartig zog er seine Pranke wieder zurück, als er einen Stromschlag bekam. „Bescheuerte Magie!“, grummelnd leckte er sich den schmerzenden Finger. Aber irgendwie würde er das Teil schon noch aufbekommen...

***


Kampf mit Calla


„Warum machen die so einen Krach?“

„HÄ?!“ Adarwen konnte Thalia durch das Geschrei der Drachen nicht verstehen.

„WARUM SCHREIEN DIE SO?!“

„Darum...“, murmelte Lika, die fühlte, wie sie langsam von einem Frösteln ergriffen wurde. Wie in Trance zeigte sie in den Himmel, wo noch nichts zu sehen war. Es donnerte. Und mit dem nächsten Blitzschlag waren außer den Drachen noch ein Schatten zu sehen. Er war gewaltig und schwebte in ihrer Mitte. Sadira glaubte einen weiteren Schatten, einen kleinen menschlichen mit wehenden Mantel sehen zu können. Mit einer Vorahnung murmelte sie „Calla... Da ist sie.“ Dann rief sie laut: „KOMM RUNTER!“, während die anderen sie anstarrten. Calla war ihr eine Revanche schuldig. Die einzige Reaktion, die von der vermummten Gestalt kam, war, dass sie auf die fünf Ritterinnen zeigte, bevor sie befahl: „Lynche sie!“ Von dem Koloss war ein tiefes Röcheln zu hören, bevor er seine alten, zerrissenen Flügel ausbreitete und auf die Frauen zu stieß. Es sah aus, als ob er Niesen musste, aber was statt dessen passierte war, dass Lava aus seinem Maul geschossen kam. Lika flog mit Condor zur Seite und auch Adarwen verschwand im Schatten, aber Sadira und Thalia wichen nicht aus. Sadira stand hinter der Hexe, die jetzt die Augen schloss und die Arme von sich streckte, um einen Schutzschild zu errichten, der die Lava einfach um sie herum leitete. Sie waren ein eingespieltes Team. Sobald der erste Lavastrom vorbei war, sprang Thalia auf Sadiras Schulter um sich dann davon abzustoßen und zum Drachen zu gelangen. Mit einer Portion Feuer in jeder Hand und ernstem Gesicht stand sie einen Moment in der Luft, Auge in Auge mit dem Drachen. Sein Gesicht war schrecklich vernarbt und ein Stück seines linken Horns fehlte. Thalias Hass auf Calla, die Drachenaxt, stieg ins Unendliche. Wild entschlossen stieß sie sich mit dem Fuß vom Kopf des Drachen ab. Mit ausgestrecktem Arm zielte sie genau auf Callas Kopf. Ein kleines Lächeln erschien auf deren Gesicht. Ihre Hand wanderte unter ihrem Umhang, der völlig trocken war im Gegensatz zu Thalia, langsam zu ihrem Gürtel. Und dann, blitzschnell, zog sie ihr riesiges Messer unter ihrem Mantel hervor und schwang es Thalia entgegen. So etwas konnte man nicht parieren, im letzten Moment richtete sie ihren Angriff nach unten und katapultierte sich dadurch höher in die Luft. Unter ihr ging der Hieb weiter und zerschnitt die Luft. Er ging mitten durch einen der Drachen, der davon zerteilt wurde und machte dann einen sauberen Schnitt in die Mauer des Bergfrieds. Sauer sah Thalia, wie der tote Drache vor Condor, der vor Schreck quitschte, zu Boden fiel. „Okay, Zeit, dass ich helfe...“, dachte Nea. Wie ein Phantom hatte sie auf einem der Drachen ausgeharrt, um jetzt Calla von hinten anzugreifen. Als sie über dem großen Brocken flogen, sprang sie auf ihn über und schlich sich an. Die Diebin war so lautlos, dass sie nicht bemerkt wurde. Erst, als es schon zu spät war und Calla die Kapuze in den Nacken rutschte und die rosa farbenen Locken freigab. „Du...!“, knurrte Calla und versuchte mit ihrem Axtarm hinter Nea zu kommen, die sie im Schwitzkasten hielt. „Vergiss es!“, Thalia war ja auch noch da... Als Calla wieder zu ihr sah, konnte sie schon nichts mehr tun. Rechtzeitig ließ Nea die Verräterin los, damit sie nach einem Volltreffen von ihrem hohen Sitz geworfen wurde. „Wo ist sie jetzt?“, fauchte Thalia, als sie sie nicht am Boden aufkommen sah. Doch plötzlich begann der Riesendrache höllisch zu schreien. Nea warf sich flach auf seinen Rücken und presste die Hände auf die Ohren, aber es war einfach zu laut. Die gesamte Burg bebte. „So leicht werdet ihr mich nicht los...“ Langsam, sehr langsam, drehte Nea sich zu Callas Stimme herum. Sie sah aus den Augenwinkeln das riesige Messer, mit dem sie sich am Drachen hochzog. Es triefte vor Drachenblut. Unbarmherzig steckte sie es dem Drachen wieder und wieder ins Fleisch, der jedes mal nur noch leise röchelte, während sie sich wie eine Bergsteigerin hoch arbeitete. Dann stand sie über Nea. Ihr Gesicht lag im Schatten, die Diebin konnte das Grinsen nicht erkennen.

„Und gleich sind’s nur noch vier..“, sagte Calla und ließ sich viel Zeit um ihre Drachenaxt über ihren Kopf zu heben. Drachenknochen wurden von ihr wie nichts zerschnitten, ein Mensch würde noch leichter zu töten sein... Nea versuchte sich wieder aufzurappeln. Es gab nur eines, was sie vor dem Tod bewahren konnte und das war - Die Axt jagte auf sie herab, direkt auf ihren Kopf zu. Metall schlug auf Metall. Während sie es mit beiden Händen schützend über sich hielt, leuchtete der Schriftzug skyblocker darauf auf.

„Nicht nur du hast eine mystische Waffe, Calla!“, sagte Nea wagemutig. „Dein billiges Ding kann es lange nicht mit meiner Axt aufnehmen!“, knurrte Calla und schüttelte den Kopf. Damit hatte sie vermutlich auch Recht. Ein kräftiger Stoß mit ihrer Drachenaxt ließ Nea das Gleichgewicht verlieren. „Thalia, hör auf zu schlafen!“ Wie aus dem Nichts war Sadira aufgetaucht und attackierte Calla jetzt mit ihrer rostigen Kuchenschaufel. „Welch Überraschung!“, knurrte Calla. Mit einem Stoß wehrte Sadira Callas Hieb ab, mit dem nächsten stieß sie sie vom Drachen. „Kommt in die Hufe!“, maulte sie Nea und Thalia an, bevor sie hinterher sprang. Der richtige Kampf hatte begonnen. Thalia rappelte sich auf. Sie zog Nea auf die Beine. Das Drachenvieh, auf dem sie standen, schien ziemlich faul zu sein. Jedenfalls schwebte es unbeteiligt auf der Stelle. Aber die kleineren Biester (die jetzt nur noch zu viert waren) traten wieder in Aktion. Und ihre Aufmerksamkeit galt allein den zwei Ritterinnen auf dem Rücken ihres großen Artgenossen. „Okay!“, rief Thalia und sah sich nach den Drachen um, während sie ihren rostigen Löffel beschwor, „Nea, du kümmerst dich um die, während ich Sadira von hier oben unterstütze!“ Das Wetter war perfekt für ihr Vorhaben. Sadira kämpfte unten auf dem Platz immer noch unerbittlich mit Calla, die Sadira die ganze Zeit unbarmherzig anstarrte, während sie ihre Lanzenangriffe parierte. Sadira saß in der Zwickmühle. Calla konnte besser mit Waffen umgehen, dafür war sie im waffenlosen Kampf unschlagbar. Aber gegen eine mystische Waffe kam man nur mit einer mystischen Waffe an. Sie tat es zwar nicht gern, aber jetzt musste sie wohl die Spezialfähigkeit ihrer Waffe benutzen. Verbissen kämpfte sie weiter. Calla ließ ihr einfach keine Zeit um das auszuführen, was sie vorhatte. Es donnertet. Für eine Sekunde lugte Sadira hoch zu Thalia und Nea, wo sich ein Schein aus rötlichem Licht um sie gebildet hatte. Thalia benutzte ebenfalls ihre mystische Waffe, anscheinend wollte sie ihr helfen. Es donnerte ein weiteres Mal. Naturereignisse waren schon immer Thalias Spezialität gewesen. Gerade baute sie den Regen zu einem ausgewachsenen Gewitter aus. Gut, es musste einfach klappen. Bei Callas nächstem Angriff, schaffte sie es, mit dem dünnen Ende der Lanze eine Schwachstelle in ihrer Abwehr zu durchbrechen und setzte einen Treffer genau auf ihrem Körperschwerpunkt, so dass sie weit nach hinten geschleudert wurde. Sadira packte den zweiten Griff an ihrer Waffe. „Bluewalker!“ Indem sie laut den Namen der Waffe aussprach, aktivierte sie seine magische Fähigkeit. Elektrische Ströme flossen über den Griff in die Spitze der Lanze und sammelten sich dort zu einem hellblau leuchtenden Blitz. Sadira sicherte ihren Stand und schwang ihre Lanze weit zurück. Ein weiterer Blitz fuhr aus den Wolken in die Waffe und verstärkte ihre Kraft noch. Calla sah lauter schwarze Flecken, als die schreckliche Helligkeit des Blitzes zurückgegangen war. Sie war geblendet. In diesem Augenblick schleuderte Sadira die gesammelte Energie direkt auf Calla zu. Sie musste es abblocken! In diesem Angriff waren die Kräfte zweier mystischer Waffen vereint. Selbst ihre dragon ax konnte sie nicht vor größerem Schaden bewahren. Verzweifelt hielt sie die Axt schützend vor sich, in der Hoffnung, dass ihre magische Aura den Blitz spalten würde, wie schon einmal, aber diesmal war er zu stark. Die Aura der Axt zersplitterte und sie wurde voll getroffen. Während der Schlag durch ihren Körper fuhr, ließ sie ihre Waffe aus der Hand fallen. „Treffer!“, rief Sadira und freute sich über das Lichtspektakel, das allerdings nur einige Sekunden andauerte. Danach ging Calla leicht verkokelt in die Knie. Sie wischte sich den Mund ab und griff nach ihrer Axt. Auf sie gestützt erhob sie sich wieder. „Zufall!“, knurrte sie.

Lika und Adarwen waren während dessen auch nicht untätig. Jedenfalls Lika nicht. Ihre Aufgaben in diesem Kampf waren ganz klar gestellt: Callas Absichten zu durchschauen. In diesem Fall war es, wie sie herausfand, Magie. Hochkonzentriert. Sie hielt ihre rostige Gabel senkrecht in der Schwebe, ohne sie zu berühren. Diese Aktion duldete keinerlei Störung, was hieß, dass man dabei auch nicht kämpfen durfte. Als Lika spürte, dass ihre Waffe den triple spiral - Zustand erreicht hatte, öffnete sie die Augen um zwischen den Zacken der Gabel hindurch ihr Ziel anzuvisieren. Jetzt also Calla. „Was ist das?“, murmelte sie überrascht. Um Calla herum schwebten rot leuchtende Schriftzeichen in der Luft. Und als sie zu Sadira sah, musste sie feststellen, dass sich diese Zeichen ebenfalls auf Sadiras Rostiger Kuchenschaufel befanden. Mit schlimmer Vorahnung sah sie hoch zu dem riesigen Drachen. Sogar durch ihn hindurch schimmerten rote Buchstaben an zwei Stellen. Thalia und Nea also auch... Und was war mit - mit pochendem Herzen ließ sie die Gabel weiter von sich weg schweben. Eine große rote Rune prangte über ihrem Wappen. „Adarwen!“ Die Spionin, die gerade noch den Kampf zwischen Sadira und Calla beobachtet hatte, wurde aufmerksam. „Was ist? Hast du einen Plan?“ Lika antwortete auf diese Frage nicht. „Zieh deine rostige Schöpfkelle an!“, sagte sie statt dessen. Adarwen nickte. Für die anderen war es immer noch ein Rätsel, wie sich dieser Kampfhandschuh an ihrem Arm bildete, sobald sie ihn ausstreckte und die Augen schloss. „Okay, und jetzt?“ „Du darfst eversun nicht einsetzen!“ Es war nichts Auffälliges auf der mystischen Waffe zu sehen, keine rote Schrift. „Wie? Was sollte das dann mit -“

„Du hast mich tatsächlich durchschaut!“, meldete sich plötzlich Calla. „Ich habe die Waffen im Kampf mit einem Fluch versehen - sobald ihr ihre Spezialfähigkeiten einsetzt, werdet ihr angesteckt.“

„So ist das also...“, knurrte Lika säuerlich. Sie hatte ja schon so etwas vermutet...

„Und wenn alle Waffen infiziert sind, werden sie unbenutzbar.“

„War ja klar!“, murmelte Sadira.

„Danke, dass du uns deinen Plan verraten hast, Idiotin!“, rief Thalia vom Drachen herunter. Callas Reaktion war seltsam. Sie kicherte verstohlen in sich hinein. „Wisst ihr, das ist jetzt auch wieder egal.“ Was war bloß in sie gefahren? Ungläubig beobachteten die fünf Ritterinnen, wie Calla den Stiel ihrer Axt fester packte und sie dann, als wäre es das leichteste der Welt, nach oben warf. „Der Rest erledigt sich von selbst.“, erklärte sie und sah zur Seite- Die anderen waren immer noch dabei, die Flugbahn der Axt zu verfolgen. Sie schwingerte in einem großen Bogen auf die Stirn des riesigen Drachen zu. Der Grund, weshalb er sich die ganze Zeit so ruhig verhalten hatte, das Siegel auf seiner Stirn, wurde zerbrochen. Die Axtklinge steckte tief in den harten Hornplatten und ein Strahl aus dunklem Blut schoss hervor. Das Tier begann zu rasen. In seinem Wahn griff es das erste Lebewesen an, das vor seine Schnauze kam. In diesem Fall - Adarwen und Lika. Ein zwanzig Meter großer Drache, mit meterlangen Krallen und Zähnen; mehr als hundert Tonnen schwer! Als er losjagte, mit weit geöffnetem Maul, hechteten Thalia und Nea von seinem Rücken und landeten unsanft, trotz eilig aufgesagtem Zauber, im Matsch. Adarwen stand wie angewurzelt da. Ihr Arm mit „eversun“ daran zitterte. Sie wusste, wie sie den Drachen aufhalten konnte: Mir der geheimen Kraft von eversun, der revenge, der jeden Angriff zehn mal so stark zurückwarf. Aber dann... Reiß dich zusammen, Adarwen, entweder die Waffen gehen drauf oder du! Der Drache kam auf dem Boden auf. Obwohl er sich katzenartig bewegte, bebte der gesamte Hof. Todesmutig sprang Condor vor seine Herrin um sie zu beschützen. Okay, schei* auf die Waffen! Adarwen rannte los, wild entschlossen, dem Drachenmonster entgegen. Vor Condor stellte sie sich breitbeinig hin. Den Arm nach vorne ausgestreckt, die Augen zugekniffen. Es würde hart sein, diesen Angriff abzuwehren, aber sie würde es schon überleben. Jeden Moment würde das Gefühl kommen, als wäre ihr Arm in Schraubzwingen geklemmt. Adarwen hielt ihre Augen fest geschlossen. Eine ohrenbetäubende Explosion brach plötzlich vor ihr aus. Sie wurde umgeworfen und zurück gegen Condor geschleudert. Verdutzt öffnete sie die Augen . Sie besah sich ihre Hand und musste feststellen, dass sich nichts getan hatte. „Ich war das nicht ... wer war das dann?“ Eine gute Frage. Der ganze Hof war aufgesprengt, ein riesiges Loch klaffte vor ihr. Ein Berg-gleicher Schatten, durch den vielen Staub fast unkenntlich, lag dahinter und rührte sich nicht. Das musste der angreifende Drache sein. Bedächtig trat Adarwen an die Kante des Sprenglochs heran. Dort unten hustete jemand. Der aufgewirbelte Staub legte sich wieder. Unten, auf dem Boden eines Raumes, hockte eine Gestalt neben einer Truhe, die prankenartigen Hände fest auf die Ohren gepresst.

„Grischmo?“ Der Shandrane sah wimmernd zu Adarwen auf. Er schüttelte den Kopf.

„Ich hab nichts gemacht, ehrlich...“, jammerte er. Wo starrte er denn jetzt hin? Die Spionin und alle anderen hoben ihren Kopf. Das gab‘s doch nicht, dieses Ding musste ein Eigenleben führen. Über ihnen schwebte ein Stab, gewellt und über und über mit Runen versehen. An seinem Ende befand sich in einer Spiraleinfassung eine Kugel, die rot glühte. Der Stab drehte sich und schien von einer unsichtbaren Kraft in der Luft gehalten zu werden. Mit offenem Mund starrten die fünf Ritterinnen dort hinauf und achteten nicht auf ihre Waffen, auf denen ihr Wappen ebenfalls leuchtete. Adarwen hatte eversun nicht eingesetzt, der Fluch konnte nicht vollendet werden. „Verdammt!“, fluchte Calla, als sie erkannte, dass ihr Plan gescheitert war. Nicht nur das. Die restlichen Drachen, die in der Luft kreisten, begannen sich unter Schreien aufzulösen. Plötzlich wurde auch Calla von diesem Phänomen ergriffen. Ungläubig schaute sie auf ihre Hände, die wie Sand verweht wurden. Ein seltsames Zeichen prankte auf ihrer Stirn, das sich zischend weiter in sie hinein brannte. Unter Schreien verschwanden Calla und ihre Drachen im Nichts. Die dragon ax zersprang. Allein der Drachenkoloss blieb noch und verstopfte den Ritterinnen ihren Hinterhof. Wie von Zauberhand wurde das Glühen des Stabes ausgelöscht. Er fiel zu Boden und blieb scheppernd neben der offenen Truhe liegen. Adarwen half Grischmo aus dem Trümmerhaufen heraus. „War das jetzt wirklich Calla?“, murmelte Nea unsicher. „Mein Gefühl sagt mir... Ja.“, nickte Sadira. Allgemeines Aufatmen. Es nieselte so vor sich hin. Thalia verschloss die Truhe mit dem besonderen Inhalt wieder und kraxelte dann zu den anderen hoch. „Was machen wir jetzt mit diesem Drachenvieh?“, fragte sich Lika. Thalia überlegte nicht lange. „Ich versetze ihn in einen Heilschlaf, dann haben wir bis Übermorgen Ru-“ Jemand räusperte sich geräuschvoll. Die fünf Ritterinnen plus Condor plus Grischmo drehten sich um. Ein Mann stand auf dem Hof. Mit Anzug, Melone (die er gerade zum Gruß abnahm) und goldener Krawattennadel. Er zog einen Ausweis aus seiner Jackentasche. „Guten Abend, meine Damen, ich komme vom ASN* und muss jemanden abholen.“

*Amt zum Schutz für Normalsterbliche

***



Probleme mit dem Amt?



Thalia schaltete am schnellsten. „Ach so! Sie wollen sicher den Koloss da mitnehmen! Das ging aber schnell! Sie liegen wohl immer auf der Lauer, wie?“

„Ach Unsinn!“ Die ärgerliche Miene des Mannes wischte der Hexe das Grinsen aus dem Gesicht. Aber im nächsten Moment war von seiner augenblicklichen Forschheit nichts mehr zu bemerken. Ganz höflich erklärte er: „Das besagte Individuum ist menschenähnlich.“ „Menschenähnlich?!“, wiederholten die Ritterinnen wie aus einem Mund. Ihre Blicke wanderten auf der Stelle zu Grischmo, der sich hinter Sadira versteckt hielt.

„Moooment!“, meldete die sich. „Damit wir uns gleich richtig verstehen: sie wollen GRISCH' mitnehmen?!“ Der Beamte nickte nur und gab weitere Erklärungen.

„Nach Kapitel vier, Absatz drei des GBDÜ (Gesetzbuch des Übersinnlichen) ist dieses Individuum nicht einer Rasse zugeordnet und auch nicht zuzuweisen und hat nach Kapitel 28 Punkt zwei Paragraph sieben des GBDÜ auch keine Aufenthaltserlaubnis, weshalb ich nach Paragraph neun des selben, Kapi -“

„Jetzt mach mal halblang!“, unterbrach Sadira ihn sauer.

„Sadilein, warte. Wir kriegen das schon geregelt!“, schaltete sich Lika sofort ein. Dann wandte sie sich an den Beamten
„Ich bin Mitglied im Rat der Drachenfreunde Nord. Als solches möchte ich Grischmo unter meine Erlaubnis stellen.“ Der Beamte sah sie kritisch an. Anscheinend war ihm die Gewichtigkeit ihrer Worte bewusst.
„Ihr Ausweis?“ Seufzend holte Lika ihn hervor. Stumm betrachtete der Mann ihn eine Weile, bevor er
„Tatsächlich...!“ murmelte. Dann bat er um einen Moment Zeit und schlug ein kleines graues Büchlein auf. Er musste nicht lange blättern oder lesen, bis er parat hatte: „Ihr Ausweis erlaubt ihnen die Haltung von bis zu 5 Drachen oder drachenähnlichen Kreaturen. Ich bin nicht der Meinung, dass dieses Individuum darunter fällt.“
„Aber natürlich ist das ein Drache!“, widersprach Lika strickt, „Sehen sie sich nur mal sein Gebiss an!“ Ohne Erlaubnis einzuholen, packte sie Grischmo ins Gesicht und und öffnete fachmännisch seine Beisswerkzeuge.

„Eindeutig ein Drachengebiss! Und daran erkennt man Drachen doch letztendlich, nicht wahr?“

Grischmo maunzte widerstrebend. Schnell ließ die Ritterin seinen Kiefer wieder los.

„Tut mir Leid, aber die Kreatur weist nicht die Drachenleitmerkmale auf, die hier aufgeführt sind. Die da wären: Feueratem, Nüstern... Ist sein Fell Magie - resistent?“

„Jetzt hören sie doch mal auf!“, brach es aus Thalia heraus, „ Das kann man sich ja nicht mit anhören!“ Langsam, aber bedrohlich kam sie auf den Mann zu. Der wollte gerade etwas erwidern, als ihn etwas Fliegendes, Blaues attackierte. Mit Entsetzen konnte Thalia es als ihren blauen Phönix Churel identifizieren. Anscheinend hatte er gedacht, die Ritterinnen hätten es hier mit einem Feind zu tun. „Nein, Churel, aus! Komm her!“ Nachdem er den Kopf des Mannes völlig verwüstet hatte, gehorchte der Vogel doch tatsächlich und ließ sich auf der Schulter seines Frauchens nieder. Jetzt war das Maß für den Beamten voll. Wortlos zog er ein Taschentuch hervor und wischte sich sein Gesicht ab, während Thalia versuchte sich für ihren Phönix zu entschuldigen. Die anderen sahen sich ratlos an. Dann hob der Beamte eine Hand was die Hexe verstummen ließ. „Keine weiteren Diskussionen; das wird Konsequenzen haben!“ Er holte Handschellen hervor und trat auf Grischmo zu, der bis jetzt noch kein einziges Wort gesagt hatte. „Als Beauftragter des dritten Grades habe ich die Befugnis, nach GBDÜ, Kapitel 58, Abschnitt fünf, Paragraph acht b, dieses Individuum bis auf Weiteres aus dem Verkehr zu ziehen.“

„Kapitel 62.“

„Was?“ Der Beamte war ganz erstaunt, dass das „Individuum“ etwas gesagt hatte. Und dann auch noch um ihn zu verbessern.

„Es ist Kapitel 62. In Kapitel 58 ist das Verhalten bei öffentlichen Veranstaltungen erläutert.“ Nea hustete.

„Ja, ehm... dann eben Kapitel 62, was weiß ich! Sie sind festgenommen!“

Er zog Grischmo die eine Handschelle an. Allerdings... ging sie einfach durch ihn hindurch, als wäre er ein Geist.

„Was zum Teufel...?!“, rief der Mann erschrocken und wich vor Grischmo zurück. Auf den Gesichtern der Ritterinnen breitete sich ein Grinsen aus. Nur bei Lika nicht. Beschwichtigend machte sie einen Vorschlag. „Wie wäre es, wenn wir erst einmal rein gehen und Tee trinken?“ „Ich will keinen Tee, ich will eine Er -“

„SIE TRINKEN JETZT EINEN TEE!“

***

Immer noch verärgert, aber gezähmt, wurde der Mann vom ASN durch die düsteren Gänge der Burg geführt.

„Ist diese Wetterwarte überhaupt angemeldet?“, meckerte er, nachdem sie einen Vorhang aus Ranken nahe des Gewächshauses passiert hatten.

„Natürlich nicht!“, regte Nea sich auf. Und Sadira zugewandt fügte sie hinzu: „Ist der total bescheuert, oder was?“ Sadira bekräftigte kopfschüttelnd ihr Unverständnis.

„Das werde ich zu Protokoll führen müssen! Ebenfalls das seltsame Verhalten, das ihr „Mitbewohner“ aufweist!“

Adarwen tätschelte Grischmo aufmunternd die Schulter. „Schon gut, er hat’s bestimmt nicht so gemeint... du bist ganz normal.“ Lika war wie immer um das Geschäftliche bemüht(und sie wollte endlich duschen und ins Bett), zum Glück brachte sie die Handlung etwas voran. „Ich würde gerne mit ihrem Vorgesetzten über alles Weitere sprechen. Deshalb würde ich vorschlagen, dass wir morgen alle zusammen zum ASN gehen. Aber erst einmal würden wir gerne etwas schlafen. Außerdem muss ich endlich den Dreck von mir loswerden!“ „Und ich erst!“, seufzte Nea.

Der Mann war einverstanden, wenn auch - nach dem vierten Fledermausschwarm - nicht besonders begeistert.


Bürokratie an die Macht!



Und dann klopfte es um fünf Uhr morgens Sturm an der Haustür. Sadira schlüpfte verschlafen in ihre Hausschuhe. Wieso hatten sich die Wachgänse eigentlich nicht gemeldet? Ach ja, stimmt ja, die waren ja zerbrochen worden... Sie schlurfte zu dem notdürftig mit Brettern geflickten Tor und öffnete es, wobei es schrecklich quietschte. Das letzte Gargoyle auf seinem Platz im Brunnen gähnte noch einmal, bevor es sich in Stein verwandelte. Etwas überrascht sah Sadira einem ziemlich exakten Doppelgänger ihres jetzigen Gastes ins Gesicht. Sie kniff die Augen zusammen, aber das ordentliche Gesicht mit der Melone verwandelte sich nicht. „ Wo kommen sie her?“

„Vom ASN. Ich bin beauftragt worden ein Individuum abzuholen.“ Irgendwo hatte sie das schon einmal gehört... In der Eingangshalle klackte eine der vielen Türen. Nea kam angeschlurft.

„Was will der denn?“

„Ein „Individuum“ abholen.“

„ein menschenähnliches?“ Die beiden Ritterinnen sahen ihn erwartungsvoll an. Nervös drehte der Herr die Melone in seinen Händen, dann nahm er sie etwas herunter, etwa auf Bauchhöhe. Eine silbrig blitzende Krawattennadel in Form von zwei Lederschwingen wurde sichtbar. „Nein... sehen sie, ich bin bei der Monsterbeseitigung... und.. das Zielobjekt ist ca. 5m groß, hat dunkle Schuppen, am Kopf und auf dem Rücken verhornt...“

„Wir könnten ihnen das selbe in 20 Metern anbieten!“, schlug Sadira vor. Da kam ein weiterer Anzugmensch den Pfad zur Burg hinauf, er zog seine Melone und grüßte die an der Tür stehenden mit

„Guten Morgen!“ Er kam schnell zur Sache. „Ich soll ein Individuum abholen.“

„ Ach was?!“, stöhnten Sadira und Nea. Es stellte sich heraus, dass diese beiden und noch fünf weitere jeweils einen der beschwörten Drachen hatten abholen sollen. Dann musste der neunte, der jetzt ankam, ja für das Riesenvieh sein. Sadira war lieber vorsorglich Kaffee kochen gegangen. Dafür gesellte sich Adarwen zu Nea, die sich immer noch mit den Herrschaften herumschlug.

Aber die Krawattennadel von Nummer Neun war weder silbern, noch trug er überhaupt eine Krawatte, sondern eine Fliege. Was war das jetzt wieder für ein Heini? Nea sah `darwen genervt an.

„Wollen sie zufälliger Weise jemanden abholen?“

Der Beamte sah Nea mit offenem Mund stutzend an.

„Guten ... Morgen...“ Hatten diese Beamten so etwas wie einen Standardtext, oder was? Aber sehr schnell fing er sich wieder.
„Ich soll jemanden verhaften!“ Unauffällig lugte Nea zur Decke.
„Ver ... haften? Wen... sollen sie denn verhaften?“ hakte Adarwen vorsichtig nach.
„Eine schreckliche Kriminelle!“ Nea machten einen Schritt zurück.
„Die Frau soll im Besitz einer unangemeldeten Drachenpfeife sein!“ Nea machte noch einen Schritt zurück...
„Und mit schwarzer Magie soll sie auch zu tun haben! Nach meinen Angaben hat sie zuckergussfarbene Korkenzieherlocken, eine große Axt und hält sich seit gestern Abend auf diesem Grundstück auf! Das Haus ist übrigens nicht angemeldet, wenn ich da bemerken darf!“

Nea machte einen großen Schritt vorwärts. „Kaffee!“, verkündete Sadira, die ein Tablett balancierend den Teppich herauf kam. „Ich habe die anderen geweckt. Noch einer?“ Mit dem Gedanken, dass der Kaffee, der zu wenig da war, ihrer sein würde, betrachtete sie den neuesten Besucher.

„Ich würde sagen, wir haben ein Problem.“, flüsterte Adarwen Sadira zu, „Diese Kerle wollen alle jemanden abholen, der sich gestern in Luft aufgelöst hat! Das glauben die uns doch niemals!“ Sadira verdrehte die Augen.

„Ich bin nicht die Richtige für so was. Das soll Lika regeln.“ Mit dem leeren Tablett verschwand sie wieder und ließ Nea und Adarwen ein weiteres Mal stehen. Klar, soll Lika doch die Arbeit machen!

Schweigend standen sich die beiden Ritterinnen und der Beamtenhaufen gegenüber. Die sahen echt alle haargenau gleich aus... Schließlich hatte Adarwen genug. „Ich geh die anderen holen!“ „Warte, ich komm mit!“ Die Tür schloss sich mit einem Klicken. Die Beamten sahen sich ratlos an. Aber es dauerte nicht lange, bis Adarwen wieder kam. Gefolgt von den anderen und Grischmo, der immer wieder „Ich will nicht ins Gefängnis!“ wimmerte. „Auf geht’s!“, freute sich Lika und steckte noch den letzten Band ihrer vierteiligen Ratgeberreihe
„Wie ich mir durch Kommunikation Arbeit sparen kann“ in ihre Feld-, Wald- und Wiesentasche.
„Halt!“, meldete sich Sadira noch einmal. „Müsste da nicht noch so ein Heini kommen?“ Die Beamten sahen sie empört an. Heini! Also wirklich! Aber auch die anderen meinten, dass noch jemand den Drachen in ihrem Hinterhof abholen müsste. Davon wusste allerdings keiner der Amtsmänner etwas. Lika winkte ab.
„Das werden wir jetzt eh alles klären! Los, damit wir vor der Mittagspause da sind!“


André Hibis


Während die Abgesandten vom ASN diskutierten, unter welcher Geheimhaltungsstufe man die Ritterinnen und Grischmo hereinlassen sollte, standen diese in einer engen, dreckigen Seitengasse und warteten auf Einlass ins Amtsgebäude.

„Warum lassen die mich keinen einfachen, ungefährlichen Wasserabweisungszauber sprechen?“, knurrte Thalia. Natürlich hatten sie keinen Schirm eingepackt. „Also echt! Die sind wohl übervorsichtig!“, regte sich auch Sadira auf.

„Dabei lässt es sich hier so leicht einbrechen...“

„Nea!“

„Was denn?“, erwiderte Nea auf Likas entsetzte Reaktion.

„Wenn die nicht endlich diese verdammte Tür aufmachen, dann spreng ich sie in die Luft!“, fauchte Sadira und sah den armen, unschuldigen Türwächter warnend an. Aber zu des Türstehers Rettung erschien ein galant gekleideter Herr vor den nassen Damen, in einem sandfarbenen Sakko und mit glatten, blonden, etwa schulterlangen Haaren. Er verneigte sich, so dass man seine spitzen Ohren sehen konnte.

„Entschuldigen sie bitte, dass sie hier im Regen stehen mussten ... Würden sie mir jetzt freundlicher Weise folgen?“ Was sollten sie auch anderes tun? Endlich wurde die Tür geöffnet und die Ritterinnen durften eintreten.

„Immer einfach mir hinterher...“, bat der Herr mit einem unwiderstehlichen Lächeln und einer weiteren Verbeugung. Ein bisschen machte er die Frauen schon verlegen. Sie begannen miteinander zu tuscheln. Thalia neigte sich zu Sadira herüber und flüsterte „Ist das ein Elf?“ „Keine Ahnung. Wie willst du es rauskriegen? Am Brennungsrad, vielleicht?“
„Vielleicht willst du ja lieber seine Reflexe testen!“

„Jetzt hört schon auf, ihr beiden!“, mischte Adarwen sich ein, weil die zwei ziemlich laut flüsterten. Der Herr, der jedes Wort gehört hatte, geriet ins Schmunzeln.

„Ich bin Halbelf, meine Mutter war menschlich.“, erklärte er noch im Gehen. Sadira und Thalia wurden rot. Während ihr Führer sie durch Flure und Korridore gehen ließ, schwiegen alle und trockneten. Sie bemerkten nur, dass die anderen Angestellten dem Halbelfen sehr viel Achtung entgegen brachten im Vorbeigehen. Als wäre er für sie ein besonderer Anblick. Aber das war er ja so wieso... Auch, wenn die Ritterinnen nur seinen Rücken zu sehen bekamen. Plötzlich fiel Lika aus ihren Gedanken wie aus allen Wolken.

„Sagen sie...“, durchbrach sie das Schweigen und brachte ihren Führer dazu, seinen Kopf umzuwenden, „Entschuldigung, wo bringen sie uns überhaupt hin? Wenn ich fragen darf...“ Sie lugte kurz besorgt zu Grischmo hinüber, dem es gar nicht behagte hier von jedem, der vorbeikam, angestarrt zu werden. Der Halbelf, dessen Namen sie nicht kannten, lächelte. Seufz.

„Zum Chef.“, kam seine knappe Antwort.

„Wie? Zu welchem Chef?“, fragte Sadira.

„Zum Chef – Chef. Dem höchsten Tier dieser Institution. Er wartet schon sehr gespannt.“, sagte er vergnügt. Die Ritterinnen tauschten nicht ganz so vergnügte Blicke aus.

„Keine Angst, ich glaube nicht, dass ihr was angestellt habt, auch wenn euer Haus nicht angemeldet ist...“

Also wirklich! Natürlich war ihr Haus nicht angemeldet! Sonst hätten sie ja gleich eine Annonce in der Zeitung aufgeben können, in der steht, wo Calla sie möglichst schnell finden könnte!

„Wie auch immer. So genau bin ich nicht ... naja, ich darf noch nichts verraten.“

Dieses Lachen...

Was hatte das ASN mit ihnen vor? Und was würde mit Grischmo passieren? Und wann kam endlich jemand, um diesen fetten Drachen aus ihrem Hinterhof abzuschleppen? Der Halbelf hielt vor einer dunklen zweiflügeligen Tür.

„Achtung, meine Ladys, wir sind da!“ Er klopfte an, bevor er einfach die Tür öffnete.

Das Büro war klein und gemütlich eingerichtet. Hinter einem hohen Schreibtisch saß ein älterer Herr, Die Wand hinter ihm war angefüllt mit einem Bücherregal, genau so wie die linke, in der die Tür war. Rechts, auf einem Fensterbrett wuchs eine Kletterpflanze, die so exotisch war, dass Sadira fast staunend dort hin gerannt wäre um sie näher zu betrachten. Und die Wand gegenüber des Schreibtisches war mit einem Gemälde behangen. Darunter stand ein kleines Sofa. „Guten Tag, meine Damen. Bitte setzen sie sich doch!“

Haha, guter Witz. Sollten sie sich zu fünft auf das mickrige Teil quetschen? Grischmo fühlte sich ignoriert. Aber man wollte ja nicht unhöflich sein. Langsam begannen die fünf Frauen auf ihren Plätzen herum zu treten, bis Sadira schließlich genug hatte und Grisch aufs Sofa schubste, sie selbst stellten sich links und rechts neben das Sofa oder setzten sich auf die Lehne, bis am Schluss nur noch Adarwen und der Elf frei im Raum standen. Ihre Blicke trafen sich, ‘darwen wurde rot und quetschte sich schleunigst neben Grischmo, der zurück zuckte, als sie seinen Arm ergriff. Naja, jetzt saß er wenigstens nicht mehr so alleine wie auf dem Präsentierteller. „Sir, kann ich gehen?“, fragte der Halbelf höflich. „Bitte bleiben sie noch, André; leisten sie uns doch ein wenig Gesellschaft.“ Der Halbelf verbeugte sich und trat zurück.
„Nun, meine Damen, was glauben sie, weshalb ich sie hier herbestellt habe?“
„Ach, wir wurden herbestellt?“, sagte Thalia überrascht.
„Das letzte mal, als mich das jemand gefragt hat, wurde ein Spezialkommando gegründet.“, antwortete Lika leicht nachdenklich.
„Exzellent!“ Der Vorsitzende stand auf und rieb sich die Hände.

„Sie haben einen guten Riecher!“ Lika lächelte. Die anderen sahen sie sauer an.

„Nun, reden wir nicht um den heißen Brei herum!“ Wenn ein Büromensch so etwas sagte, begann er gewöhnlich eine lange Vorrede.

„Ich selbst, als Veteran im Kampf gegen die Moormagier, bin mir darüber im Klaren, dass...“ Oh je... Als nach eineinhalb Stunden ein Räuspern ertönte, schreckten alle aus ihrem Halbschlaf auf. André kippte gegen die Zimmerpflanze, die zu seinem Schrecken abknickte.

„Aber das mit ihm müssen sie mir doch noch erklären“ Der Büromensch deutete auf Grisch. „Er hat auch einen Namen. Und er heißt Grischmo!“, teilte Adarwen ihm freundlicher Weise mit.

„Das wird jetzt etwas komplizierter...“, warnte Lika.

„Mach’s kurz!“, knurrte Sadira.

„Ehm... er ist ein Geist.“

Klang wohl noch nicht überzeugend genug?
„Er ist der Geist eines alten Drachenkriegers, dem die Tore zu Walhalla verschlossen sind, seitdem er uns vorm Zorn des großen Hammer-Drachenkriegers bewahrt hat!“

Lika sah Sadira verwirrt an. Woher nahm die Frau so viel Fantasie?!

„Dann ist er so etwas wie ein Held, nicht wahr? Notieren sie sich das, André!“

André nickte nur und notierte sich gar nichts. Wahrscheinlich hielt er die Geschichte genau so erstunken, wie sie auch tatsächlich war.

„Also dann, auf gute Zusammenarbeit!“ Der Vorsitzende, der sich zwischendurch noch einmal niedergelassen hatte, erhob sich ein zweites Mal.

„Auf gute Zusammenarbeit!“ Er streckte seine Hand aus um die der Ritterinnen nacheinander zu schütteln.

„André wird sich mit ihnen in Verbindung setzen, sobald wir ihre Hilfe benötigen. Einen schönen Tag noch!“ Ohne genau zu wissen,was sie gerade besiegelt hatten, waren die sechs wieder auf dem Weg aus dem Büro. „Und was ist jetzt mit ihm?“, fragte Adarwen und meinte Grischmo. „Ach soo.... ja... was machen wir mit ihm ... nicht registiert, mh...“, stotterte der Chef vor sich hin und kramte nervös in irgendwelchen Unterlagen auf seinem Schreibtisch. Dumm, dass ich den Hundeblick nicht drauf habe!, dachte Grischmo.
„Ein Held wird jawohl eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen!“, räumte Lika ein. André verkniff sich ein Lachen. „Mhh, Held, jaja, also...“ Völlig in sein Grübeln vertieft schien der Chef den Besuch gar nicht mehr wahrzunehmen. André winkte seufzend ab und öffnete den Ladies und Grischmo die Tür. „Mit dem ist heute nichts mehr anzufangen.“, flüsterte er draußen, „Sie dürfen ihm auch nicht solche Fragen stellen..“ Und jetzt stand er bereit sie hinaus zu begleiten.


„Endlich wieder zu Hause!“ Adarwen ließ sich zufrieden aufs Sofa fallen. „Ja, und jetzt kann Lika uns auch endlich erklären, was wir da vorhin mit Händedruck besiegelt haben!“, sagte Thalia und setzte sich ebenfalls (auch wenn Adarwen keine Lust hatte zu rücken). Alle sahen jetzt Lika an. „Halt mal! Woher soll ich das bitte schön wissen? Ich habe gepennt, wie ihr auch!“, widersprach sie.

„Also Likalein! DU bist hier doch für das Geschäftliche zuständig!“ „Ja, aber-“ Sadira starrte sie so eindringlich an, dass sie abbrach.

„Das wird schon nichts Schlimmes sein, das ist schließlich das ASN! Das sind die Guten!“ Ja, ganz überzeugend, Lika!

„Ich bezahle nirgendwo einen Mitgliedsbeitrag, damit das klar ist!“, sagte Sadira und verließ den Raum. „Ich erst recht nicht!“, wiederholte Thalia es für sich und folgte ihr. Da die Aufmerksamkeit jetzt auf Adarwen gerichtet war, musste sie etwas tun. Sie zuckten mit den Schultern. „Hauptsache, Grischmo kann bleiben!“ „Jetzt bleibt doch noch!“, wollte Lika sie aufhalten, aber die Tür hatte sich schon wieder geschlossen. Im Zimmer waren noch Nea, Grischmo und sie. Die Uhr tickte. Sonst war es in ihrem orangefarbenen Zimmer still. Nea saß auf der Fensterbank und baumelte mit den Beinen. Und Grischmo? Tja, der beobachtete eine Fliege, die ihm vor der Nase herumschwirrte.

„Toll!“, fluchte Lika. „Soll ich sie wieder holen?“, schlug Nea vor.

„Ach, lass mal. Es ist nur wegen dem Tauchsieder...“

„Ach, weißt du was Neues?“

„Nein. Gerade deshalb...“

„Schaut doch mal in einem Buch nach!“, meldete sich Grischmo.

„Ach, nee...!“, murrten die beiden Ritterinnen genervt. Wie viele Bücher hatten sie jetzt schon gewälzt? „Wir wissen ja noch nicht einmal, wo er herstammt...“ Lika, sie saß in einem großen Ohrensessel, stützte das Kinn auf die Hände.

„Willst du nicht doch darüber reden, wo du den Stab her hast?“ Nea blieb hart.

Sie hatten ja echt keine Ahnung. Warum das Schicksal sie zusammengeführt hatte. Vor allem, was sie hier zu suchen hatten. Die anderen mochten ja vorher mehr oder weniger nichts zu tun gehabt haben, aber sie... Eigentlich wusste sie es nicht.

„Ja, sitzt noch ein bisschen sinnlos hier herum, dann kommt der Tauchsieder irgendwann angewackelt und fängt an zu singen!“

Grischmo hatte Recht.

„Die anderen haben jetzt mit dem Drachen im Hof zu tun... Naja... Ex – Hof. Ich werde mich ein wenig im Keller umsehen. Dort riecht es förmlich nach einer Geheimbibliothek... Was macht ihr?“ Guter Ansatz, Nea!

Lika und Grischmo sahen sich kurz an. „Die Truhe!“, kam es Lika sofort, „Der Rostige Besteckkasten. Wir sehen ihn uns noch einmal an und... da kann er ja nicht stehen bleiben...“ „Ihr hört von mir!“ Nea winkte, öffnete das Fenster und sprang hinaus. Ach, immer diese Regenwolken! Gingen die denn nie weg?

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